Ein Fenster zur Welt
VON NINA TROMPETTER
11. March 2020
Monika Michalko, Colombo, 2018. © Monika Michalko/Foto: Jan Michalko
11. March 2020
Kein anderes Medium wurde so oft für tot erklärt, begraben, neu erfunden und reaktiviert wie die Malerei. Doch wie kommt es, dass sie heute immer noch Relevanz hat? Dass sich Künstler*innen mit ihr auseinandersetzen?
Für die Ausstellung JETZT! JUNGE MALEREI IN DEUTSCHLAND wurden ausschließlich Arbeiten ausgewählt, die sich mit dem Medium der Malerei in seiner »klassischen« Form beschäftigen. Die Arbeiten bleiben weitestgehend im Rahmen des viereckigen Ausschnittes und spielen mit der Zweidimensionalität der gegebenen Trägerfläche, »ohne konzeptuelle oder ideologische Einschränkungen«. Doch was ist passiert, dass die Kriterien der Form bereits reichen, um die Auswahl einzuschränken? Und welchen ideologischen und konzeptuellen Einschränkungen unterlag die Malerei überhaupt? Um der Frage nach der aktuellen Relevanz nachzugehen, lohnt es sich einen kleinen Rückblick zu wagen auf die Geschichte des Mediums.
Untrennbar ist ihr Werdegang mit der Geschichte des Menschen und seiner jeweiligen Sicht auf die Welt verbunden. Was die Malerei zu leisten hat, wurde immer wieder neu definiert, so wie sich der Geschmack der Gesellschaft veränderte. Dabei ist mal das Was entscheidend, dann ist das Wie bereits mit einer Botschaft verbunden und natürlich Wer sich Wann aus welchem Kontext heraus mit ihr beschäftigt. Seit Leon Battista Alberti ist die Metapher des Bildes als offenes Fenster prägend. Das finestra aperta, ein eckiger, vom Künstler gelenkter Ausschnitt der Welt.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass es lange Zeit als Qualitätsmerkmal galt, die Welt absolut naturgetreu darzustellen, ohne Spuren des Entstehungsprozesses - Fotorealismus, wie man es heute nennt. So ist bereits durch Plinius (4./5. Jahrhundert v. Chr.) ein Streit des Malers Zeuxis mit seinem Kollegen Parrhasius überliefert, wer das naturgetreuere Bild zu malen vermochte. Zeuxis schaffte es zwei Tauben zu täuschen, welche versuchten die von ihm gemalten Weintrauben zu verspeisen. Daraufhin stellte Parrhasius seinem Rivalen ein Gemälde vor, auf dem ein Vorhang zu sehen war. Als Zeuxis ungeduldig bat, diesen doch endlich beiseite zu schieben, brach Parrhasius in schallendes Gelächter aus. Zeuxis hielt den von ihm gemalten Vorhang für einen echten. Das flapsige Urteil des Publikums »das kann ich auch« hatten beide nicht zu fürchten.
Besonders wichtig war lange Zeit auch das Thema des Dargestellten. In einem Traktat aus dem 17. Jahrhundert, legte die Académie royale de peinture et de sculpturein Paris eine klare Hierarchie der Gattungen fest, die lange Zeit ihre Gültigkeit beanspruchte. Ebenso wie Paris sich lange Zeit als Zentrum der Kunst verstand.
Platz Eins beanspruchte das Historienbild – schon durch die Größe des Bildträgers klar erkennbar. Wichtige Schlachten, historische Ereignisse, religiöse und mythologische Szenen dienten der Belehrung des Volkes und dem Ruhm des Monarchen. Der Künstler konnte sich als gebildeter und weltmännischer Teil des Hofstaates präsentieren. Es folgte das Porträt, das Genrebild, die Darstellung des alltäglichen Lebens »einfacher« Leute und die Landschaft.
Ganz unten in der Hierarchie fand sich die Gattung des Stilllebens, leblose Gegenstände, leblos gemachte Tiere, Blumen- und Früchtebouquets. Nature morte. Obwohl bereits in der Antike ausgesprochen beliebt und mit aufgeladenem Symbolgehalt – kundige Betrachter niederländischer Blumenstilleben erschlossen sich ganze Geschichten – blieb das Stillleben eine Randform künstlerischen Ausdrucks.
