GRAFIK: HANNA OSEN

STOP-MOTION –
DER LAUF DER DINGE

Wer sich mit Kunst und Fotografie beschäftigt, findet vieles erklärungsbedürftig. BASICS stellt Begriffe und Techniken vor, die jede*r kennen sollte. VON HALLE4-AUTOR*INNEN

16. Juni 2021

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Die Anziehungskraft des Mediums Film ist seit seiner Erfindung ungebrochen. Schon über ein Jahrhundert lang ziehen uns bewegte Bilder in ihren Bann. In den Anfängen des Films gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand auch die Technik »Stop-Motion«, welche Dinge lebendig erscheinen lässt und sie in Bewegung bringt.

Bei »Stop-Motion« handelt es sich um ein Animationsverfahren, bei dem statische Objekte oder Figuren durch eine minimale Veränderung Bild für Bild mit einer Kamera festgehalten und aneinandergereiht werden. Durch diese Einzelbildschaltung und ihre zusammenhängende Wiedergabe entsteht bei den Zuschauer*innen der Eindruck, dass sich die Objekte autonom bewegen. Das Wort »Animation« spielt hierbei eine bedeutende Rolle: Vom lateinischen »anima« abgeleitet, wird den Objekten eine »Seele« eingehaucht, sie wirken, als seien sie zum Leben erweckt worden. Zuvor kannte die Menschheit nur die statische Abbildung in Fotografien. Diese radikale Veränderung der Sehgewohnheiten war ausschlaggebend für die ständige Entwicklung neuer Formen in der filmischen Darstellung und den großen Erfolg der Filmkunst.

Nachdem der weltweit erste Film Roundhay Garden Scene aus dem Jahr 1888 mit einer Länge von vier Sekunden eine Gruppe von Menschen zeigte, die durch einen Garten geht, entwickelten sich Bewegtbildverfahren rasant und parallel an unterschiedlichen Orten der Welt weiter. Rasch wurde mit alternativen Verfahren experimentiert. Der 1895 entstandene Film The Execution of Mary Stuart vom Glühbirnen-Erfinder Thomas Alva Edison wird als der erste Film anerkannt, in dem mit der Stop-Motion-Urform »Stopptrick« gearbeitet wurde. Zu sehen ist die Enthauptung der schottischen Königin Mary Stuart, die mit dem Anhalten des Films und der Verwendung einer täuschend echten Puppe simuliert wurde. Nach dem Filmstopp wurde die Puppe umpositioniert und der Dreh fortgesetzt.

In Europa war es der Pariser Filmpionier Georges Méliès, der beinahe zeitgleich statische Objekte filmisch in Bewegung setzte. In seinem 1896 entstandenen Stopptrick-Film Une nuit terrible wird ein Mann von einer großen Spinne wachgehalten, die über sein Bett zu krabbeln scheint. Wenige Jahre später wurde Méliès mit seinem Film Die Reise zum Mond weltberühmt.

Innerhalb der Gattung des Animationsfilms generierten sich in Windeseile etliche neue Formen. So entstand auch der Zeichentrickfilm, bei dem einzelne Zeichnungen minimal abgewandelt und im Filmschnitt hintereinandergelegt werden. Der erste seiner Art ist der Film Humorous Phases of Funny Faces (1906) von James Stuart Blackton, in dem gezeichntete Gesichter plötzlich beginnen, Grimassen zu schneiden. Die wohl bis heute bekannteste Produktionsstätte für Zeichentrickfilme ist das Studio Walt Disneys. Dieser versuchte, sich mit minutiösen Veränderungen einzelner Zeichnungen und ihrer Aneinanderreihung vom ruckelnden Stopptrick-Gefühl loszulösen. Wie von Zauberhand steuerte plötzlich Mickey Mouse in seinem ersten Film Steamboat Willie (1928) pfeifend ein Boot durch eine gezeichnete Erzählwelt.

