»Charlotte legte viel Wert
auf Harmonie«
24. Mai 2022
FOTO: PHILIPP MEUSER
24. Mai 2022
Manju, warum hast Du Dich damals bei Charlotte March beworben?
Nach meiner Ausbildung zur Fotografin arbeitete ich erst einmal in Werbeagenturen. Dort hatte ich Zugriff auf Portfolios toller, angesagter Fotograf*innen und beschloss irgendwann, bei einem dieser wirklich guten Fotograf*innen zu assistieren. Marchs Werk kannte ich also nur aus Fachpublikationen und Dumonts Geschichte der Fotografie, welche ich von meinen Eltern nach meinem ersten Praktikum geschenkt bekommen hatte.
Die Einladung zum Bewerbungsgespräch kam dann aber doch sehr überraschend?
Ich hatte Charlotte bereits 1992 geschrieben, aber nichts von ihr gehört. Erst zwei Jahre später rief sie mich an, da mein Schreiben hinter ihren Schreibtisch gerutscht war. In der Zwischenzeit war ich bereits für eine Assistentenstelle bei Jim Rakete nach Hamburg gezogen, sodass wir uns direkt treffen konnten. Ihr Studio in der Jarrestraße war beeindruckend. Ein riesiges Tageslichtstudio mit Dachgarten, unglaublich schön und stilvoll eingerichtet und ganz anders als die Studios, die ich bis dahin kannte. Charlotte war sympathisch, es gab Earl-Grey-Tee und sie fragte mich nach meinem Sternzeichen. So entstand das Polaroid mit dem Vermerk »Steinbock«.
Offenbar verließ sich March auf die passende astrologische Konstellation?
Es kam zum Probetag und da ich mit allen Anwesenden harmonierte, durfte ich danach bei ihr assistieren. Auf Harmonie legte Charlotte sehr viel Wert. Wichtig waren ihr auch immer die gemeinsamen Mittag- oder Abendessen. Sie hatte bis in die 1980er-Jahre sogar eine Köchin angestellt, die im Studio kochte. Das habe ich leider nicht mehr erlebt, aber Charlotte hat immer gutes Essen für alle bestellt.
Du hast bis zu Charlotte Marchs Tod im Mai 2005 für sie gearbeitet. Welche Erinnerungen hast Du an sie?
Die Arbeitsweise von Charlotte war sehr ruhig, langsam und eher
gemütlich. Ihr Alter verheimlichte Charlotte stets und ich war sehr
erstaunt, als bei einer Reise mein Blick auf ihr Geburtsjahr auf der migration card im
Flugzeug fiel. Charlotte und auch ihr Lebensgefährte Balduin Baas kamen
mir unglaublich jung, geradezu jugendlich vor. Ich kannte einige Leute
in meinem Alter, die im Kopf bereits viel älter waren als die beiden.
Charlotte und Balduin waren immer bestens informiert über Musik, Trends
und Moden, kannten die neuesten Filme und Bücher.
Wie
veränderte sich Deine Arbeit ab 1998, nachdem die Fotografin sich aus
dem professionellen Tagesgeschäft zurückzog und ihr großes Atelier
aufgab?
Es folgte eine Zeit, in der Charlotte mich weiterhin
beschäftigte, um ihre Arbeiten, Negative und Kontakte zu sichten und
aufzuräumen. Sie war eine leidenschaftliche Sammlerin, es gab also viel
zu tun. In dieser Zeit zeigte sie mir auch ihre frühen Fotoarbeiten, die
sie leider nur spärlich oder gar nicht beschriftet hatte und wir
wählten erste Vintage-Prints für Ausstellungen und Auktionen aus. Völlig
begeistert sah ich die schwarzweißen Motive aus den 1950er-Jahren mit
Hamburger Motiven vom Fischmarkt oder auch Bildstrecken für TWEN mit
Donyale Luna und Jean Shrimpton aus den 1960er-Jahren. Charlotte
versuchte zu rekonstruieren, wann und wo die Bilder aufgenommen wurden,
wie die Modelle hießen und überlegte sich Titel für die Motive.
Du warst also schon zu Charlottes Lebzeiten für ihr Archiv tätig?
Nein,
erst einmal gar nicht, da sich Charlotte nicht um ihr Archiv kümmerte.
Nur für konkrete Anfragen, wie für eine TWEN-Ausstellung oder für Ausstellungen, die F.C. Gundlach kuratierte, haben wir Aufnahmen aus den
vielen Schubladen und Kartons gezogen. Erst als sie das Studio
aufgegeben hatte, kamen immer mehr Anfragen von Auktionshäusern und sie
hatte Zeit, das Archiv etwas zu ordnen.
Warum hat sich die Fotografin aus Deiner Sicht so wenig Gedanken um ihren Nachlass gemacht?
Ich denke aus Zeitgründen. Sie hat einfach viel gearbeitet und sich
weder um Archiv noch um eine zukunftsorientierte PR gekümmert.
Wie war die Situation nach Charlotte Marchs Tod?
Als
Charlotte plötzlich verstarb und Balduin sehr verzweifelt und
beunruhigt darüber war, wie es mit dem künstlerischen Nachlass von
Charlotte weitergehen soll, trafen wir uns mit Harald Falckenberg, den
Balduin bis dahin nur als renommierten Kunstsammler kannte. Harald bot
überaus großzügig seine Hilfe an. So konnte der komplette Nachlass
gerettet und bis jetzt aufgearbeitet werden.
