FOTO: JOSH WHITE/JW PICTURES

Der Kosmos ruft

Unendliche Weiten, unendliche Möglichkeiten. Der Weltraum und die Raumfahrt haben die Kunst schon immer inspiriert. Heute entdecken Künstler*innen das All als Kulisse für neue Erzählungen über unseren Platz im Universum.
VON DAMIAN ZIMMERMANN

21. Februar 2022

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Wer mit bloßem Auge in den Nachthimmel schaut, sieht bloß eine große Menge an kleinen Lichtern – alles andere ist unserer Fantasie überlassen. Der Weltraum ist eben immer auch ein Gebiet der wilden Spekulation und des blinden Vertrauens.

Unsere Vorstellungskraft wird durch Forschung und neue Erkenntnisse auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und zugleich immer wieder neu beflügelt – überprüfen können wir Laien die Ergebnisse in der Regel ohnehin nicht: Wir müssen der Wissenschaft schlichtweg vertrauen, was sie uns über das Universum, Schwarze Löcher, Urknall und Außerirdische erzählen. Genau deshalb eignet sich der »Outer Space« auch so wunderbar für Künstler*innen aller Gattungen: Fast alles erscheint hier möglich.

Als besonders prädestiniert und auch entsprechend populär gelten die Bereiche Literatur und Film. Bereits im 2. Jahrhundert schrieb der griechische Satiriker Lukian von Samosata seinen Reisebericht Wahre Geschichten, ein früher Vorläufer des Science-Fiction-Romans. Jules Vernes nahm mit Von der Erde zum Mond und der Fortsetzung Reise um den Mond die tatsächliche Mondlandung 100 Jahre später vorweg. In H. G. Wells’ Krieg der Welten wird die Erde von Marsianern überfallen – die ironischerweise nicht von Menschen, sondern von Bakterien vernichtet wurden, weil ihr Immunsystem nicht an die Bedingungen auf der Erde angepasst war.

Im noch jungen Medium Kino war der 1902 erschienene Film Die Reise zum Mond von Georges Méliès ein absoluter Meilenstein, der die Fantasie nachfolgender Generationen beflügelte und eine regelrechte »Frau im Mond«-Manie auslöste, was schließlich sogar der Titel von Fritz Langs letztem Stummfilm wurde. Und auch heute noch begeistern Star Wars und Star Trek, erdacht in den weltraumversessenen 1960er und 70er Jahren, ein treues Publikum auf der gesamten Welt – auch, wenn sie es mit der Wissenschaft und den Naturgesetzen nicht immer so ganz genau nehmen.

Dass es auch anders geht, hat 2014 Regisseur Christopher Nolan mit Interstellar bewiesen, der aus wissenschaftlicher Sicht einen neuen Standard etabliert hat. Die unangefochtene Nummer 1 der Science-Fiction-Filme (und für nicht wenige in der Kinogeschichte überhaupt) ist jedoch Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum, in dem geradezu visionär Wissenschaft, Fiktion, Design und Philosophie vermischt wurden und in bis dahin nie gesehene Bilder umsetzte – und das sogar noch ein Jahr vor der realen Landung der Amerikaner auf dem Mond.

Neben der Popkultur beschäftigen sich aber auch Künstler*innen mit dem Thema Weltraum. Bildliche Darstellungen gab es zwar schon immer und über die Jahrtausende hinweg – beginnend bei der mehr als 4000 Jahre alten »Himmelsscheibe von Nebra« über Peter Paul Rubens’ Die Geburt der Milchstraße von 1637 bis zu Alexander Calders motorisierte und fragile Plastik A Universe aus dem Jahr 1934 - seine Interpretation des Kosmos mit abstrakten Kugeln, Kreisen, Linien und Ellipsen. Auch Wassily Kandinskys Several Circles aus dem Jahr 1926 kann dazu gezählt werden; ein abstraktes Bild, doch die Häufung von verschiedenfarbigen Kreisen vor einem schwarzen Hintergrund steckt voller Anspielungen auf den Kosmos.