Im Laufe der Jahrzehnte wurde die Stop-Motion-Technik immer ausgefeilter, die Bewegungen vor der Kamera immer lebensechter. Der animierte Riesenaffe aus King Kong begeisterte 1933 weltweit das Kinopublikum. Pioniere wie der amerikanische Tricktechniker Ray Harryhausen wurden zu Stars der Branche, seine Animationen für Filme wie Sindbads siebente Reise (1958) oder Jason und die Argonauten (1963) gelten bis heute als Meilensteine der Animationstechnik.

Besonders in der Vermittlung von Filmtechniken wird die sogenannte »Flachbildanimation« gelehrt und angewandt. Dabei wird die Kamera senkrecht nach unten gerichtet und nimmt Objekte auf, die einzelbildweise umarrangiert werden. Eine andere Variante ist der »Scherenschnitt-« bzw. »Silhouettenfilm«, bei dem zumeist ausgeschnittene Papierfiguren einzeln fotografiert und deren Abbildungen im Anschluss verkettet werden. Bei der »Knetanimation« werden Knetfiguren ummodelliert und in Einzelbildern aufgenommen. Die bekanntesten Knetanimationen stammen alle aus der Hand des britischen Trickfilmers Nick Park: die Filmreihe Wallace & Gromit (1989–2008), der Film Chicken Run (2000) und die seit 2007 laufende Serie Shaun das Schaf.

Analog dazu arbeitet die Puppenanimation mit der phasenweisen Veränderung von Pose und Form. Seit 1959 läutet die ursprünglich in der DDR von Walter Ulbricht erfundene Puppenanimation Das Sandmännchen alltäglich Kindern das Zubettgehen ein.

Nicht nur das Animieren von Objekten ist mittels Stop-Motion möglich. Auch die Umkehrung der Bewegungsillusion kann mit Unterbrechungen oder Variationen in der Filmwiedergabe erzeugt werden. Menschliche Darsteller*innen wirken nicht dadurch mehr natürlich, sie bewegen sich roboterhaft, sobald mit Zeitraffern oder der Zerlegung in Einzelbilder gearbeitet wird. Dieses Verfahren nennt man »Pixilation«.

Auch der südafrikanische Künstler William Kentridge (*1955) nutzt unter anderem das Stop-Motion-Prinzip eines Zeichentrickfilms, mit dem er den künstlerischen Prozess festhält und seine Zeichnungen in Bewegung versetzt. Dem Museum of Contemporary Art San Francisco (SFMoMA) erklärt er: »Es sind manchmal Hunderte von Veränderungen auf einem Blatt Papier. Ich sehe nicht, was gedreht wurde; ich muss mich auf das verlassen, was da ist. Alles, was man in jedem Moment sieht, ist die Gegenwart, also der Zustand der Zeichnung in diesem Moment.«

Mit Blick auf die zeitgenössische Produktion von Animationsfilmen erscheint Zeichentrick als ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Heutzutage hat sich die dreidimensionale Computeranimation durchgesetzt. Aus Serien und Filmen für Kinder und Jugendliche ist die Kreation digitaler Bewegtbilder nicht mehr wegzudenken. Die ruckhafte Ästhetik, die Stop-Motion mit sich bringt, wurde durch die computergrafische Bearbeitung entfernt. Die Wahrnehmung soll nunmehr möglichst flüssig aussehen – so, wie wir heute auch makellose Bewegungsabläufe in Spielfilmen ohne Animation rezipieren.

Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die bis heute vollzogene Entwicklung auf dem versehentlichen Ruckeln einer Kamera basiert haben soll. Es zeigt, dass auch die filmische Illusion von Bewegung immer auf etwas Statischem beruht: Am Anfang war das Bild.

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Dominik Nürenberg ist Volontär der Abteilung Kommunikation der Deichtorhallen Hamburg. Zuvor studierte er Kulturwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau und Interdisziplinäre Medienwissenschaft an der Universität Bielefeld und war als freier Kulturschaffender, Redakteur und Gästeführer tätig.


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