Kollision der Formen
23. January 2023
FOTO: HENNING ROGGE
23. January 2023
Bereits seit den frühen 2000er Jahren hat der amerikanische Fotograf Paul Mpagi Sepuya mit intimen Porträts von Freunden und Liebhabern innerhalb der queeren Kultur für Aufsehen gesorgt. In einer improvisierten Studioumgebung in seinem New Yorker Apartment fotografierte er sein soziales Umfeld. Mit SHOOT (2005-2007) publizierte er damals eine Serie von ‚zines‘, deren Bilder wiederum schnell in stilprägenden Magazinen wie BUTT zirkulierten. In den vergangenen Jahren hat sich sein visuelles Vokabular jedoch kontinuierlich weiterentwickelt, mit welchem er die Studioporträtfotografie und ihre historischen Bedingungen erforscht. Dabei gelingt es ihm das Medium selbst als auch Fotografiegeschichte künstlerisch zu reflektieren. Mittlerweile umfasst sein Werk eine Vielzahl von fortlaufenden Serien, die er heutzutage in seinem Studio in Los Angeles erweitert.
In der nun im PHOXXI zu sehenden Ausstellung DAYLIGHT STUDIO / DARKROOM STUDIO widmet sich der erste Teil der gezeigten Arbeiten den Künstler:innenateliers und ihren Requisiten des 19. und 20. Jahrhunderts. Während seiner Recherche zu den Künstler:innenstudios und deren Beiwerk entdeckte er einen Vorreiter der männlichen Aktfotografie, F. Holland Day (1864-1933), und eines seiner Models, J. Alexander Skeete (1874-unbekannt). ‚Ich habe nie darüber nachgedacht, mich in meinen Serien auf Fotografien des 19. Jahrhunderts zu beziehen,‘ erzählt er über die Entstehungsgeschichte der Porträtreihe ‚Daylight Studio‘. ‚Aber gleichzeitig sah ich mir diese Bilder von F. Holland Day an - seine Fotografien eines Mannes, der lange Zeit nicht wirklich anerkannt wurde. Sein Name ist J. Alexander Skeete und er war so etwas wie ein Freund, Mentor und Model für F. Holland Day.‘ Day inszenierte sein Modell damals beispielsweise als einen äthiopischen Anführer mit den in seinen Augen dazugehörigen Insignien und Kleidungsstücken in dem Bild An Ethiopian Chief (ca. 1897).
Skeete war selbst Künstler, jedoch war es ihm aufgrund seiner Herkunft am Ende des 19. Jahrhunderts verwehrt eine gleichwertige Position zu dem weißen Fotografen Day einzunehmen. In einem der ersten Bilder aus der nun gezeigten Serie ‚Daylight Studio‘ greift Sepuya nun diese soziale Positionierung innerhalb der Fotografiegeschichte auf, indem er sie umkehrt: so inszeniert er (als schwarzer Fotograf) einige seiner weißen Freund in seinem Atelier mit Requisiten aus den vergangenen Jahrhunderten, die damals in der Studioporträtfotografie als Dekoration und zur Zwecken der Inszenierung zum Einsatz kamen: ein nackter Mann stützt sich vor einem schwarzen Vorhang mit seinem linken Arm auf ein Arrangement aus hölzernem Podest und Sockel, in seine rechte Brust sticht ein Besenstiel. Sein Gesicht ist leicht versteckt hinter seiner linken Hand. Die Pose wirkt zugleich anmutig-statuesk – in Anlehnung an die Skulpturen der griechischen Klassik – als auch melancholisch, in Gedanken versunken. Es ist ein außergewöhnliches Bildarrangement, das zugleich unkonventionell wirkt, die Spielregeln der klassischen Studioporträtfotografie unterwandernd.
Andauernd hinterfragt Sepuya traditionelle Bildmuster der Porträtfotografie. Gliedmaßen als Bildelemente, nackte Körper, schwarze Vorhänge, Spiegel, der Apparatus des fotografischen Akts oder der Studioraum selbst tauchen in seinen sorgfältig arrangierten Bildkompositionen immer wieder auf. Seine Fotografien fordern die Betrachter:innen heraus, die verschiedenen Elemente und Bildebenen zu entschlüsseln. Die etablierten Konventionen der Studioporträtfotografie, die Rolle des Porträtierten und des Fotografen bringt er durch den Einsatz von seinen visuellen Strategien und dem Spiel mit den Requisiten durcheinander.
In einer anderen Bildkomposition versinken zwei nackte Männer in einem Meer aus rostfarbenen Samtkissen, die auf zwei stilvoll übereinander drapierten Teppichen liegen. Obwohl sie sich einander gegenüberliegend positioniert haben, wirken ihre Körper miteinander verschlungen. Ebenso die Blicke, die sie sich zu werfen. Wieder ist der schwarze Vorhang im Hintergrund zu erkennen, nehmen Kissen und Teppiche denselben Stellenwert ein, wie die darin platzierten Personen. Es sind spezifisch ausgewählte Requisiten und Positionen, die Sepuya einsetzt, um als Referenzen zu bestimmen historischen Zeitperioden zu dienen. Wer ist hier das schöne Beiwerk?
