»Das Lächerliche kratzt am Lack«
21. Juni 2023
FOTO: PHILIPP MEUSER
21. Juni 2023
Frau Ricupero, Herr Heiser, im Katalog zur der von ihnen kuratierten Ausstellung verwenden Sie den Begriff „enthusiastische Peinlichkeit“. Was genau ist damit gemeint?
Cristina Ricupero: Eigentlich das, was Ed Wood, der als schlechtester Filmregisseur aller Zeiten gilt, macht: Er schämte sich nicht für das, was er tat. Allen Widrigkeiten zum Trotz machte er immer weiter.
Also das völlige Fehlen von Schamgefühl?
Jörg Heiser: Ja, aber verbunden mit einem gewissen Stolz. Beispielsweise bei den Drag-Performances, die mit dem Unperfekten spielen, oder dem bewusst Übertriebenen. Genau das wird enthusiastisch gefeiert. Es gibt aber auch eine selbstdemontierende Version wie etwa bei Paul McCarthy, der seine eigene Körperlichkeit mit Bauch und Glatze durch die Maskierung mit dicken Gummiknollennasen ins Groteske steigert. The Painter beispielsweise zielt auf die Sexualität des männlichen Künstlergenies in einer regelrecht verstörend grotesken Performance, bei der dann der Protagonist sich mit einer überlebensgroßen Farbtube befriedigt. Das löst bei uns eine Art von Fremdschämen aus. Wir empfinden fast so etwas wie Mitgefühl, können es gleichzeitig aber kaum aushalten hinzusehen. Es ist auch deshalb unerträglich, weil er einfach nicht aufhört und immer weiter macht – wie die Rede des betrunkenen Onkels auf einer Familienfeier. Dieses Verhalten mit Absicht vorzutragen, das ist enthusiastische Peinlichkeit.
Was ist der Unterschied zwischen enthusiastischer
Peinlichkeit und Ironie? Könnte man sagen, dass Ironie eher
selbstreflexiv ist und enthusiastische Peinlichkeit nicht?
JH: Ironie ist ein Mittel zur Distanzierung, man macht die eigene
Coolness und Überlegenheit kenntlich. Unter diesem Aspekt ist die
enthusiastische Peinlichkeit das Gegenteil von Ironie, weil man sich in
die Situation regelrecht hineinwirft. Sie ist distanzlos im Gegensatz
zur distanzierten Ironie. Viele der in der Ausstellung gezeigten Arbeiten sind auch
Mischformen, sie haben eine ironische Ebene und sind gleichwohl
enthusiastisch peinlich.
Wie kam es zur Idee dieser Ausstellung und ihrer Zusammenarbeit?
CR: Wir haben bereits ein paarmal zusammengearbeitet. Im Jahr 2016 haben wir die Nuit Blanche Monaco, ein Performanceprojekt in Monaco, kuratiert und 2018 die Biennale von Busan in Südkorea.
JH: In diesem Fall aber berührten sich unserer beider besonderer
Forschungsinteressen. Cristina arbeitete an Ed Wood und der B-Movie- und
Trash-Kultur. Ich habe mich bereits seit längerem mit Slapstick und
der frühen Moderne beschäftigt.
CR: Unser Projekt hieß anfangs das „Ed Wood Syndrom“. Er hat in
gewisser Weise die Ästhetik des Scheiterns und der damit verbundenen
Peinlichkeit regelrecht erfunden. Tim Burton hat 1994 einen Film über
ihn gedreht mit Johnny Depp in der Hauptrolle. Das Phänomen Ed Wood
wirft Fragen von gutem und schlechtem Geschmack auf, von Do-it-yourself,
von absichtlicher Unreife oder gar Infantilität.
Schon in der frühen Moderne gibt es eine besondere Form des
albernen Humors, insbesondere bei Marcel Duchamp.
JH: Duchamp gilt als äußerst
ernsthafter intellektueller Künstler, seine humorvollen Seiten nahm man
hingegen kaum in den Blick, vielleicht aus der Befürchtung heraus, man
könnte ihn sonst für einen Clown halten. Ernsthaftigkeit und Humor sind
aber der falsche Gegensatz. Duchamp macht sehr ernsthafte Werke und
macht sich gleichzeitig über die Ernsthaftigkeit lustig. Das führt zu
den Wurzeln der modernen Kunst, vielleicht sogar noch weiter zurück.
