Foto: Henning Rogge/Deichtorhallen Hamburg

»Video ist ein fehlerbehaftetes Medium«

12. April 2019

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Fuzzy Dark Spot – Videokunst aus Hamburg lautet der Titel Deiner Ausstellung in der Sammlung Falckenberg. Gibt es besonders viele Videokünstler hier in der Stadt? Kann man von einem Schwerpunkt sprechen?

Bei meiner Recherche im Vorfeld der Ausstellung bin ich auf die Bewegung der Gegenöffentlichkeit gestoßen. Dabei ging es aber nicht um einen Kunstbegriff, sondern um eine „Selbsttätigkeit“. Darunter ist eine autonome, selbstorganisierte und kollektive Mediennutzung zu verstehen, die sich unter anderem mittels Video ausgedrückt und in den 70er Jahren mit den Medienzentren in Hamburg begonnen hat. Das sind heute noch sehr aktive Einrichtungen, die einen aufklärerischen Umgang mit Video praktizieren und politisch relevante Beiträge produzieren. Für die Ausstellung ist dies sehr interessant, denn diese Videos setzen sich mit dem Zustand der Welt auseinander.

Was war der Anlass für diese Ausstellung?

Vor neun Jahren hat Harald Falckenberg mir eine Ausstellung angeboten. Im Laufe der Zeit veränderte sich das Konzept von einer Einzel- zu einer Gruppenausstellung. In der Sammlung Falckenberg haben bereits zwei von KünstlerInnen kuratierte Gruppenausstellungen stattgefunden: „Weißer Schimmel“ (2010) und „Captain Pamphile“ (2011). In dieser Tradition ist auch „Fuzzy Dark Spot“ zu sehen.

"Fuzzy Dark Spot" lautet der Titel. "Unscharfer dunkler Fleck" - klingt rätselhaft. Kannst Du ihn erklären? Jedes der Bestandteile hat es ja in sich. "Fuzzy" heißt "unscharf", "verschwommen", weshalb es auch in Richtung zufällig interpretierbar ist wie in der "Fuzzy Logic". "Spot" wiederum ist ein Fleck, der sowohl aus Schatten als auch aus Licht bestehen kann wie der Scheinwerfer. Ein Fleck also, der sowohl etwas sichtbar macht als auch etwas verschleiert?

Ja, wunderbar zusammengefasst. Der „Fuzzy Dark Spot“ ist eine Irritation der Wahrnehmung, ein dunkler Punkt, den man nicht scharf sehen kann. „Fuzzy“ funktioniert wortmalerisch im englischen wie im deutschen: „fusselig“, „faserig“, „undeutlich“. Der dunkle Schatten, den dieser Fleck wirft, markiert wiederum einen Ort, das ist eine weitere Übersetzung von „spot“. Gleichzeitig löst dieses Phänomen auch ein Gefühl der Beunruhigung aus, der „Fleck“ befindet sich im Reich des Dunklen und des Unheimlichen. Ich bin zuerst auf diesen Ausdruck in einem Internetforum gestoßen, in dem Kamerafreaks sich über rätselhafte Flecken auf ihren Fotos unterhielten: „There is a fuzzy dark spot on my photos. Cleaned my lens, fuzzy dark spot still there.“ In dem Fall hatte sich Schimmel in dem Objektiv eingenistet, und da er sich zwischen der Welt und der Abbildungsebene befindet, kann er nie scharf abgebildet werden. Die „Fuzzy Logic“ kennt man aus der Regeltechnik, sie geht auf Platon zurück und steuert heute beispielsweise japanische U-Bahnen, hilft aber auch künstlicher Intelligenz bei der Spracherkennung. Auch eine ziemlich unheimliche Sache.

