Foto: Emanuel Raab

»Wir rollen den roten
Teppich aus«

INTERVIEW: CARLA ERDMANN

4. July 2019

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HALLE4: GUTE AUSSICHTEN, der Wettbewerb – und die mittlerweile umfangreiche Plattform – für neue deutsche Fotografie, wurde vor 15 Jahren von Ihnen und Stefan Becht initiiert.
Josefine Raab: Wir erhalten von Professorinnen und Professoren (was für Professoren sind das?) jedes Jahr die besten Arbeiten, was auch immer sie darunter verstehen. Die Aufgabe der Jury besteht dann darin, diese Vorauswahl, das ein relativ breites Bild wirft, zu sichten und die Preisträger*innen auszuwählen.
Stefan Becht: Grundsätzlich achten wir darauf, dass das Konsortium recht heterogen zusammengesetzt ist. Es gibt in der Jury außer Kuratoren wie Ingo Taubhorn oder Josefine Raab Menschen, die auch angewandt arbeiten, also bei Zeitungen oder Zeitschriften tätig sind und täglich mit Bildern umgehen. Sie haben einen ganz anderen Blick auf die Werke. Und es gibt jeweils einen renommierten Künstler oder Künstlerin, der oder die wieder anders hinschaut als ein Kurator oder eine Kunsthistorikerin wie Wibke von Bonin. Seit einigen Jahren haben wir auch immer eine/n Preisträger*in dabei.

GUTE AUSSICHTEN ist auch bekannt für Ansätze, die das Medium Fotografie an sich ausloten. Welche Techniken stechen da aktuell heraus?
Josefine Raab: Auch in dieser Hinsicht sind progressive Projekte im aktuellen Jahrgang dabei: Patrick Knuchel vermählt in seiner Arbeit „Die Konkrete Idee“ frei nach der Formel „Material + Form = Inhalt“ Siebdruck mit Fotografie. Die Idee dafür entstand in der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Mit „Konstruktion Raum“ untersucht Benjamin Kummer von der Neuen Schule für Fotografie, Berlin Räumlichkeit im fotografischen Bild mit Hilfe von Schablonen aus Karton und Papier. Robert ter Horst von der Fachhochschule Bielefeld schafft mit Hilfe digitaler Algorithmen in seiner Arbeit „Playtime“ eine völlig neuartige Bildsprache.

Wie kann überhaupt Neues entstehen? Welche Rollen nehmen dabei die Hochschulen als Ort ein, an dem nicht ergebnisorientiert gearbeitet wird?
Josefine Raab: Der Schlüssel ist das Experimentieren. Das ist enorm wichtig und vielleicht auch gerade dann, wenn ich mich als Fotograf*in gewerblich ausrichten will, vielleicht gar nicht in die Kunstfotografie gehen will. Viele denken ja, Kunstfotografie ist nur l’Art pour l’Art und nur mit der angewandten Fotografie lasse sich Geld verdienen. Das ist einerseits richtig. Aber gerade weil es so viele Fotograf*innen, so viele Bilder und so viele Menschen gibt, die damit arbeiten, ist es umso wichtiger, für sich etwas Spezifisches herauszubilden, etwas ganz Eigenes zu entwickeln.

Wie kann und sollte das gefördert werden?

Josefine Raab: Man muss die jungen Leute dazu animieren, das Medium zu erforschen, es auf den Kopf zu stellen, irgendetwas ganz anderes damit anzustellen, damit irgendwann hinterher etwas Neues entstehen kann.
Stefan Becht: Etwas Herausragendes kann immer nur entstehen, wenn Menschen bereit sind, sich mit etwas so intensiv auseinanderzusetzen und so in eine Materie oder in ein Subjekt einzutauchen, dass sie durch ihr Zutun etwas Anderes als das Bekannte kreieren. Und diesen Raum oder Freiraum bildet die Abschlussarbeit an der Universität. Das Auseinandersetzen mit einer einzigen Sache, einem Thema, ist etwas, das heute nicht mehr so angesagt ist wie früher. Nichtsdestotrotz führt aber genau das zur Schöpfung von etwas, was wir so noch nicht kennen.