„Ich möchte, dass Besucher:innen ein Gefühl für Zeit erleben, eine Kollision von unerwarteten Formen und Inhalten aus dem 19. Jahrhundert bis heutzutage“, sagt Sepuya. „Die Bilder sind so sehr ein Teil meines Ateliers, von mir selbst und den Menschen in ihnen, dass ich sie in gewisser Weise als einen geschlossenen Kreislauf betrachte, in dem das Erlebnis bereits stattgefunden hat. Worüber ich aber nach wie vor nachdenke, ist die Beziehung der Bilder zueinander, ihre Logik und wie Besucher:innen beginnen können, Details zu bemerken, um die dahinterliegende Bedeutung zu enthüllen.“ In den gezeigten Arbeiten von DAYLIGHT STUDIO / DARK ROOM STUDIO geht es Sepuya um die drei Lichtbedingungen im Studio: Tageslicht, Dämmerung und das ‚safe light‘ - und um Anspielungen auf die Kunstgeschichte, die soziale und politische Geschichte und Momente der Fotografiegeschichte im 19. und 20. Jahrhundert.
Mit den Bildern der Serie DARK ROOM STUDIO spielt Sepuya dann bewusst mit der Zweideutigkeit des Begriffs ‚dark room‘: als Fotolabor und als Raum für sexuelle Experimente innerhalb der schwulen Community. Mit rotem ‚safe light‘ ausgeleuchtet begegnen sich hier Männer – ab und zu sind ihre Posen und Interaktion klarer zu erkennen, die meisten Bilder bleiben jedoch mysteriös aufgrund einer gezielt eingesetzten Verschwommenheit. Er spielt hier bewusst mit homoerotischen Bildinterpretationen. Sollen die Betrachter:innen in die Rolle von Voyeur:innen versetzt werden? „Die Positionierung der Betrachtenden als Außenstehende, die nicht in der Lage sind, das Subjekt zu erkennen soll ihnen zeigen‚ dass sie das Privileg haben, dieses Bild zu betrachten, aber ihr Wunsch, in diesen Raum einzutreten, mehr zu erleben – es ist uns, denjenigen, die dieses Bild gemeinsam geschaffen haben, gleichgültig“, antwortet Sepuya.
Bereits Alvin Baltrop hat zwischen 1975–1986 mit seiner Serie The Piers schwules Cruising dokumentiert. Es dauert über 20 Jahre bis seine Arbeiten, die mittlerweile als Klassiker der schwulen Fotografie gelten, Beachtung fanden. Trotzdem sind sexuelle Praktiken oder Orte der schwulen Community in der künstlerischen Fotografie bisher selten beleuchtet worden. Sepuya erschafft nun in seinem Studio einen Ort für Experimentierfreude. „Ich bin daran interessiert, Aspekte wie Spiel und Begehren, welche in vielen schwulen und queeren Freundschaften vorkommen, anzuerkennen, mit ihnen zu experimentieren und sie dadurch zu verstärken.“
DARK ROOM STUDIO kann als lineare Weiterentwicklung verstanden werden, welche die gestiegene Komplexität und Bedeutungsebenen seiner Bildwelt fortsetzt, um schwule Kultur visuell zu reflektieren. Gleichzeitig wird seine Bildsprache von schwulen Apps wie Grindr und den darin hochgeladenen Fotos beeinflusst. „Sie produzieren neue Darstellungsformen und verändern bestehende Muster der Repräsentation und Selbstrepräsentation. Sie stehen in Beziehung zu meinen Bildern und ich beziehe sie direkt in meine Arbeiten ein, welche die Entstehung solcher Bilder in der Selfie-Kultur zeigen. Oder das, was ich schon vor den heutigen sozialen Medien als eine Währung der Selbstdarstellung beschrieben habe.“ Seine Arbeiten seien auch eine Reaktion auf die schwule Fotografie und ihre gängigen Repräsentationsformen, die er seit seiner Jugend wahrgenommen habe, die jedoch selten über das homoerotische Begehren hinaus gereicht habe.
Wenn wir Sepuyas Bildwelten betrachten, wäre es jedoch falsch sie auf ihre homoerotische Lesart zu reduzieren. Zärtlichkeit und Verletzlichkeit sind in DARK ROOM STUDIO ebenso spürbar, was sicherlich durch die enge Zusammenarbeit mit den Porträtierten zustande kommt. Ist sein Studio somit eine Art ‚safe space‘? „Freunde haben mich gebeten, sie in Momenten der Veränderung zu fotografieren. In Momenten der Verwundbarkeit oder der Neugierde. In diesen Momenten ist es mein Studio ein sicherer oder zumindest nicht bedrohlicher, wenn auch zunächst einschüchternder Raum. Ich freue mich, diese Porträts zu machen, und sie können für die beteiligten Freunde befreiend und ermutigend sein.“