Schon Platon nahm an, dass zwischen wahr und falsch ein dritter Bereich liegen müsse. Im Falle der Maschinensteuerung und desundund Kameraobjektivs beschreibt fuzzy ein unscharfes Drittes, das sich dazwischen schiebt: zwischen Innen und Außen in der Wahrnehmungsapparatur und zwischen die Pole einer einfachen zweiwertigen Logik. Die Fuzziness bezeichnet also nicht nur den sprichwörtlichen blinden Fleck, sondern auch die menschliche Fähigkeit, sich im Ungefähren zu orientieren?

Genau. Um im Bild zu bleiben: Die „fuzziness“ ist im Grunde genommen die Möglichkeit, mit dem „dark spot“, dem blinden Fleck, umzugehen. Das ist eine menschliche Fähigkeit, die die Maschine von sich aus nicht hat. Vieles, dessen Konturen man nicht exakt bestimmen kann, kann man dennoch im Unscharfen erahnen. Und das ist auch die Herausforderung an die AusstellungsbesucherInnen bei dieser Ausstellung.

Die Ausstellung zeigt nicht nur eine solche Menge an guten Videokünstlern, dass man in Zukunft Hamburg als eine regelrechte Hochburg bezeichnen möchte, sondern eröffnet auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Medium Video.

Der „Fuzzy Dark Spot“ lässt sich besonders gut in der Videokunst verorten. Videobilder sind seit jeher unscharf, grobkörnig und dunkel. Video ist ein extrem fehlerbehaftetes Medium, das an die Grenzen der Abbildbarkeit stößt. Es entstammt primär dem Fernsehen, ohne das Fernsehen gäbe es keine Videokunst. Speziell Video ist in der Lage, eine „Abbildungsrealität“ zu thematisieren. Friedrich Wolfram Heubach hat schon 1983 formuliert, dass das Videobild den Unterschied zwischen Abbildung und Abgebildetem aufhebt, und zwar sowohl räumlich als auch zeitlich. Der so genannte „closed circuit“, der „geschlossene Kreislauf“ von Nam June Paiks „TV-Buddha“ (1974) führt das exemplarisch vor: Die Buddhastatue wird von der Kamera aufgenommen, die das Bild gleichzeitig an den Monitor übermittelt, vor dem der Buddha sitzt und sich selbst anschaut wie in einem Spiegel. Das heißt, um kurz Heubach wiederzugeben, dass die Existenz in der Realität und die im Bilde zusammenfällt.

Gerade die frühe Videokunst der 70er Jahre arbeitet sich ja an dem neuen Massenmedium regelrecht ab, Stichwort Medienkritik. Sind diese Fragen immer noch aktuell?

Auf jeden Fall. Das Video hat eine unterschwellige Wirkungsebene. Es wurde und wird auch zur Manipulation und Überwachung genutzt. Was macht die Präsenz von Überwachungskameras im öffentlichen Raum mit uns? Oder im Privatraum? Jeder neue Fernseher hat inzwischen eine Kamera und ein Mikrofon eingebaut. Die Ausstellung erschöpft sich aber nicht in der Medienkritik. Gerade die von Heubach beschriebene Gleichzeitigkeit der Existenz in der Realität und im Bilde hat es in sich, besonders in Hinblick auf die allzeit verfügbaren Kameras in Smartphones und Smart-TVs. Sie produzieren eine unglaubliche Menge an Videobildern, die alles und jeden aus allen Perspektiven zeigen. Aber gleichzeitig gibt es einen Zweifel an der Echtheit von Bildern, an der Wahrheit überhaupt. Obwohl der moderne Mensch mit jedem neuen digitalen Gadget und jedem weiteren Posting in sozialen Netzwerken irgendwie immer wieder betrogen wird oder auch sich selbst betrügt: Es entsteht dabei ein Gefühl des Unbehagens, dass etwas nicht stimmt. Dieses Gefühl ist der innere „Fuzzy Dark Spot“.

Wie zeigen sich diese Aspekte konkret in den ausgestellten Arbeiten, die doch sehr unterschiedlich sind? Nehmen wir ein Beispiel: Bei Reconstructing Damon Albarn in Kinshasa (2010) von Jeanne Faust sieht man zwei Personen, die sich erst über einen toten Hund, dann über ein Foto von Damon Albarn in Kinshasa unterhalten.

