FOTO: © WIKICOMMONS

#Aufstand

Wenn politisches Engagement in den sozialen Netzwerken stattfindet, nennt man das Hashtag-Aktivismus. Wie werden aktivistische Strategien durch das Internet verändert? Und was passiert eigentlich, wenn Politik auf die perfekte Bildwelt Instagrams prallt? VON DONNA SCHONS

28. Oktober 2020

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Als ich am 2. Juni meine Instagram-App öffnete, fand ich dort, wo für gewöhnlich eine sanft zerstreuende Mischung aus Ausstellungsansichten, Memes und Kunstwerken auf mich einrieselt, eine augenscheinlich endlose Reihe schwarzer Quadrate vor. Eine überwältigende Mehrheit der Accounts, denen ich folge, hatte als Solidaritätsbekundung mit der Black Lives Matter-Bewegung unter dem Hashtag #blackouttuesday dazu ermuntert, Social Media einen Tag ruhen zu lassen. Mit dem Bild einer schwarzen Fläche trug jeder einzelne Post ein kleines Stück zum kollektiv fabrizierten digitalen Negativraum bei. Die Aktion wurde von vielen Aktivist*innen dafür kritisiert, dass sie mit kleinstmöglichem Aufwand und großer Öffentlichkeitswirksamkeit das Profilieren als politisch engagierte Person ermögliche. Man mag von ihr halten was man will: die politische Wirkkraft des Hashtags verdeutlichte sie allemal.

Der Hashtag erblickte das Licht der Welt im Jahr 2007, als Twitter noch eine größtenteils von Tech-Nerds frequentierte Plattform war. Chris Messina, einer der rund 20.000 User, schlug vor, Themengruppen mit einem Rautenzeichen zu markieren. Zwei Jahre später war die Praxis, sich mit Hilfe von Hashtags zu bestimmten Ereignissen und Themenbereichen zu äußern, zu einem integralen Bestandteil der Plattform geworden. Die Verschlagwortung durch das Doppelkreuz entstand auf Initiative der Plattform-Nutzenden und gewann durch Reproduktion innerhalb eines kommunikativen Netzwerks an Gewicht – ein Prinzip, das bis heute die Logik des Hashtags prägt.

Es waren Hashtags, mit denen die Demonstrierenden des Arabischen Frühlings Informationen über aktuelle Entwicklungen austauschten und ihre Anliegen im internationalen Raum amplifizierten; es war ein Hashtag, mit dem das konsumkritische Magazin Adbusters inspiriert vom Momentum der Revolutionen dazu aufrief, den Zuccotti Park unweit der Wall Street zu besetzen. #ArabSpring, #OccupyWallstreet und #Indignados in Spanien schürten zu Beginn der 2010er-Jahre die Hoffnung in den Hashtag als Instrument politischer Emanzipation. »Soziale Medien waren essentiell, um eine Choreografie der Versammlung von Teilnehmenden im öffentlichen Raum zu orchestrieren und emotionale Spannung zu erzeugen«, schreibt der Soziologe Paolo Gerbaudo in seinem Buch Tweets and the Streets.

Quelle: Instagram-Kanal von @kenschles © Ken Schles

Bald entwickelten sich neue Formen des Hashtag-Aktivismus. #MeToo wurde zum Schlagwort eines beispiellosen Aufbegehrens gegen sexuelle Belästigung und Gewalt, #NotSurprised machte auf Sexismus im Kunstbetrieb aufmerksam, #OscarsSoWhite wies auf mangelnde Diversität beim weltberühmten Filmpreis hin und in Deutschland teilten Menschen mit Migrationshintergrund ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus unter dem Hashtag #MeTwo.

Gemein sind diesen Bewegungen zwei Dinge. Zum einen nutzen sie Posts in den sozialen Medien nicht länger als Vehikel zur Organisation im öffentlichen Raum, sondern erkennen den digitalen Raum als gleichberechtigten Schauplatz an. Zum anderen setzen sie auf das Teilen individueller Erfahrungsberichte. Mit Hilfe der Netzwerk-Logik des Hashtags flechten sie viele einzelne Stimmen zu einer Gegenöffentlichkeit zusammen und rücken ihre Anliegen ins Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit.

Die Medientheoretikerin Sarah J. Jackson sieht darin ein großes Potenzial: Gerade auf Twitter, einer Plattform, auf der Afroamerikaner*innen im Verhältnis zu ihrem Anteil an der amerikanischen Bevölkerung überrepräsentiert sind, gelinge es Aktivist*innen dank des Hashtag-Aktivismus immer wieder, lang vernachlässigte Themen in den Fokus medialer Berichterstattung zu rücken.

Den Schwerpunkt auf individuelle Schicksale zu setzen birgt jedoch auch Gefahren. Der Blick auf systemische Probleme wie institutionellen und strukturellen Rassismus wird so versperrt, Aktivismus in der Nähe von Selbstdarstellung angesiedelt. Damit wären wir wieder bei Instagram und den schwarzen Quadraten. Performativen Aktivismus nennen Kritiker*innen jene halbherzige Form des Engagements, bei der man beispielsweise zum #blackouttuesday postet und die Black Lives Matter-Demo als Fotokulisse nutzt, davon abgesehen aber genau so weitermacht wie bisher.