Die lange Tradition der Malerei bietet dadurch auch ihre Tücken für heutige Maler*innen. So sind diese Hierarchien noch heute in der Kunstwelt zu spüren. Selbst der Malerin Karin Kneffel wurde in der Düsseldorfer Akademie stark davon abgeraten sich in der Malerei mit Früchten oder Tieren zu beschäftigen - zu oft schon gesehen und besonders für Frauen ungeeignet da sich diese Themen zu sehr den gängigen Klischees unterwerfen »Frauenkunst« zu sein. Ein Argument aus der Zeit, als Frauen noch nicht an Kunstakademien zugelassen wurden und sie als wohlhabende Töchter zumeist zu Blumen- und Tieraquarellen verdammt waren.
Im 19. Jahrhundert kam jedoch Bewegung in die Kategorisierung und so mancher begann sich zu fragen, ob Themen und Darstellungsweisen der Akademie noch zum zeitgenössischen Leben passten. Mit dem Wandel des Menschenbildes wollten die Porträtierten zudem von schematisierten Stereotypen zu individuell erkennbaren Personen werden. Der Ruf nach Natürlichkeit und Originalität wurde laut und hatte ebenso Auswirkung auf das Selbstverständnis der Maler. Courbet beispielsweise wurde nicht müde seinen starken, ländlichen Akzent und seine einfach Herkunft zu betonen um sich abzugrenzen.
Mit der sogenannten Schule von Barbizon trat eine lose Gruppe auf, die die »niedere« Gattung Landschaft wählten und auf der Suche nach einem direkten Zugang zur Natur waren, abseits des Ateliers. Ihre Landschaften waren weder idealisiert, noch waren religiös, mythologisch oder kriegerisch motivierte Menschen die Priorität der sie umgebenden Natur. Die Bilder waren nicht mehr glatt gemalt, sondern wiesen Pinselspuren auf. Ein Affront gegen das glatt geschniegelte Expertentum der Akademie und ein Wegbereiter der lockeren, luftigen Bilder der Impressionisten. Die Darstellung des Momentes, des Augenblickes geriet in den Fokus. Dilettantische Farbkleckser, wie sie man sie damals schimpfte.
Der Kampf gegen das Bürgertum und seiner Art zu leben wurde auf der Leinwand ausgetragen. Die Gattungsgrenzen verschwammen allmählich und mit ihnen auch die Art wie über Kunst gesprochen und geurteilt wurde. Ein neues Vokabular musste gefunden werden für eine veränderte Sehweise.
Doch was war passiert? Mit dem aufsteigenden Bürgertum brach für dasKünstlertum ein sicherer Arbeitgeber weg. Adel und Hofstaat verloren an Bedeutung und hatten andere Sorgen. Eine neue Vertriebsfläche musste geschaffen und Format und Themen an die Einrichtung des bürgerlichen Haushaltes angeglichen werden. Das Museum wie wir es heute kennen musste noch erfunden werden und was galt es nun mit seiner Kunst auszudrücken, wenn das Publikum nicht mehr moralisch belehrt werden wollte? Wofür malte man noch? Und was war nun mit dem Image des Künstlers?
Eine neue Malerei musste gefunden werden, mit der sich das neue Publikum arrangieren konnte oder eben nicht. Nach wie vor gilt: ein Skandal sorgt für Aufsehen.
Ein echter Schock in diesen Zeiten war Edouard Manet. Spross einer angesehenen Pariser Familie und in einem renommierten Atelier ausgebildet. Mit Zylinder und Gehstock flanierte er durch die Straßen von Paris, wenn auch in zweifelhafter Gesellschaft Baudelaires, und führte ein ordentliches, vielversprechendes Leben. Wäre da nicht seine Olympia. Eine nackte Dame von zweifelhaftem Ruf, die es auch noch wagt den Betrachter direkt anzusehen. Doch wieso erregte die Darstellung eines Aktes, noch dazu dem einer Frau, so großes Aufsehen? Das Bild wurde seinerzeit bei der Präsentation mit Schirmen attackiert, so sehr erhitzte es die Gemüter. Die Wirkkraft einzelner Bildern vor der Flut durch Social Media.
Die Frau galt Dichtern und Denkern stets als Synonym für die schönen Künste schlechthin. Für einen genialen Einfall küsst einen die Muse. Vielleicht spürte das Publikum instinktiv, dass Manet an den Grundfesten selbst zu kratzen begann. Die Kunst die sich selbst anbietet zum Verkauf – und das auch noch ohne Scham? Sollte Kunst nicht von allen Zweifeln der Käuflichkeit erhaben sein? L’art pour l’art?