Möglicherweise hatten schon die Neandertaler humorvolle Kunst, und wir
verstehen das nur nicht mehr. Im Katalog zur Ausstellung gibt es einen
Beitrag des französischen Kritikers Jean-Yves Jouannais, der besagt,
dass die Moderne um die Idiotie kreist. Damit meint er nicht, dass die
Künstler Idioten waren, sondern dass sich die Moderne bewusst gegen den
pathetischen Dogmatismus akademischer Kunst des 19. Jahrhunderts wandte.
CR: Die Moderne wandte sich gegen alle möglichen Dogmen, gegen die
Kirche, gegen die Bourgeoisie, aber eben auch gegen die Dogmen der
Kunst, ja sogar der Avantgarde selbst.
Aber gehört die Infragestellung von Dogmen und Normen nicht selbst zur Avantgarde?
JH: Ja, aber die Avantgardebewegungen wurden ihrerseits schnell
dogmatisch. Duchamp beispielsweise verspottete mit seinem Gemälde Akt,
eine Treppe hinabsteigend die Dogmen der Kubisten. Selbst im russischen
Konstruktivismus gab es proto-dadaistische Elemente. Kasimir Malevich,
der Schöpfer des „Schwarzen Quadrats“, erschien auf einigen seiner
Ausstellungen bunt angemalt und einen Kochlöffel schwingend. Diesen
Widerstreit gab es also auch innerhalb der Avantgarden.
Die Ausstellung in der Sammlung Falckenberg ist in mehrere
Kapitel unterteilt. Sie beginnt mit "Coney Island", was sich auf die
frühen Vergnügungsparks bezieht.
CR: Sie ist eine Gesamtinszenierung, in der sich die Themen auch durch
die Art der Präsentation vermitteln. Wir wollten keinen White Cube,
keinen cleanen Museumsraum. Daher haben wir mit einem Szenographen
zusammengearbeitet. Die frühen Vergnügungsparks stehen dafür Pate. Der
holländische Künstler Gabriel Lester hat eigens eine Arbeit für die
Ausstellung geschaffen, ein Spiegelkabinett, das in der Bundeskunsthalle
in Bonn, wo die Ausstellung zuerst zu sehen war, die Besucher*innen
empfangen hat. Man wird überrumpelt, verliert und verläuft sich in ihm,
wird vervielfältigt.
Das Spiegelkabinett setzt räumliche Orientierung und Maßstäbe
außer Kraft. Das ist, wie der Vergnügungspark mit seinen verkehrten
Welten, ein schönes Sinnbild für die grundsätzliche Infragestellung von
Dogmen und Normen, um die die Ausstellung kreist.
CR: Die verschiedenen Kapitel der Ausstellung sind lose
ineinandergeflochten. Sie sind an unterschiedlichen Stellen miteinander
verknüpft. Eine lineare, akademische Erzählung würde dem Thema nicht
gerecht.
Erlaubt die Ausstellung einen anderen Blick auf die Kunst und auch die Kunstgeschichte?
CR: Letztlich dreht sich die ganze Ausstellung um die Infragestellung
von Dogmen und eine antiheroische Pose, die viele Künstler*innen besonders der
Moderne einnehmen.
JH: Tatsächlich haben viele der sogenannten „artist‘s artists“, also
der von anderen Künstler*innen geschätzten Künstler, diese Art von Humor:
John Baldessari beispielsweise, Marcel Duchamp oder Elaine Sturtevant.
Auch ein Großteil des Werkes von Sigmar Polke verspottet seine eigene
zeitgenössische Kunstwelt. Oder die Arbeit von Gerhard Richter (Neun Objekte,
1969), den man zunächst einmal nicht mit Humor in Verbindung bringen
würde. Die wie Möbiusbänder ineinander verschlungenen geometrischen
Objekte wirken wie ein persiflierender Kommentar auf die orthodoxe
Minimal Art.
Gleichzeitig stellen Sie aber auch die Präsentationsformen von Kunst infrage.
CR: In dem Kapitel „Das moderne Museum“ haben wir Arbeiten versammelt, die sich über das Heroische der Kunst lustig machen.
