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13. June 2019
Foto: Henning Rogge/Deichtorhallen Hamburg
13. June 2019
Unvergessen ist für mich die Vernissage einer Ausstellung in einer Münchner Galerie im November 2004. Gezeigt wurden Bilder und Zeichnungen des japanischen Künstlers Yoshitomo Nara, viel mehr Aufmerksamkeit aber erregte eine Gruppe junger Frauen, offenbar eigens aus Japan angereist, bei denen es sich ganz klar um Groupies handelte. Sie waren laut, aufgeregt und machten – im Jahr 3 vor iPhone – pausenlos Selfies (weder als Begriff noch als Phänomen damals allgemein bekannt), am liebsten natürlich zusammen mit Nara selbst. Mir fiel an diesem Abend erstmals auf, dass auch bildende Künstler Fans haben können, nicht anders als Pop-Musiker oder Opernsänger. Im Jahr darauf verstand ich das noch besser, als ich Naras Beitrag auf der Yokohama Triennale sah: Er hatte sein Jugendzimmer nachgebaut, bot den Fans also Einblick in sein eigenes Leben, versetzte sich aber auch nochmals in ihr Alter zurück – als er selbst Fan und Freak war.
Fünfzehn Jahre später ist es zwar noch immer nicht üblich, dass Künstler Fans haben, doch viele von ihnen haben zumindest Follower. Diese würden sicher nicht wegen einer Ausstellungseröffnung um die halbe Welt reisen, aber sie suchen ein engeres, emotionaleres Verhältnis zum Künstler und entwickeln mehr Neugier als klassische Kunstrezipienten. Für Follower sind Künstler auf Instagram genauso Celebrities wie die Größen aus anderen Bereichen: Sportler, YouTuber, Models, Influencer und nicht zuletzt Musik-Stars.
Dem Instagram-Account von Yoshitomo Nara folgen rund 170.000, womit er unter Künstlern im übrigen alles andere als Spitzenreiter ist. Der dürfte Banksy sein, mit aktuell über sechs Millionen Followern. Häufig können Künstler, die in den etablierten Institutionen des Markts und der Museen berühmt geworden sind, besonders viele Follower vorweisen (Jeff Koons oder Damien Hirst), aber genauso gibt es nicht wenige, die im offiziellen Kunstbetrieb zwar keine große Rolle spielen, bei Instagram hingegen Stars sind – wie zum Beispiel Mark Ryden, DABSMYLA oder Cleon Peterson.
Die Sozialen Medien bereiten bildenden Künstlern also einen neuen, zusätzlichen Karriereweg. War es früher höchstens in Ländern außerhalb des westlichen Kunstbetriebs – also gerade in Japan – vorstellbar, auch an Kuratoren, Sammlern, Galeristen, Museumsdirektoren und Kritikern vorbei Erfolg zu haben, indem man genügend Leute für sich und die eigene Arbeit begeisterte, wird dieser Weg nun immer üblicher – und vielleicht schon in der nächsten Generation zum gängigsten. Damit aber nähert man sich in der bildenden Kunst der Musik oder der Literatur an, wo die Macht von Türstehern schon bisher viel geringer war und wo dafür vor allem das breite Publikum darüber entscheidet, was als gut und wichtig gilt.
Das lässt sich als Demokratisierung der Kunstwelt begrüßen, hat aber zudem Folgen, die erst nach und nach absehbar werden. So passt es nicht zu einer populären Kunst, vornehmlich aus Unikaten zu bestehen, sind diese doch zwangsläufig viel zu teuer, um für den größten Teil der Follower und Fans erschwinglich zu sein. Und sofern die Werke followerstarker Künstler auch nicht in Museen gezeigt werden, gibt es sogar nicht einmal die Möglichkeit, sie im Original zu sehen. Künstler, die auf eine Karriere im Stil von Pop-Musikern setzen, müssen ihrem Publikum also etwas bieten, das sich für relativ wenig Geld kaufen lässt und doch das Gefühl vermittelt, man habe etwas ‚Echtes’ erworben. Die Lösung sind Produkte, die irgendwo zwischen Merchandising-Objekten und Multiples angesiedelt sind.
