Foto: Henning Rogge/Deichtorhallen Hamburg

»Träume sind für meine Arbeit wichtig«

30. April 2019

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HALLE4: Stefan Panhans, am Anfang deiner vierteiligen Serie HOSTEL (2018) wird die Situation eines Traumes erzählt, die wohl jeder von uns kennt: Man sitzt im ICE und hat den Eindruck, »Allen fehlt etwas«, aber man »weiß nicht was. Das macht das mulmige Gefühl aus«. Ist dieses mulmige Gefühl ein Auslöser für deine künstlerische Arbeit?
Stefan Panhans: In meinen filmischen Arbeiten wird oft aus Träumen von mir oder von Freunden zitiert. Träume sind für die Texte, aber auch die Bilder meiner Arbeit wichtig. Es kann darin viel von einem gesellschaftlich kollektiven Unbewussten zum Vorschein kommen. Einer der Auslöser für HOSTEL war allerdings etwas anderes, nämlich die Facebook-Posts einer Performerin mit der ich bei FREEROAM À REBOURS MOD. #I.1 schon zusammengearbeitet hatte. Als Deutsche mit koreanischem Background und »asiatischem Aussehen« hatte sie dort immer wieder über ihre rassistischen Alltagserfahrungen berichtete. Viele weitere Teile des HOSTEL-Textes haben ihre Grundlage in Erzählungen und Berichten der Schauspieler*innen selber, die ich dann mit weiteren Elementen ergänzt und verwoben habe.

Deine Inszenierungen einer psychologisierten Konsumgesellschaft lassen mich an Adam Curtis und seine Dokumentation CENTURY OF THE SELF (2002) denken, in der er zeigt wie Edward Bernays die Erkenntnisse der Psychoanalyse seines Onkels Sigmund Freud für marktwirtschaftliche und politische Manipulationen der Menschen nutzte. Bernays haben wir z. B. den SUV zu verdanken, der das Bedürfnis, sich stärker als der andere zu fühlen, befriedigt.
Diese Doku habe ich tatsächlich vor ein paar Jahren gesehen! Ich kann sie nur jedem wärmstens empfehlen. Bernays hat einen wichtigen Anteil an der Möglichmachung des Übergangs von einer bürgerlichen Zivilgesellschaft hin zur Konsumgesellschaft. Er hat beratend für Weltkonzerne, die amerikanische Regierung und die CIA gearbeitet. Er ist eine Schlüsselfigur des zwanzigsten Jahrhunderts, aber kaum jemand kennt ihn! Ich frage mich, ob dieser Mann tatsächlich daran glaubte, auf seine Weise zum Fortschritt und der Verbesserung der Welt beizutragen – oder ob er einfach ein ziemlich eigennütziger und machtbesessener Dämon war. Wahrscheinlich von beidem etwas. Wir sitzen heute alle in einem Boot, an dem er mitgebaut und das er in den Strom befördert hat. Aus diesem Strom speisen sich natürlich auch meine Videoarbeiten. Das Script zu HOSTEL ist beispielsweise eine Collage aus Schilderungen über die zunehmend beschleunigte, kulturelle Arbeitswelt. Prekäre Lebensbedingungen und Erlebnisse von Rassismus in Beruf und Alltag werden verwoben mit Floskeln aus Werbe-E-Mails und Passagen aus Literatur, Theorie und Rap-Songs.

Deine erste große Einzelausstellung hattest du im Jahr 2011 im Museum für Gegenwartskunst in Siegen. Deine Inszenierungen zeigen eine beängstigende Leere angesichts hohler und angstgesteuerter Selbstvermarktung. Durch die wahnhaften Einflüsterungen der Protagonisten geriet man immer wieder ein Stück weit selbst in die an ihnen vollzogene Gehirnwäsche hinein. Dagegen setzt du aber Verfremdungseffekte. Wie sehen diese aus?
In den meisten meiner Videos sind die Figuren ja keine üblichen Charaktere. Ihre Styles, die Raumszenerien, ihre Bewegungen und die Texte, die sie sprechen – und auch wie sie sprechen – sind extrem stilisiert. Alles ist wie in einer Collage zusammengesetzt und stammt aus ganz unterschiedlichen Bereichen und Quellen. Man bemerkt nur die Schnittstellen nicht sofort. Einerseits sind da einigermaßen realistische Personen zu sehen, andererseits sprechen diese sozusagen »in Zungen«, als ob sie besessen wären von kulturindustriellem und digitalem Strandgut. Das wird verwoben mit wiederum ganz persönlich individuell wirkenden Passagen, als ob sie gar keine abgeschlossenen und souverän selbstbestimmten Individuen wären, sondern zum Teil fast ferngesteuerte Figuren. Sie befinden sich in Szenerien, die ebenfalls eine Mischung aus dem überquellenden Strom von Medienbildern aus diversen Jahrzehnten, aus Erinnerungen an Filme, Werbung, Fotos und all dem, was uns ja auch wirklich ständig durchfließt.