Vassily Kandinsky, Several Circles, 1926. Solomon R. Guggenheim Museum, New York City

All diese Werke stellen das Universum jedoch bloß dar und nutzen es nicht als Ausgangspunkt für eigene Spekulationen und Geschichten. Auf die Spitze trieb es vielleicht Yves Klein – der malte nicht nur seine monochromen, ultramarinblauen Bilder und lud den Betrachter mit seinem Sprung in die Leere dazu ein, »eins zu werden mit der Sensibilität des Universums«, sondern er soll der Legende nach bereits als 18-Jähriger den blauen Himmel über Nizza signiert und zu seinem ersten immateriellen Kunstwerk erklärt haben.

Einen Weltraum-Boom löste natürlich die NASA mit ihren Mondlandungsmissionen in den 1960er Jahren aus, der auch von zahlreichen Künstler*innen, Designer*innen und Denker*innen aufgegriffen wurde. So machte der Architekt und Visionär Richard Buckminster Fuller von sich reden, als er in seinem Buch Operating Manual for Spaceship Earth davon sprach, dass wir Menschen Astronauten auf einem zu kleinen Raumschiff mit dem Namen Erde seien und entsprechend verantwortungsvoll mit den Ressourcen umgehen müssten.

Es war dann auch die junge Umweltbewegung, die das erste von Menschen aufgenommene Foto der gesamten Erde, entstanden an Heiligabend 1968, als Symbolbild für die Verletzlichkeit unseres Planeten nutzte. Neil Armstrongs Fotos von Edwin »Buzz« Aldrin auf dem Mond wurden wiederum selbst zu Symbolen und Ikonen der Popkultur, die von zahlreichen Künstler*innen immer wieder aufgegriffen wurden: Andy Warhol nutzte sie für seine »Moonwalk«-Prints genauso wie der Musiksender MTV für einen fetzigen Spot zur Markteinführung 1981. Umgekehrt lud die NASA Robert Rauschenberg (und sechs weitere Künstler) ein, um dem Start von Apollo 11 beizuwohnen, was wiederum zu seiner 34-teiligen Reihe von Stoned Moon-Lithografien führte, die der Pop-Art-Künstler daraufhin anfertigte.

Heute sind die Raumfahrer*innen längst auch zu einer Metapher geworden, wie der Kunsthistoriker Henry Keazor festgestellt hat. In seinem Buch We are all Astronauts, das sich mit dem Bild des/der Raumfahrers*in in der Kunst beschäftigt, kommt Keazor zu dem Ergebnis, dass diese Figur heute meist für den auf sich selbst zurückgeworfenen Menschen zwischen Zukunftsängsten und Hoffnungen steht – wobei noch einmal zwischen den Darstellungen in der westlichen Welt und in Russland und China unterschieden werde müsse: Deren Raumfahrer*innen wurden eigentlich über die Jahrzehnte hinweg fast durchgehend als Held*innen gezeigt.

Für Künstler*innen, die verstärkt mit den Mitteln der Fotografie arbeiten, kommt ein weiterer wichtiger Aspekt hinzu: Das Wahrheitsversprechen des Mediums. Denn obwohl wir alle von den vielfältigen Manipulationsmöglichkeiten von Photoshop und Instagram-Filtern wissen, vertrauen wir fotografischen Bildern noch immer mehr als beispielsweise einem gemalten Bild oder einer Skulptur. Das öffnet Künstler*innen natürlich Tür und Tor für Spekulationen, Behauptungen und neue Narrative.

So wie beispielsweise in der Arbeit Afronauts der spanischen Fotografin Cristina De Middel, das als Fotobuch bereits Kultstatus hat: Es erzählt in malerischen bis kindlich-naiven Fotografien die fiktive Geschichte des wahren Weltraumprogramms Sambias aus den 1960er-Jahren, das schließlich aber doch scheiterte, bevor es überhaupt erst begann. De Middel stellt die »Was wäre wenn«-Frage und lässt ihre Protagonist*innen in selbstgeschneiderte Raumfahrer*innen-Anzüge mit traditionellen afrikanischen Mustern und Glaskugel auf dem Kopf neben Elefanten posieren.