Dabei gibt es immer wieder Anlass, nachzufragen, wo die Vielzahl der weiblichen Fotografen steckt.
Josefine Raab: Männer und Frauen verschwinden am Ende in sehr unterschiedlichen Kontexten, wobei man nicht sagen kann, dass die Frauen eher in klassischen Strukturen verschwinden wie Partnerschaft, Kinder. Es gibt auf beiden Seiten diejenigen, die aufhören und die, die weitermachen, die die Seiten wechseln, angewandt arbeiten oder gar keine Lust haben auf diesen Kunstzirkus und eher ein Dasein im Abseits der Kunstszene pflegen.
Stefan Becht: Es hat sich bei GUTE AUSSICHTEN immer so gefügt, dass es sich ungefähr die Waage gehalten hat, ohne dass wir das beabsichtigt haben. Genauso wie wir es nicht beabsichtigen würden, da einen Roten Faden in den Arbeiten zu sehen, der sich aber komischerweise am Ende immer wieder in Form von verbindenden Elementen ergibt.

Letztendlich geht es immer darum, gute Arbeit zu machen.
Josefine Raab: Genau. Es muss jemanden geben, der darüber berichtet und der sie zeigt. Und damit sind wir wieder am Ausgangspunkt: Es ist wichtig, dass junge Talente eine Plattform bekommen. Bei uns handelt es sich weitgehend um unbekannte Talente. Sie bekommen von uns einmal den „roten Teppich“ ausgerollt. Was sie daraus machen und wie sie damit umgehen, ob sie erfolgreich werden oder nicht, das muss dahin gestellt bleiben. Aber sie haben eben einmal die optimale Aufmerksamkeit. Dafür arbeiten wir.

Aufmerksamkeit hat auch damit zu tun, wie man Arbeiten zeigt, also die Präsentation gestaltet. Es gibt ja noch mehr Möglichkeiten, als Prints an die Wand zu hängen. Beispielsweise Interventionen im Raum, der die Besucher*innen auffordert, um die Arbeiten herumzugehen und wechselnde Perspektiven einzunehmen.
Stefan Becht: Das beste Beispiel war unsere Ausstellung GUTE AUSSICHTEN DELUXE im Sommer 2018, auf der nahezu jede mögliche Form der Präsentation durchgespielt wurde: Ob Skulpturen, Bildschirme, die Echtzeitbilder übermittelt haben von Besucher*innen im Raum bis hin zu Prints, die auf der Erde lagen und Videoinstallationen – die Kombinations-, Erweiterungs- und Interventionsmöglichkeiten sind riesig.

Was könnten Sie sich für die nächsten 15 Jahre vorstellen oder was wünschen Sie?
Josefine Raab: Für uns, die professionell Bilder anschauen, ist es immer wieder eine Überraschung, dass es stets neue Serien gibt, die man noch nicht so gesehen hat.
Stefan Becht: GUTE AUSSICHTEN ist nicht nur ein Wettbewerb, sondern inzwischen viel mehr. Es gibt die Möglichkeit eines Projekt- und Arbeitsstipendiums im Rahmen des GUTE AUSSICHTEN GRANT, für den sich alle Preisträger*innen bewerben können. Dieser geht jetzt ins dritte Jahr. Über die Plattform gibt es die offenen Workshops, die im Haus der Photographie stattfinden, es gibt die HEIMSPIELE, die wir hier im Headquarter abhalten, bei denen wir in der Regel zwei Positionen von Preisträgern präsentieren. Unter NEW POSITIONS haben wir zum Beispiel in Lüneburg eigene Auswahlen gezeigt, oder unter GUTE AUSSICHTEN CHOICE suchen sich die Kuratoren selbst etwas aus. Die Wirkungsvielfalt geschieht auf ganz verschiedenen Ebenen. Uns ist auch wichtig, das nicht nur davon zu erzählen, sondern auch zu ermöglichen.


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