Wie war Dein Weg von der Assistentin zur Nachlassverwalterin?
Als Nachlassverwalterin habe ich mich noch nie gesehen. Ich
habe ja zunächst erst einmal selbst fotografiert und auch gemerkt, dass
ich als Assistentin ausgedient habe, weil ich vieles ganz anders machen
wollte. Als auch Balduin 2006 verstarb, bat mich Harald Falckenberg, die
Arbeiten von Charlotte in Ordnung zu bringen. Ich habe die Arbeiten
zunächst thematisch und dann chronologisch sortiert und versucht, alle
Daten zusammenzutragen. Später kam dann auch ein Archivierungsprogramm
hinzu.
Wie ist der Stand der Aufarbeitung heute? Ist alles erfasst, digitalisiert?
Man
könnte sich noch jahrelang mit der Aufarbeitung befassen, nicht alles
wurde bisher digitalisiert. Leider sind einige Dias auch durch
Aufbewahrung in Acetathüllen verklebt und müssten eigentlich sehr
aufwendig und kostenintensiv gereinigt werden. Außer den Abzügen, Dias
und Negativen gibt es noch Kontaktabzüge, Belegexemplare und
Veröffentlichungen. Darüber hinaus existieren noch einige Briefe,
Manuskripte zu Vorträgen und einige Schriftwechsel. Außerdem noch
private Fotos der Familie March aus China.
Was hat es für
Dich persönlich bedeutet, mit den Ausstellungsvorbereitungen für die
Triennale einen erneuten Weg zu Charlotte March zu finden?
Der
Nachlass ruhte tatsächlich fast sieben Jahre und ich musste mich selbst
erst wieder damit befassen. Ich habe jetzt durch Gespräche mit
Redakteur*innen, Auftraggeber*innen und Art-Director*innen erst
erfahren, wie kompliziert und anstrengend die Zusammenarbeit mit
Charlotte in einigen Aspekten früher gewesen sein muss. Darüber war ich
etwas erstaunt. Als ich sie kennenlernte, hatte sie schon eine gewisse
Altersgelassenheit und eine Sanftmut entwickelt und verhielt sich mir
gegenüber fast mütterlich.
Hat sich Dein Blick auf Charlotte March mit der Ausstellung noch einmal verändert?
Ja, durchaus, ich habe die Fotos so oft gesehen, war bei einigen
Produktionen ja auch dabei. Da verringert sich der Abstand und der
Zauber verliert sich etwas. Man bekommt durch andere Personen, in diesem
Fall dem Team aus der Sammlung Falckenberg nochmal einen frischen Blick und entdeckt
Neues. Natürlich finde ich die ersten Fotos aus Hamburg und Italien sehr
spannend, da ich sie als wichtige Zeitdokumente empfinde. Spannend ist
auch, wie modern und zeitlos einige der Modefotos sind. Überrascht hat
mich, dass die Abzüge auch nach 60 Jahren noch so gut erhalten sind – da
hat Charlottes Laborantin, Waltraud Merres, hervorragend gearbeitet.
Du bist selbst Fotografin – hat Charlotte March auch in Deiner eigenen Arbeit Spuren hinterlassen?
Ich fotografiere Menschen, viele Schauspieler*innen, aber eigentlich
keine Mode. Daher glaube ich nicht, dass mich Charlotte in
fotografischer Hinsicht sehr geprägt hat. Da war die im Vergleich eher
kurze, aber sehr intensive Assistenz bei Jim Rakete prägender. Dafür war
Charlotte für mich auf persönlicher Ebene sehr wichtig.
Was wünscht Du Dir für die Zukunft des Archivs?
Ich
bin sehr dankbar und froh, dass die Ausstellung dank Larissa und Harald
Falckenberg jetzt realisiert wurde und die Arbeit gewissermaßen zu
einem ersten Abschluss kommt. Ich wünsche mir, dass die Ausstellung noch
weitere Stationen bekommt und in anderen Städten zu sehen sein wird,
sodass Charlottes Werk auch nach ihrem Tod weiterleben kann.
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Manju Sawhney, Jahrgang 1968, kam 1992 nach ihrer Ausbildung zur
Fotografin bei Reinhard Kleinschmidt und einer Lehre als Werbekauffrau
in der Frankfurter Agentur RWGK nach Hamburg. Nach einer Assistenz bei
Jim Rakete war sie ab 1994 für Charlotte March (1929–2005) tätig. Als selbständige
Fotografin arbeitet sie heute für zahlreiche Kunden und Auftraggeber.
Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg.
Ulrich Rüter, 1965 geboren, Fotografie- und Kunsthistoriker, lebt
in Hamburg. Als freier Autor, Dozent und Kurator arbeitet er für
Magazine (insbesondere als Redakteur für LFI – Leica Fotografie
International) und verschiedene Institutionen, so unter anderem auch für die Deichtorhallen Hamburg.
Die Ausstellung CHARLOTTE MARCH – FOTOGRAFIN / PHOTOGRAPHER ist bis zum
4. September 2022 in der Sammlung Falckenberg zu sehen. Ein begleitender
Katalog ist im HatjeCantz Verlag erschienen. Am Freitag, 3. Juni 2022 findet um 16 Uhr einen Kuratorinnengespräch mit Manju Sawhney und Goesta Diercks, Sammlungsmanager, in der Sammlung Falckenberg statt. Weitere Informationen hier.