Joan Fontcuberta, aus der Serie »Constellations«, 1993 © Joan Fontcuberta

Ein Künstler, der seit jeher mit Wahrheit und Fiktion spielt, ist Joan Fontcuberta. Mehrere seiner Arbeiten drehen sich dabei direkt oder indirekt um das Thema Weltraum. 1993 zeigte er in Constellations Ansichten vom Nachthimmel mit Sternen und Sternschnuppen, die Fontcuberta – angeblich – auf den Kanaren fotografiert hat. Wir sehen helle Lichtschweife von Kometen – oder glauben es zumindest. Tatsächlich hat der Spanier Fotopapier direkt auf die Windschutzscheibe seines Autos gelegt und dieses belichtet. Die dadurch entstandenen Fotogramme zeigten auch die toten Insekten und den Dreck auf der Glasscheibe. Selten hat der Satz »Per aspera ad astra« so gestimmt wie hier.

In Sputnik schlüpfte Fontcuberta hingegen in die Rolle des Kosmonauten Iwan Istochnikow, der – auch hier nur angeblich – 1968 an Bord des Raumschiffes Sojus 2 war und im Weltall verloren gegangen ist, was die Russen allerdings vertuscht hätten. Fontcubertas Geschichte und seine Bildmanipulationen, die er als Beweise vorlegte, waren so gut, dass auch Journalist*innen darauf hereinfielen und darüber berichteten. Aktuell arbeitet er an Gossan, einem fiktiven Mars-Themenpark, der in Südspanien von einem chinesischen Unternehmen gebaut werden soll – und hat es damit bereits auf die Tourismusmesse Fitur in Madrid mit einem eigenen Stand geschafft hat.

Auch andere gaukeln dem Publikum gerne etwas vor, indem sie bereits im Titel Erwartungen wecken. Robert Pufleb und Nadine Schieper präsentieren uns mit ihren Alternative Moons zahlreiche Vollmonde, die in Wirklichkeit jedoch bloß sehr schlau inszenierte Pfannkuchen sind, die sie im Seitenlicht fotografiert haben. Und Shigeru Takato hat mit The Moon eine Hommage an frühe NASA-Fotografien geschaffen und uns zugleich in mehrfacher Hinsicht getäuscht, denn die Bilder entstanden nicht auf dem Erdtrabanten, sondern in der Vulkanlandschaft der Kanareninsel Teneriffa, die eigentlich mehr für ihre Mars- denn für ihre Mondlandschaft bekannt ist.

Deutlich weniger Mühe bei der Erstellung einer Illusion gegeben hat sich hingegen die schwedisch-amerikanischen Künstlerin Aleksandra Mir, die 1999 in der Videoarbeit First Woman on the Moon ihre eigene Mondlandung inszenierte, die jedoch eigentlich auf einem niederländischen Strand stattfand.

Im Gegensatz zu den meisten anderen zuvor genannten Künstler*innen hat Mir erst gar nicht versucht, das Publikum mit einer perfekten Inszenierung zu täuschen – in dem Video sehen wir Bagger, die Sand zu Kratern aufhäufen, und Kinder und Sonnenbadende über den typischen Nordseestrand laufen – sondern sie hatte alles eher wie ein großes Happening angelegt, von dem am Ende nur die Dokumentation übrigblieb. Aber auch in zahlreichen anderen ihrer Arbeiten wie beispielsweise in Satellite Porto Alegre oder in ihrer großformatigen Reihe der sogenannten Space Tapestry hat sie sich immer wieder mit dem Weltraum beschäftigt und diesen in Bezug zum Menschen gesetzt. »How far from Hackney is Jupiter?« fragt sie dort und an anderer Stelle stellt sie nur noch lakonisch fest: »Yes, we are alone in the universe«.