Mit dem Aufkommen neuer Medien wie der Fotografie, kam die Malerei erneut in Erklärungsnot. Zum alten Kräftemessen mit der Bildhauerei wurden nun auch noch Ready-Mades von Duchamp zur Kunstform erklärt. Die Grenzen der Medien vermischten sich nachhaltig. Schnell galt die reine Malerei als verstaubt und langweilig. Altbacken. So manches Mal wird neu mit zeitgemäß gleichgesetzt. Doch die Malerei war anpassungsfähig und nutzte die Fotografie für ihre Zwecke. So dienten Fotos auch als Inspirationsquellen und Erinnerungsstützen. Wenn die Fotografie die Wirklichkeit, gesehen durch die Kamera zeigte, dann zeigte die Malerei eben, in Erneuerung des alten Diktums, die Wahrheit durch das Auge des Künstlers. Nach der Jahrhundertwende wurde diese Wahrheit zunehmen rascher im Eindruck, die Pinselführung zackiger. Da die Fotografie schon die vermeintliche Wirklichkeit zeigte, konnte die Malerei zunehmend ihre Gegenständlichkeit aufgeben, so eine Theorie. Ein weiterhin bestehendes Problem ist jedoch das liebe Geld. Wie ließ sich der Wert von Malerei bemessen? Zuvor konnte man in Arbeitsstunden rechnen, die der Künstler für seine exakten Recherchen zum geschichtlichen Kontext des Dargestellten brauchte, die minutiöse Feinmalerei, der Schicht für Schicht Auftrag dauerte eben. Doch die fünf Minuten Bilder der „Brücke“, einer Vereinigung rund um Ernst Ludwig Kirchner?
Nach den verstörenden Erlebnissen von zwei Weltkriegen, der buchstäblichen Defragmentierung des Menschen, stand nicht nur die Malerei vor einem Scheideweg. Was konnte sie noch darstellen, auch im Hinblick auf ihre Geschichte, gab es da noch etwas Neues? Das Zentrum der Kunst verlagerte sich von Europa nach Amerika, speziell nach New York. Der bisherige Werkbegriff wurde in Frage gestellt und insbesondere die künstlerischen Praktiken wurden dem Publikum sichtbar gemacht und neu in Szene gesetzt. Happening und Performance entstanden und erweiterten den Kunstbegriff zusätzlich. Künstler*innen selbst gerieten in den Fokus des allgemeinen Interesses. Yves Klein ließ im Rahmen einer Performance – wie sollte es anders sein – nackte, mit Farbe bemalte Frauen über eine Leinwand rutschen und sparte sich gleich den Pinsel. Der Entstehungsprozess ist nun eigenständiges Werk. Und auch mit dem sogenannten Action Painting fand eine neue, publikumswirksame Form des Farbauftrages statt.
Zu jeder Zeit ist in der Malerei ein Pluralismus an Strömungen und dazu passende Gegenentwürfen zu finden. Das späte 19. und vor allem das 20. Jahrhundert ist das Zeitalter der –ismen und lockeren Künstlerzusammenschlüssen. Ein ständiges Abgrenzen von althergebrachten, ein Spiel mit der eigenen Geschichte oder die komplette Verneinung von Sinnhaftigkeit in der Kunst. Kunst ist alles. Kunst ist nichts. Künstler*in sein ist ein Gesamtkonzept, ein Lebensentwurf geworden, der nicht vor Gattungsgrenzen halt macht. Künstler*innen singen, tanzen, malen, fotografieren, entwerfen Mode, kooperieren mit Baumärkten und bewegen sich am Rande der genormten Gesellschaft, so die Erwartung. Andy Warhol und David Bowie haben vorgelegt. Und auch anderer Akteure, wie Sammler, Kunsthändler, Galeristen, Museumsdirektoren und Kritiker mischen mit und stecken das Spielfeld immer wieder neu.
Wieso ist die reine Malerei, Farbe auf Bildträger, also heute noch oder wieder relevant? Vielleicht weil sie stets mit der Zeit gegangen ist, sich mit anderen Gattungen vermischte und nicht starr blieb. Malerei ist kein bestimmtes Thema oder eine bestimmte Form. Sie umfasst ebenso die goldgerahmte Alpenkulisse in Omas Wohnzimmer, wie die Mona Lisa. Malerei ist wie keine andere Gattung ein Synonym für Kunst. Mit dem Adjektiv malerisch lassen sich zum Beispiel Momente oder Landschaften beschreiben, die zu schön sind um wahr zu sein. Und so ist es auch heute noch der Fall, dass Sie wenn Sie auf einer Party erzählen, sie haben Kunstgeschichte studiert, zumindest einer der Anwesenden sie freudestrahlend informiert: „Ach wie schön, meine Frau malt auch!“. Und vielleicht ist es auch ein bisschen aus demselben Grund, aus dem der E-Reader nicht das Buch verdrängt.