Der letzte Klassiker
27. Juli 2021
FOTO: ESTHER HAASE
27. Juli 2021
Sein Leben war ein einziger Spagat, den er freilich mit Bravour bewältigte. Ein Spagat zwischen Dienstleistung und Eigenleistung, Auftrag und Selbstauftrag, Pflichtenheft und Kunstanspruch. Ein Spagat zwischen Arbeit, die er nicht als solche empfand, und Freizeit, die er nicht brauchte. Geschäftssinn und ein Faible für Utopien gehörten zum Selbstverständnis dieses nimmermüden Zeitgenossen. Was nach Widersprüchen klingt, hat er nie als solche empfunden, sondern eher als die zwei Pole einer Batterie, die ihn stimulierte, antrieb und die letztlich zu einer Lebensbilanz führte, für die man eigentlich mehrere Viten braucht.
Gewiss, F.C. Gundlach, eigentlich Franz Christian Gundlach, war in erster Linie Fotograf, Modefotograf, um genau zu sein und als solcher einer der bedeutendsten im Deutschland der fünfziger bis siebziger Jahre. Tatsächlich war er mehr als das, nämlich ein rastloser Botschafter seines Mediums, der alle nur möglichen Register zog, um der Fotografie in Deutschland zu einem Platz, zu Ansehen und jener Verankerung im Kulturbetrieb zu verhelfen, die sie vor 1933 schon einmal – ansatzweise – hatte. F.C. Gundlach war (früher als andere) Sammler von Fotografie (aber auch von Kunst), er war Stifter, Kurator, Autor, Anreger, Anstifter, Geschäftsmann auch, Galerist, Initiator, ein Macher, der die Nähe zur Politik nicht scheute, weil er um die Bedeutung von Allianzen wusste.
Zügig in den fünfziger Jahren konnte sich der 1926 in Heinebach in Hessen geborene F.C. Gundlach als Fotograf einen Namen machen. Den väterlichen Gasthof nebst Kinobetrieb, den Krieg, die Gefangenschaft mit Hungertyphus und Tuberkulose hatte er längst hinter sich gelassen, als vor dem Hintergrund eines sich abzeichnenden »Wirtschaftswunders« in der Presse erste Aufnahmen erschienen. Fotografie hatte Gundlach bereits als Schüler interessiert. Nun strebte er ernsthaft in eine Profession, die noch ganz und gar analog und Handwerk war. In Kassel besuchte er eine private Fotoschule, assistierte in Stuttgart bei Ingeborg Hoppe, um sich mit Beginn der fünfziger Jahre selbstständig zu machen. Gundlach begann mit Reportagen für Zeitschriften wie Film-Revue, Funk-Illustrierte oder die vom legendären F.W. Köbner geleitete Elegante Welt – Anfänge im Journalismus, die man noch seinen späteren Modebildern ansieht.
Tatsächlich gehörte es zu Gundlachs Stärken, Mode in ein Narrativ
einzubetten, quasi nebenbei Geschichten zu erzählen, Bilder zu
inszenieren, in denen regelmäßig ein Stück Zeit- oder Kulturgeschichte
aufgehoben war. Selten ging es ihm alleine um »Buttons and Bows«, um die
Darstellung von Schnitten, Nähten, Knöpfen, sondern stets um eine
Erzählung, die letztlich aus einem Modebild ein Bild, aus einem Foto
eine Fotografie mit Mehrwert macht. »Fashion photography must be about
something«, hätte Richard Avedon gesagt.
Früh hat sich F.C. Gundlach international orientiert. Mehrere
Paris-Reisen Anfang der fünfziger Jahre, die Bekanntschaft mit Jean Cocteau
und Jean Marais erwiesen sich als ebenso prägend wie Besuche im
Amerikahaus in Stuttgart, wo die US-Vogue oder Harper’s Bazaar dem
angehenden Modeprofi zeigten, was Modefotografie bedeuten kann. Namen
wie Erwin Blumenfeld, Irving Penn oder Richard Avedon wurden das Maß
aller Dinge, auch wenn im westlichen Nachkriegsdeutschland
Entsprechendes kaum umzusetzen war. Wenn F.C. Gundlach je unter etwas
gelitten hat, dann unter der Provinzialität der deutschen
Nachkriegspresse, dem Fehlen mutiger Artdirectors und Verleger. Was ihn
nicht hinderte, unter dem Eindruck des Gesehenen seine Visionen zu
verfolgen. Als besonders fruchtbar erwies sich seine Zusammenarbeit mit Film und Frau,
was nicht unbedingt nach Avantgarde klingt, und doch zählen die
überlegt gestalteten, anzeigenfreien Doppelseiten mit Aufnahmen von F.C.
Gundlach zum Originellsten, was seinerzeit erschienen ist.