Ein Satz, den der US-amerikanische Künstler Trevor Paglen so wahrscheinlich nicht unterschreiben würde. Paglen beschäftigt sich in seinen oft fotografischen, aber auch multimedialen und skulpturalen Arbeiten mit den Machenschaften der Geheimdienste und des Militärs und hat in mehreren den Himmel fotografiert. In The Other Night Sky sind beispielsweise die parallellaufenden Bahnen der Sterne zu sehen, aufgenommen in einer romantischen Bildtradition, die jedoch durchbrochen werden von den Lichtstreifen, die geheime Spionage-Satelliten auf den Fotos hinterlassen.

Aber Paglen beobachtet nicht nur den Himmel – er schickt auch Botschaften in ihn hinein: Mit Last Pictures reagierte er 2012 auf die beiden Voyager Raumsonden, die seit 1977
durch das Weltall rasen und auf ihren vergoldeten Datenträgern neben Geräuschen und Musik auch 115 Bilddateien dabeihaben, um möglichen Außerirdischen Auskunft über uns Menschen und die Erde geben zu können. Für Paglen ist dieses Bild allerdings völlig verzerrt, denn die »Golden Records« enthalten nur die positiven Seiten unserer Existenz, nicht jedoch die Kriege und Unmenschlichkeiten, weshalb er seiner eigenen Version Bilder von Atombombenexplosionen, Tornados und schmelzenden Gletschern hinzufügte. Diese sind auf der Tragfläche des Kommunikationssatelliten EchoStar XVI montiert, der die Erde umkreist.

Das ist allerdings nicht das erste Kunstwerk, dass sich jenseits der Erde befindet. Beispielsweise klebt ein kleines Mosaik des Street Artists Invader in der Internationalen Raumstation ISS. Es zeigt eines seiner Space Invaders, diese pixeligen Aliens, die die Erde in dem gleichnamigen Arcade-Spiel von 1978 angreifen.

Und auch auf dem Mond liegt bereits Kunst herum – nämlich eine acht Zentimeter große Aluminiumskulptur eines Raumfahrers, die der Belgier Paul van Hoeydonck angefertigt hat und die 1971 von der Crew von Apollo 15 auf dem Erdtrabanten platziert wurde. Fallen Astronaut ist den acht amerikanischen und sechs russischen Raumfahrern gewidmet, die bei der Entdeckung des Weltraums ihr Leben ließen. Wer sich die Figur anschauen möchte, muss sich aber nicht zwangsläufig auf den Mond schießen lassen – im National Air and Space Museum in Washington, D.C. ist eine Nachbildung ausgestellt.

Und wie steht es letztlich um das SPACE PROGRAM von Tom Sachs? In seiner Auseinandersetzung mit dem Weltraum werden Ausstellungsbesucher*innen nicht hinters Licht geführt, stattdessen will Sachs sie komplett in seine Arbeit integrieren. So können Besucher*innen sich einem »Indoktrinationsprozess« unterziehen und nach dem Training Teil seines Teams werden, was sie selbst wiederum zum Teil der großflächigen Installation macht. Diese Weltraumlandschaft desSpace Program: Rare Earths besteht aus Raketen, Landemodulen, Mission Control, Raumanzügen und allem, was für einen richtigen Flug ins All sonst noch dazu gehört – allerdings gebaut aus Material, das auch Normalsterblichen zugänglich ist. »Bricolage« nennt es Sachs und allein seine Verwendung des Begriffs zeigt, wohin die Reise gehen soll.

Ob Sachs’ Weltraum-Mission jedoch wirklich funktionsfähig ist, kann zumindest bezweifelt werden. Um in der Fantasie den Weltraum zu erkunden, taugt sie hingegen vielleicht sogar besser als das High Tech-Equipment der NASA.

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Damian Zimmermann (* 1976) lebt und arbeitet als Journalist, Kunstkritiker, Fotograf, Kurator und Festivalmacher in Köln.

Die Ausstellung TOM SACHS – SPACE PROGRAM: RARE EARTHS (SELTENE ERDEN) ist bis zum 10. April 2022 in den Deichtorhallen Hamburg zu sehen.


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