Ein Vorbild könnten Schallplatten sein, die im Bereich der Musik ja lange Zeit für die engste Verbindung zwischen den Stars und ihren Fans sorgten. Innerhalb der Ausstellung HYPER! macht der Beitrag „We buy White Albums“ von Rutherford Chang auf den Kultstatus von Platten als Fan-Objekt aufmerksam. So ließ Richard Hamilton, Gestalter des „White Album“ der Beatles, fortlaufende Seriennummern auf das gänzlich weiße Cover drucken und näherte die Platte damit einer Edition an, stärkte also ihren Charakter als materielles Sammlerstück. Dass sich echte Fans dann nicht mit einem Exemplar begnügen, sondern mehrere – mit unterschiedlichen Nummern – besitzen wollen, treibt Chang mit seiner Arbeit auf die Spitze. Entsprechend dürfte es künftig vermehrt bildende Künstler geben, die ihre Follower mit Objekten stimulieren, welche eigens zum Sammeln anspornen und so nicht zuletzt eine Konkurrenz unter den Fans erzeugen.
Wiederum Yoshitomo Nara gehörte übrigens zu den ersten, die den Bedarf an Fan-Artikeln erkannten. Seine niedlich-kindlichen Figuren mit meist großen Augen gibt es schon seit Jahren auf Handyhüllen, Skateboards, Stempeln, Stickern, Uhren, Handtaschen, Spiegeln – und einige Motive kann man auch als Figuren in unterschiedlichen Größen kaufen. Zudem hat er – ungefähr auf halber Strecke zwischen Tokyo und Fukushima – mit N’s Yard einen Ausflugsort errichtet, der eine Mischung aus Atelier, Museum und Shop darstellt. Seine Fans können dort seine Werke sowie Plattencover oder Zeichnungen anderer Stars besichtigen, die für Nara besonders inspirierend waren, können aber auch selbst kreativ werden und seine Motive in eigenen Bildern variieren.
Geschickt forciert Nara damit ein zweites Bedürfnis von Fans. So eifern sie ihrem Vorbild häufig nach, produzieren Fan-Fiction, Fan-Art oder werden auf andere Weise gestalterisch tätig. Das alles soll ihnen dabei helfen, dem Idol nahezukommen und Teil seiner Welt zu werden. Wie weit der Aufwand an Zeit und kreativem Engagement bei Fans gehen kann, ist abermals Thema in der HYPER!-Ausstellung. Scott King zeigt die Frottage der Fassade des Hauses, in dem Ian Curtis, Sänger der Band Joy Division, lebte und 1980 Selbstmord beging: Wo man dem Star nicht mehr begegnen kann, will man ihn durch eine extreme Aktivität zumindest lebendig halten und sich selbst in sein Leben einschreiben.
Den meisten Fans – und erst recht Followern – genügt es allerdings, wenn sie einen Ort besuchen oder etwas konsumieren können. So wie im Fall von Takashi Murakami (mehr als 1,3 Millionen Follower bei Instagram), der im Nakano Boulevard in Tokyo ein Café eingerichtet hat, in dem seine Fans nicht nur vom Künstler designten Latte Macchiato trinken, sondern zudem mit seinen Stofftieren kuscheln und diese kaufen können. Auch fast alle anderen followerstarken Künstler haben mittlerweile zumindest einen Online-Shop mit diversen Angeboten – von Postern bis zu Schmuck, von Ausmalbüchern bis zu Tellern.
Je mehr der Kunstbetrieb von Followern und Fans bevölkert sein wird, desto eher werden sich generell die Werkformen ändern oder zumindest die Artefakte dominieren, bei denen keine Differenz zwischen Original und Reproduktion mehr existiert. Sie werden in hohen Stückzahlen hergestellt und stammen doch direkt vom Künstler. Von anderen Markenprodukten unterscheidet Kunst sich dann nicht mehr, und auch die Künstler gehen ganz in der Welt der Stars und Celebrities auf. Kunst wird so populär sein wie nie zuvor, aber es wird schwer – und vielleicht auch müßig – sein, sie überhaupt noch als solche zu identifizieren.