Vielleicht liegt gerade in dieser Überspitzung eine andere Art Realismus, so dass man sich darin selbst wiederfindet.

Wir sind eben nicht komplett souveräne Individuen, sondern durchwirkt und mitbestimmt von dem, was uns umgibt und vorgesetzt wird. Es sind eher ambivalente Zeitbilder, die eine verdrängte, ungeliebte Wahrheit aufscheinen lassen wollen, damit wir uns von da aus eventuell doch »ein klein wenig weniger regieren lassen«, wie Foucault es so schön gesagt hat.»

Mit FREEROAM À REBOURS MOD. #I.1 (2016) beginnt bei dir etwas Neues. Der Film lebt von der Montage: Zum ersten Mal gibt es mehrere Schnitte und es ist fremdes Material hinein collagiert. Über den ästhetischen Effekt hinaus ist die Symbiose von Avatar und Mensch auch in emotionaler Hinsicht interessant. Was hat dich zu diesem Video inspiriert?
Die Avatare werden durch »Fehler« im Verhalten der Spieler gesteuert: Wenn die Spieler innehalten, zögern, den Avatar vorübergehend nicht richtig zu steuern vermögen oder pausieren. Dieses Unvermögen der Spieler ist die Hauptquelle der Szenerien, die wir nachgestellt haben. Hinzu kommen die Effekte, die dadurch entstehen, dass die Avatare nicht perfekt realistisch menschliche Bewegungsmuster besitzen, sondern nur sehr ähnliche. Diese Differenz zwischen uns Menschen und uns entsprechenden virtuellen Figuren nennt man auch das uncanny valley. Man festgestellt, dass je ähnlicher die virtuellen Figuren uns werden, desto unheimlicher die Restdifferenz empfunden wird.

Ich glaube aber, dass das Interesse daran, diese Szenerien nachzuspielen nur aus dem Grund so wachsen konnte, weil ich selber gar keine Computerspiele spiele, sondern nur stundenlang konsumiert habe, wie andere das spielen und auf YouTube hochgeladen haben. Somit hatte ich nicht den direkten mechanischen Bezug, sondern ich habe die Szenen angeschaut, als ob ich einen Film schauen würde. Dann sieht man eben menschenähnliche Figuren, die sehr merkwürdige Sachen machen. Man identifiziert sich vielleicht sogar mehr mit den Figuren, als wenn man sie aktiv steuert. Mir waren genau diese dem Ideal der reibungslosen ‚action‘ widerstrebenden Momente des Scheiterns und Unvermögens fast schon körperlich sympathisch.

Im Rahmen der von Wolfgang Oelze kuratierten Ausstellung Fuzzy Dark Spot in der Sammlung Falkenberg werden alle vier Episoden von HOSTEL im Hamburger Metropolis-Kino gezeigt. Unlängst hat jemand geschrieben, die Rezeptionsweise von Kinofilmen und Videokunst unterscheide sich insofern, als dass die Zuschauer sich im Kino möglichst in die Mitte setzten, sich hingegen vor der Videokunst an den Rand positionierten, um eine kritische Distanz zu wahren, vielleicht aber auch um sich unauffälliger verdrücken zu können. Welche Chancen siehst du in zu Museen und Galerien alternativen Präsentationsformen für Videokunst?
Eine sehr lustige Beschreibung! Man muss immer schauen, welche Arbeiten in welchem Zusammenhang und auf welche Weise gezeigt werden. Bei HOSTEL gibt es zum Beispiel für Ausstellungen die Präsentationsform als Installation. Man schaut dann die Serie in einer räumlichen Situation, die eng mit der Welt darin verbunden ist. Man wird während des Schauens ein bisschen Teil dieser Welt. Außerdem ermöglicht diese installative Version die Präsentation auch in hellen Räumen, zum Beispiel in Gruppenausstellungen mit anderen Skulpturen, Installationen oder Bildern. Eine weitere Möglichkeit ist eben das Kino, wo es eher einen popkulturellen Zusammenhang gibt und ein ganz anderes Publikum erreicht werden kann. Ich hätte auch keine großen Berührungsängste, bestimmte Videos auf Streaming-Portalen zu zeigen, wenn die Bedingungen stimmen. Dass es da Interesse gibt, ist allerdings bei meiner Art Filme wohl eher nicht ganz so wahrscheinlich (lacht).

Uns bleibt noch ein wenig Zeit, um über HOLLOW SNOW WHITE (2014) zu sprechen, ein Video, das bisher selten zu sehen war. Wie FREEROAM À REBOURS MOD. #I.1 ist es auch in der Ausstellung zu sehen.
Okay: Ein abgestripptes Superbike, ein verwirrter Hund und ein traumatisierter Partisane im raumlos transzendierenden Weiß eines Film- oder Fotostudios. Celebrity News, Ebay-Auktionslisten, ein wilder Traum mit verbrannter Shopping Mall, Pferden und Insekten, die in Zeitlupe zu Pixel-Fragmenten explodieren.


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