Black Lives Matter-Proteste in Rochester, New York, Sommer 2020 © Jake Wright

Gerade auf Instagram fällt dieser Vorwurf schnell. Anders als auf Twitter war Politik auf der 2012 von Facebook erworbenen Fotoplattform lange ein Nischenthema. Erst im Zuge des erneuten Aufflammens der Black Lives Matter-Proteste im Sommer diesen Jahres begegneten einem zunehmend politische Inhalte. Logisch, dass hier der richtige Ton erst noch gefunden werden muss: Ist es in Ordnung, Fotos von der Demo zu posten? Ist es in Ordnung, in meiner Story erst eine #SayTheirNames-Illustration und anschließend ein Foto meines Frühstücks zu teilen? Und wie ästhetisch dürfen politische Inhalte überhaupt sein?

Text-Slideshows sind ein Paradebeispiel für die neuen Formen des Hashtag-Aktivismus, die Instagram in den vergangenen Monaten hervorgebracht hat. Mal mit Pastelltönen und serifenlosen Lettern, mal mit knallbunten Farben und Retro-Fonts informieren sie in wenigen Worten über komplexe Sachverhalte: A Beginners Guide to Denouncing White Supremacy, Was heißt eigentlich Abolish the police?, Virtual Protesting 101 und, bei den Massen an mundgerechten Informationshappen äußerst hilfreich, A Few Tips For Dealing With Resource Overload. Visuell, aber auch hinsichtlich ihrer sloganhaften und direkten Ansprache ähneln diese Posts oftmals stark den Inhalten, die junge, progressive Marken auf ihren Business-Accounts teilen.

Diese strategische Ähnlichkeit ist keineswegs zufällig. Es dauerte nicht lange, bis auch Werbeträger das kommerzielle Potenzial darin erkannten, durch Hashtags Diskursräume zu erzeugen oder als Teil einer vielbeachteten Debatte Sichtbarkeit zu erlangen. Hashtags begegnen uns längst nicht mehr bloß auf Protestschildern, sondern auf Werbebannern, Smoothieflaschen, Litfaßsäulen und bei Promo-Events. Der Hashtag funktioniert als Werbe-Tool ebenso wie als Ermächtigungsinstrument – und die Übergänge sind in vielen Fällen fließend. Verbiegen die Ausdrucksformen von Marketing und Selbstvermarktung heute die Inhalte des Hashtag-Aktivismus?

Quelle: Instagram-Kanal von @siminjawa

Das wäre zu oberflächlich gedacht, meint Simin Jawabreh, die auf ihrem Instagram-Account politische Informationsgrafiken teilt. »Alle sozialen Räume haben ihre eigenen Logiken und Normierungen von Verhaltensweisen – Instagram auch.« Der linken Aktivistin ist bewusst, dass freundliche Farben und Fotos von Gesichtern gut laufen – deshalb unterlegt sie Selfies mit EU- und kapitalismuskritischen Texten und dekoriert ihre Slideshows zu Femiziden in Deutschland und der gemeinsamen Entstehungsgeschichte von Polizei und Kapitalismus mit ansprechenden Blumengrafiken. Dem Phänomen, dass Inhalte vor allem bei einer gewissen Ästhetik angenommen werden, sei universell: »Bücher, die zu klein geschrieben sind, lese ich auch nicht gerne.« Unkritisch sieht sie die sozialen Netzwerke als Schauplatz für Aktivismus jedoch keinesfalls. Auch sie kritisiert, dass systemische Unterdrückungsverhältnisse zu sehr als individuelle Geschichten erscheinen; dass es schwierig ist, Online-Aktivismus in nachhaltige politische Organisation zu übersetzen.

Wie jedes Umfeld bringt auch der digitale Raum seine eigenen Herausforderungen mit sich. Es ist beispielsweise sehr wahrscheinlich, dass der Instagram-Feed vieler Menschen am 2. Juni nicht so monochrom aussah wie meiner. Politische Inhalte erreichen uns in den sozialen Netzwerken vor allem dann, wenn sie unseren persönlichen Ansichten entsprechen – weil wir Menschen folgen, deren Meinung wir ohnehin schon teilen und weil uns der Algorithmus das zeigt, was uns impulsive, kurzzeitige Befriedigung verschafft. Trotzdem sind Facebook und Co. aus dem heutigen Aktivismus nicht mehr wegzudenken.

Es gilt also, sich in diesem Umfeld einzurichten und es zugleich permanent zu hinterfragen. Filterblasen zum Platzen bringen und zugleich das revolutionäre Potenzial von Gegenöffentlichkeiten zu nutzen, persönlichen Schicksalen Gehör zu verschaffen und zugleich einem systemblinden Individualismus entgegenzuwirken, die Wirkmacht sozialer Netzwerke kritisch zu hinterfragen und diese zugleich als Plattform für die eigenen Anliegen zu nutzen. Der unberechenbare, erratische, virale Hashtag scheint das ideale Instrument für dieses paradoxe Unterfangen.

Donna Schons schreibt als freie Autorin über Kunst, Pop und Netzkultur. Sie lebt in Berlin und ist seit kurzem Teil des Radiokunst-Kollektivs Plus X.

Das Projekt #PROTESTSGOVIRAL – BILDER DES AKTIVISMUS AUF INSTAGRAM ist noch bis zum 3. Januar 2021 im Haus der Photographie zu sehen.


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