Foto: Henning Rogge/Deichtorhallen Hamburg

Habt mehr Geduld!

VON TASJA LANGENBACH

27. May 2019

Share

In ihrem HALLE4-Interview mit dem Künstler Stefan Panhans spricht Cora Waschke aus, was viele denken, wenn sie den Begriff Videokunst hören: Videokunst ist anstrengend. Sie ist auf keinen Fall zur Unterhaltung gedacht. Sie braucht so viel Geduld – vor allem in Ausstellungen, in die man sowieso immer zu wenig Zeit mitbringt. Beim Spielfilm im Kino weiß man wenigstens, worauf man sich einlässt. Und dann immer wieder die Frage, ob das denn wirklich Kunst sei, denn Video ist ja heute überall, macht jede*r. Wo zieht man da die Grenze?

Video ist im kunsthistorischen Sinne vielleicht ein junges Medium, aber mit 50 Jahren doch schon im fortgeschrittenen Alter. In dieser Zeit hat es die Kunst der bewegten Bilder aus den Nischenpräsentationen in Off-Räumen zur Präsentation in Museen und, wenn auch in weit geringerem Umfang als die klassischen Medien, in die Galerien und Messen geschafft. Videokunst ist also angekommen im Kunstbetrieb. Beim Publikum hat es Video aber immer noch schwer.

Es stimmt ja: Video ist ein Medium, das uns herausfordert, durch die vielen Möglichkeiten seiner Präsentation, im Kino ebenso wie im Museum. Es fordert uns heraus durch die zeitliche Einlassung, die es von uns im Moment der Betrachtung verlangt. In unserer Kunstrezeption wird immer noch gerne in Kategorien gedacht, geschrieben und gesehen. Das Verstehen von Kunst wird immer noch gerne anhand der „stillen“ Bilder wie Malerei oder Fotografie vermittelt und gelernt. Die unglaublich ästhetische wie inhaltliche Vielfalt des Mediums macht eine klare Einordnung in ein Genre, einen Stil oder eine andere kunsthistorische Kategorie aber schwierig. Natürlich erschließt sich nicht jedes Video gleichermaßen und wird zu uns in gleicher Weise sprechen. Wie jede andere Kunstform will aber auch das Video-Sehen gelernt sein und das braucht oft viel weniger Wissen als vielmehr ein bisschen mehr Zeit und Muße.

Für mich persönlich macht aber genau das den Reiz dieses Mediums aus. Video ist eine Herausforderung und eine Zumutung, im positivsten Sinne. Es mutet mir zu, mir immer wieder die Zeit zu nehmen, mich auf das Zusammenspiel von Bild, Ton und Text einzulassen. Dabei schätze ich nicht nur, dass Video mich immer auf mehreren sinnlichen Ebenen gleichzeitig anspricht, sondern auch die Tatsache, dass es mich auch durch seine räumliche Präsentation – ob in einer Black Box, als Monitorpräsentation, Projektion oder Installation im Raum oder im Kinoraum – körperlich einbezieht. Diesen immersiven Moment, der bei jeder Präsentation von Video zum Tragen kommt, verstehe ich als Einladung, Position zu beziehen; mich dem Kunstwerk zu entziehen, wenn es mir zu viel oder auch zu wenig wird oder mich voll und ganz einzulassen, wenn ich mich danach fühle. Dieses Einfordern einer aktiven Haltung des Betrachtenden empfinde ich immer wieder als große Wohltat im Sinne einer Aufforderung zur selbstbewussten Kunstbetrachtung und im Gegensatz zum Festgetackertsein am Kinosessel oder dem Abgehen der immer gleich gehängten Bilder an der Wand.

Video mutet mir ebenso zu, mich mit der ganzen Bandbreite an künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten zu befassen. Video ist das einzige künstlerische Medium, das alle anderen künstlerischen Medien − aber auch die uns ständig umgebenden alltäglichen Medien − in sich vereint und zu etwas Neuem zusammenführt. Video öffnet damit kritisch unseren Blick auf Funktionsweisen und Mechanismen der Bildproduktion und erweitert nicht nur unser ästhetisches Verständnis von Video selbst, sondern auch von denjenigen Medien, auf die es sich bezieht oder die es einbezieht.

Zuletzt mutet Videokunst mir zu, mich mit dem Außen in all seiner Vielfalt auseinanderzusetzen. Denn Video kann vor allem erzählen. Video spricht im wahrsten Sinne alle Sprachen, die wörtlichen wie die bildlichen, und ist damit in der Lage, uns im kurzen Clip ebenso wie in Endlosschleife von den Peripherien wie den Zentren zu berichten. Dabei fordert uns Video regelmäßig heraus, genauer und kritischer hinzuhören und hinzusehen und unseren Blick auf die Welt neu zu justieren.

Tasja Langenbach ist künstlerische Leiterin der Videonale. Das Festival für Videokunst und zeitbasierte Medien findet zweijährlich in Bon statt.


read more