Günter Siefarth und Regisseur Ernst Ludwig Freisewinkel. WDR-Mitschnitt-Service, Photo: Klaus Barisch

Alles vollkommen echt

Die Ausstellung FUZZY DARK SPOT zeigt Ausschnitte aus der deutschen Fernsehübertragung der Mondlandung vor 50 Jahren. Weil damals Live-Bilder fehlten, wurde die Mission im Studio nachgespielt. Doch die Macher stießen bald an die Grenzen des Darstellbaren
VON MATTHIAS SCHÖNEBÄUMER

12. August 2019

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Als Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betritt, schaut Günter Siefarth auf die Uhr. Der Journalist und Leiter der Apollo-Redaktion des WDR ist bereits seit einigen Stunden auf Sendung. Aber Armstrong lässt sich Zeit. Jetzt ist es nur noch ein kleiner Schritt, versichert Reporter Werner Büdler in Houston. »Wollen wir es mal hoffen, auf dem Mond ist nichts so leicht«, murmelt Siefarth nervös. Irgendwo im Hintergrund knistert Armstrongs Stimme: »That’s one small step for man, one giant leap for mankind«. Doch im Kölner Sendestudio geht der berühmte Satz im Funkrauschen unter. »Wir haben den gar nicht mitgekriegt«, erinnert sich Siefarth später.

Dabei ist die Übertragung der Apollo 11-Mission im Juli 1969 auch für das deutsche Fernsehen ein logistischer und technischer Kraftakt. Ein riesiger Sprung für die Medienlandschaft sozusagen. Rund 60 Techniker im Schichtdienst sorgen dafür, dass die »himmlischen Stunden« (Der SPIEGEL) störungsfrei in die deutschen Haushalte flimmern. Doch Live-Bilder sind Mangelware: Beide Sender dürfen nur knapp 130 Minuten von der NASA freigegebene Sendeminuten aus dem All zeigen. Hinzu kommen die instabilen Funknetze und die kaum vorhersehbaren Verschiebungen im Ablauf der Mission. Daher müssen sich die Macher einiges einfallen lassen, um das Programm zu füllen.

Blick in das WDR-Studio während der Sondersendung, links der Nachbau der Raumkapsel. Foto: WDR













Jedes Knöpfchen und jeder Hebel sitzt an der richtigen Stelle. Schließlich gilt es jeden Handgriff der Astronauten in Echtzeit nachzustellen

Die Wissenschaftsredaktion des WDR hat sich daher etwas Besonderes ausgedacht: Obwohl es der NASA nicht möglich ist, Bewegtbilder von den Vorbereitungen zur Landung des Eagle im »Meer der Ruhe« und der Öffnung der Luke zu senden – Astronaut Neil Armstrong musste nach dem Ausstieg erst einmal die Abdeckung der Außenkamera öffnen – sollen die deutschen Zuschauer auf diese Momente nicht verzichten. Mit einer simulierten Studio-Mondlandung wollen die Sender ARD und ZDF ihren Zuschauer so detailliert und korrekt wie möglich »alle entscheidenden Phasen« des Weltereignisses vermitteln. In Köln wird also nachgespielt, was sich im All so tut.

Dafür lässt der Sender die Landefähre-Kabine im 690 Quadratmeter großen Studio B in Köln für rund 9.000 Mark originalgetreu nachbauen, das ZDF kann dafür in seinem Hamburger Studio mit dem Kommando-Stand der Apollo-Kapsel punkten. Die Landefähre in Originalgröße haben sie auch da. Nichts wird dem Zufall überlassen: Konstruktionspläne und Handbücher der NASA sorgen dafür, dass jedes Knöpfchen und jeder Hebel an der richtigen Stelle sitzen. Schließlich gilt es jeden Handgriff der Astronauten in Echtzeit zu kopieren und die komplizierten Vorgänge an Bord für das Fernsehpublikum begreifbar zu machen: »An unserem Modell im Studio beginnt synchron, das heißt zeitgleich mit den Vorgängen auf dem Mond der Ausstieg«, erklärt Siefarth. Nicht auszudenken, wenn die deutschen Astronauten-Darsteller beim entscheidenden Manöver ins Leere greifen. Zur Not behilft man sich eben mit einem Foto der Apollo-Armaturen, das als Panoramabild in das Modell eingeklebt wird. »Alles vollkommen echt«, versichert Raumfahrt-Reporter Werner Stratenschulte.

Für Wolfgang Oelze, Kurator der Ausstellung FUZZY DARK SPOT – VIDEOKUNST IN HAMBURG, in der auch Ausschnitte der TV-Übertragung zu sehen sind, besteht im Gegensatz zwischen der technischen Leistung der Mondlandung und der rührenden Inszenierung im Fernsehstudio der Reiz der WDR-Bilder. »Hier zeigen sich die Grenzen des Darstellbaren«, so Oelze. »Es ging damals eben nicht darum, was man sieht, sondern gerade darum, was man nicht sieht beziehungsweise nicht sehen kann. Das deutsche Fernsehen mit seinen Konventionen der Erzählung bildet sich auch selbst ab«.

TV-Mondlandung in der Ausstellung FUZZY DARK SPOT – VIDEOKUNST AUS HAMBURG in der Sammlung Falckenberg. Rechts: Reproducts, XY-Die Dinge, 1997/2019
Foto: Henning Rogge/Deichtorhallen Hamburg

Der Sportstudent Arno von der Weppen und der Weltraum-Publizist Rudolf Brock führen die penibel nachgebauten Astronauten-Anzüge vor, in denen sie später im Modell der Landfähre herumrutschen werden. Siefarth ist zufrieden: »Sachlich, fachlich richtig« sei das alles. Auch sonst wird auf Korrektheit geachtet. Von den im Studio anwesenden Moderatoren, Raumfahrt-Experten und Professoren erfährt die staunende Bevölkerung außerdem Wissenswertes über Sonnenwinde, Rendezvousradar und die Exosphäre.

Es wird diskutiert, gezeigt und immer wieder nachgefragt (Houston!). Einspielfilmchen, Modelle, Grafiken und Karten werden bemüht. Passanten, Politiker und Prominente sprechen in Mikrofone. Der ehemalige NS-Raketeningenieur Wernher von Braun, jetzt einer der entscheidenden Köpfe des US-Raumfahrtprogramms, kommt in der ARD zu Wort. Das ZDF schickt dafür Günter Grass als Weltraum-Reporter in spe ins Feld, um rauszufinden ob die Raumfahrt-Millionen nicht eher gespendet werden sollten. In der ARD senden sie Apollo-Bilder in »Lunavision«, das ZDF hat dafür die größere Mondkarte. Space Race, made in Germany. Am Ende sehen Millionen Menschen das Großereignis, auf die Idee abzuschalten kommt keiner. Fast 27 Stunden dauert die Sondersendung. Günter Siefarth, der als Mister Apollo in die deutsche Fernsehgeschichte eingehen sollte und später Wahlhochrechnungen präsentierte, kannte sein Publikum: »Wir mussten auf Sendung bleiben. Die Leute hätten uns sonst gesteinigt«.

Matthias Schönebäumer ist Redaktionsleiter von HALLE4.

Die Ausstellung FUZZY DARK SPOT – VIDEOKUNST AUS HAMBURG ist noch bis zum 3. November 2019 in der Sammlung Falckenberg zu sehen.


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