Keine Frage: F.C. Gundlach liebte die Regie. Im Leben wie in seiner Arbeit hatte der Zufall keinen Platz. Er war es, der die Modelle bestimmte, darunter in den Anfangsjahren gerne auch bekannte Film- oder angehende Fernsehstars von Ruth Leuwerik bis Nadja Tiller. Er war es, der sich der Herausforderung ungewöhnlicher Locations stellte, die Pyramiden von Gizeh inbegriffen. Und er war es, der das Licht setzte und damit nicht zuletzt die Schatten definierte.
Bei aller Affinität zu den schönen Seiten des Lebens, F.C. Gundlach hatte ein Sensorium für ernste Lebenslagen. Niemand hat eine verstörte, depressive Romy Schneider besser verstanden als F.C. Gundlach, als er die Schauspielerin an einem verregneten Sonntag 1962 in Hamburg porträtierte. Auch Filmemachern wie Jean-Luc Godard, bildenden Künstlern wie Willi Baumeister oder Martin Kippenberger oder Fotografenkollegen wie Robert Frank hat F.C. Gundlach einfühlsame Porträts gestiftet. Bei allem Verständnis für die Mode – es war das Menschenbild, das F.C. Gundlach umgetrieben hat.
Auch Pelz und immer wieder Pelz hat er fotografiert, im Auftrag für
die Lufthansa gearbeitet oder werblich für den Strumpfhersteller Falke.
Redaktionell war er besonders lang und intensiv für Brigitte
tätig, in deren Auftrag wohl seine bekanntesten Arbeiten entstanden
sind. Nicht weniger als 180 Titel sowie 5.500 Seiten Redaktion gingen
auf sein Ideenkonto. Mode fotografierend hat F.C. Gundlach
selbst ein Stück Modegeschichte geschrieben. F.C. Gundlach betätigte
sich unternehmerisch – als er 1967 die Firma Creative Color GmbH, später
PPS. in Hamburg gründete. Er leistete Pionierarbeit als Galerist –
indem er 1975 die legendäre PPS. Galerie im Bunker startete.
Er
begleitete die Musealisierung seines eigenen Œuvres – eine erste große
Ausstellung hatte er 1986 in Bonn. Und er kuratierte wichtige, fast
schon epochale Ausstellungen speziell zur Modefotografie im 20.
Jahrhundert: Berlin en Vogue (1993), Martin Munkácsi (2005), The Heartbeat of Fashion (2006). In Hamburg eine Foto-Triennale initiiert, eine Stiftung etabliert, ein Haus der Photographie durchgesetzt
zu haben, zählt zu F.C. Gundlachs nachhaltigen Leistungen auf
kulturpolitischem Gebiet. Mit diesem Ort, seiner Sammlung, seiner
Stiftung hat er Hamburg zu einer der in Deutschland bedeutendsten
Spielstätten für Fotografie gemacht.
Stets hat F.C. Gundlach seine Visionen verteidigt. Mit Ernst,
Entschiedenheit, Humor. Er besaß Stil gepaart mit Nonchalance.
Selbstbewusstsein gänzlich ohne Arroganz. Größe, ohne aufzutrumpfen.
Sein Blick ging historisch in die Tiefe und zeigte sich zugleich Neuem
gegenüber aufgeschlossen: Avantgarde bis ins hohe Alter. Zahllose
jüngere Kuratorinnen und Kuratoren hat er geprägt. Wie man Ausstellungen
denkt, wie man sie hängt, wie man sie inszeniert – F.C. Gundlach hat es
vorgemacht.
Bei all dem kam das Genießen nicht zu kurz. F.C. Gundlach kochte
gern. Mischte den »besten Martini der Welt«. Und zeigte sich in Sachen
Wein mehr als kompetent. Ein Weltbürger, der in Hamburg angekommen war.
Ein Hanseat, der die Welt in sich trug. Letzte Lebensjahre verbrachte
F.C. Gundlach in einer Seniorenresidenz in Hamburg, umgeben von zwei
Aufnahmen, die ihm viel bedeutet haben müssen. Ein Vogelschwarm von
Martin Munkácsi. Und ein Beispiel aus der Porträtserie mit Romy
Schneider. Visualisiert das eine Aufbruch, Lebensfreude, Leichtigkeit,
so transportiert das andere Skepsis, Schwermut, einen Blick ins Leere.
Zwischen Aufbruch und Innehalten, Erinnerung und Gegenwart,
Enttäuschungen und einer im Prinzip positiven Weltsicht war auch das
Leben und Denken von F.C. Gundlach aufgespannt. Am 23. Juli, wenige Tage
nach seinem 95. Geburtstag, ist mit ihm der wohl letzte Klassiker
deutscher Fotografie gestorben.
__________
Hans-Michael Koetzle lebt als freier Schriftsteller und Publizist mit Schwerpunkt Fotografie in München. Als Co-Kurator hat er 2008 für das Haus der Photographie die Retrospektive zu F.C. Gundlach mitbetreut sowie die Ausstellungen EYES ON PARIS – PARIS IM FOTOBUCH (2011) und AUGEN AUF! 100 JAHRE LEICA FOTOGRAFIE (2014) konzipiert.