Es geht um die Beschreibung einer Fotografie, die den Musiker Damon Albarn in Kinshasa zeigt, die sich mit dem Gespräch über einen toten Hund vermischt. Der wurde aber eigentlich als geschicktes Ablenkungsmanöver für den Betrachter ausgedacht. Am Ende hat man das Foto von Damon Albarn so vor Augen, als hätte man es selber gesehen. Aber existiert dieses Bild überhaupt „real“ oder nur in der Vorstellung, die hier hervorgerufen wurde? Die Frage bleibt offen, und gerade dies ist der „Fuzzy Dark Spot“, der sich offenbart.

Ähnlich in dem Video von Aurelia Mihai, Tal der Träumer (2004), das mit dem Genre Reportage spielt. Hier werden Ausgrabungen ägyptischer Monumente bei Los Angeles gezeigt. Ach so, alles klar, denkt man zunächst, doch handelt es sich dabei gerade nicht um ägyptische Altertümer, sondern um Überbleibsel aus Hollywoodfilmen. Auf einer dritten Ebene berichtet die Reportage auch über reale Gebäude in diesem Stil, die in Las Vegas stehen. Mihai nimmt also die von Siegfried Zielinski im Katalog betriebene Methode der Medienarchäologie beim Wort, überträgt sie aber auf eine reale dingliche Ebene, die ihrerseits verschiedene Abstufungen von Imitation ineinander verschachtelt. Die Geschichte gerät immer mehr zwischen die Ebenen von Fiktion und Zeitgeschichte.

Stefan Panhans löst in Freeroam À Rebours, Mod#I.1 (2016) ein ähnliches Flirren zwischen Realität und Fiktion aus. Allerdings bezieht sich dies auf menschliches Verhalten.

Panhans lässt echte Schauspieler Figuren aus Computerspielen nachahmen, allerdings in Situationen, die vom Spieleentwickler nicht vorgesehen sind: Sie hängen in Schleifen fest und wiederholen wie autistisch Handlungen im Zustand der Entscheidungslosigkeit. Da diese „Avatare“ von Menschen dargestellt werden, wirken sie umso tragikomischer, verzweifelter und verwirrter - und gerade deshalb erscheint dieser Zustand so seltsam vertraut.

Hast Du als Künstler einen anderen Zugang zu einem solchen Ausstellungsprojekt als ein klassischer Kurator? Gibt es einen spezifisch künstlerischen Anspruch dahinter?

Der „Fuzzy Dark Spot“ ist seit langem ein künstlerisches Anliegen für mich. So wie ich das Thema in meinen eigenen Arbeiten versuche, vielschichtig zu bearbeiten, möchte ich es auch in dieser Ausstellung durch Auswahl und Kombination der Arbeiten meiner KollegInnen tun. Die ausgewählten Arbeiten sind keinesfalls die Illustration einer kuratorischen These oder des Ausstellungstitels. Sie veranschaulichen, und das ist das Schöne daran, keine bestimmten Begriffe, sondern thematisieren jeweils ganz eigene mediale „Fuzzy Dark Spots“. Die Ausstellung erhebt jedoch, trotz des im Laufe meiner Recherche stark angewachsenen Materials, keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Jede der gezeigten Arbeiten geht das Thema von einer anderen Seite an. Ich möchte den einzelnen Arbeiten Luft lassen, ihren jeweils eigenen tiefsinnigen Charakter zu entfalten. Aus ihnen heraus ergeben sich Verknüpfungen, die den „Fuzzy Dark Spot“ in seinen verschiedenen Facetten wahrnehmbar machen.

Der Ausstellungskatalog vertieft einzelne Aspekte dieses vieldimensionalen Geflechts. Außerdem gibt es Führungen, ein Rahmenprogramm in der Sammlung an zehn länger geöffneten Freitagen und fünf zusätzliche Videoabende im Metropolis Kino.


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