Die bürgerliche Institution Museum als eine Art Tempel der Kunst wird in dieser Sektion persifliert.
CR: Das geschieht durch die Überinszenierung mit den Seilen aus rotem
Samt, die als Absperrung zwischen goldenen Ständern hängen und den
Besucher*innen bedeuten, weihevolle Distanz zu wahren.
JH: Die „Camp“-Sektion bringt noch einen weiteren Aspekt der
Ambivalenz ins Spiel: Hommage und Parodie. Man zollt beispielsweise mit
einer Gesangsperformance einer Sängerin Tribut, parodiert sie aber
gleichzeitig. Das macht den Abstand zwischen der Perfektion des
Vorbildes und der eigenen Imperfektion klar, die aber gleichwohl so
zelebriert wird, als handele es sich um eine perfekte Darbietung.
Das ist aber manchmal eher lächerlich als lustig.
JH: Einige Dinge sind lächerlich, aber überhaupt nicht lustig, andere
sind lustig, aber nicht lächerlich. Dabei zielt nicht so sehr das
Lustige, sondern eher das Lächerliche auf die Wichtigkeit, Würde und
Erhabenheit der Institution Kunst. Es kratzt am Lack. Und ist in Bezug
auf religiöse Dogmen mitunter auch blasphemisch wie die Arbeit von
Martin Kippenberger, Fred the Frog, die einen gekreuzigten Frosch zeigt.
Ein weiteres Kapitel haben Sie „Post-Internet und Post Surrealism“ benannt.
JH: Viele zeitgenössische Künstler*innen bewegen sich im
Internet und rezipieren dessen Ästhetik. Das ist die eine Ebene. Vor
allem aber geht es um die Möglichkeit, auf eine Wirklichkeit zu
reagieren, die jede Satire übertrifft. Als Donald Trump 2016 zum
Präsidenten gewählt wurde, hatten Satiriker*innen eine schwere Zeit,
denn jede Persiflage prallte an der Realität ab. Die Reaktionen
allenthalben waren ja: Das kann nicht wahr sein. Das ist surreal, ein
wahrgewordener Albtraum.
Und wie reagieren die Künstler*innen auf dieses Dilemma?
CR: Indem sie beispielsweise eine Anleitung, so genannte
„Prompts“, für eine Künstliche Intelligenz wie etwa ChatGPT imitieren,
die noch die absurdesten Anweisungen in Bilder umsetzt, wie etwa Fabian
Martis Gemälde A green painting by Francis Picabia of a white poodle playing with a yellow octopus.
Marti begegnet also der Absurdität, dass ein Computer Kunst
produzieren kann, mit der Absurdität, auch als Mensch der Malanweisung
Folge zu leisten, und macht die Absurdität damit überhaupt sichtbar.
JH: Gleichzeitig hinterfragt er aber auch die Voraussetzungen der
eigenen Kunstproduktion: Vielleicht kann ich angesichts dieser dummen
Worte auch meine eigene Dümmlichkeit verstehen, welchen Anleitungen ich
eigentlich folge?
Albernheit, Groteske, Ironie, Satire und Humor sind auch
Kulturtechniken, die helfen, das Unsagbare doch irgendwie auszusprechen
und Unverdauliches doch zu verarbeiten. Die Ausstellung öffnet auch
einen Raum für sehr unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten und
ihr Scheitern, und das ist eigentlich der Kunst inhärent. Sie macht
damit einen ihrer wesentlichen Aspekte sichtbar.
CR:
Kunst war nie schwarzweiß, sie war immer ambivalent und paradox. Die
ganze Struktur der Ausstellung zielt daher auf das Experimentelle und
auf eine aktive, undogmatische Art der Kommunikation, die diese
Ambivalenzen erfahrbar macht.
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Veronika Schöne ist Kunsthistorikerin, Autorin und Dozentin. Sie schreibt Texte und macht Führungen, Seminare und Reisen zur Kunst.
Die Ausstellung ERNSTHAFT?! ALBERNHEIT UND ENTHUSIASMUS IN DER KUNST ist noch bis zum 27. August 2023 in der Sammlung Falckenberg zu sehen. Der Eintritt ist frei.