Foto: Henning Rogge

»Ein einzigartiger Seismograph«

Seit über 15 Jahren prämiert GUTE AUSSICHTEN junge Fotografie-Absolvent*innen aus Deutschland und gibt ihnen die Gelegenheit, ihre Arbeiten erstmals einem großen Publikum zu präsentieren. Drei ehemalige Preisträger*innen sprechen darüber, was der Preis für ihre Arbeit bedeutet hat und wo sie heute stehen. VON PAULA MICHALK

5. August 2020

Teilen

Nadja Bournonville
»Das Netzwerk lebt«

HALLE4: Nadja, du hast 2003 angefangen Fotografie zu studieren, 2014 gehörtest du zu den Preisträger*innen von gute aussichten. Vor Kurzem wurdest du von der Stiftung Kunstfonds ausgezeichnet. Wie hat sich deine Fotografie über die Zeit entwickelt?
Nadja Bournonville: Vor allem haben sich meine Themen verändert. Am Anfang habe ich Familiengeschichten in den Fokus meiner Arbeit gestellt. Mittlerweile finde ich es aber interessanter, die Fotografie als Mittel zu nutzen, um immer mehr über fremde Themenfelder zu erfahren. Das ist meine Art und Weise, um die Welt besser zu verstehen.

Anders als die Mehrzahl der gute aussichten-Teilnehmer*innen hattest du zum Zeitpunkt der Ausstellung schon langjährige Erfahrung als Fotografin. Was hat dich damals dazu bewogen, am Wettbewerb teilzunehmen?
Ich komme aus Schweden und habe in Schottland studiert. Danach bin ich nach Leipzig gegangen. Wenn man von außen kommt, kennt man die ganzen Hierarchien und Netzwerke nicht. Ich war mir deshalb nicht bewusst darüber, was für Ausstellungen ich in Deutschland realisieren könnte. Meine Professorin meinte dann, dass es eine gute Idee wäre, mich mit meiner Abschlussarbeit für den Preis zu bewerben. Ich wusste damals noch gar nicht richtig, was gute aussichten wirklich ist und was es für mich bedeuten könnte.

Nadja Bournonville, Lophura nycthemera, aus der Serie A worm crossed the street, 2019 © Nadja Bournonville

Wie würdest du deine Teilnahme denn heute beurteilen?
Für mich persönlich war es eine positive Erfahrung. Ich habe dadurch Ingo Taubhorn, den Kurator des Hauses der Photographie, kennengelernt und so noch ein weiteres Projekt mit ihn realisieren können. Es bedeutet unglaublich viel, Kontakte wie diesen zu haben. Mit einigen Kolleg*innen treffe ich mich immer noch – es sind Freundschaften entstanden. Das Netzwerk lebt!

Haben sich aufgrund von gute aussichten neue Ausstellungsprojekte für dich ergeben?

Man weiß natürlich nicht immer, wer oder was einem genau zu neuen Ausstellungen verholfen hat. Für meine Teilnahme an recommended – Olympus Fellowship 2018 hat mir sicherlich meine Verbindung zu den Deichtorhallen durch gute aussichten geholfen. Über das Gastspiel von gute aussichten in den USA hat die Washington Post berichtet. Das passiert ja auch nicht so oft. Ich habe auch jetzt schon ein paar Anfragen bekommen, ob ich in Krakau ausstellen möchte. Ich kann mir vorstellen, dass es da einen Zusammenhang gibt. Es war auch einfach schön, auf unseren gute aussichten-Reisen viele Kurator*innen und Galerist*innen kennenzulernen. Wenn man zum Fotofestival nach Arles fährt, dann gibt es dort Menschen, die man schon kennt. Das finde ich sehr hilfreich.

Nadja Bournonville hat Fotografie in Glasgow und Leipzig studiert. Die gebürtige Schwedin ist als freischaffende Fotografin bei Pierogi Gallery, New York unter Vertrag. Sie lebt und arbeitet in Berlin. www.najdabournonville.se

Julia Steinigeweg
»Man muss auch Klinken putzen«

HALLE4: Julia, erst vor drei Jahren hast du bei gute aussichten mit der Serie Ein verwirrendes Potenzial teilgenommen, in der du den Ersatz von Beziehungspartner*innen durch Puppen untersuchst. Die Serie hat für viel Diskussionsstoff beim Publikum gesorgt. Inwiefern haben dich die Reaktionen der Betrachter*innen in deinen aktuellen Arbeiten beeinflusst?
Julia Steinigeweg: Für mich war es total verwunderlich, dass es für die Besucher*innen immer sofort um die Männer und Frauen ging, die mit diesen Puppen zusammenleben. Das war überhaupt nicht mein Interesse. Der Fokus lag für mich eher auf der Puppe selbst. Die Arbeit wurde viel dokumentarischer wahrgenommen, als sie eigentlich ist. Es geht für mich gar nicht darum, eine Geschichte in ihrem vollen Umfang darzustellen, sondern ein reales Phänomen fotografieren zu können. Für meine neue Arbeit I Think I Saw Her Blink habe ich deshalb dafür gesorgt, dass man sich zu ihr auf meiner Webseite und auf Instagram einlesen kann. Bei gute aussichten ist das gut gelöst. Man hat da dieses kleine Heft mit nur einem Satz. Wenn man will, kann man dann später im Katalog weiterlesen.

Wo hast du nach gute aussichten ausgestellt?
In der Galerie Eigenheim in Weimar, beim Kultursymposium vom Goethe Institut und sonst in der Kulturbäckerei Lüneburg sowie auf dem FotoFestival in Naarden. Ich glaube, die Kurator*innen aus Naarden und Lüneburg sind direkt über gute aussichten auf mich aufmerksam geworden. Ich habe vor Kurzem auch auf der Daegu Photo Biennale in Südkorea ausgestellt. Die sind durch das Buch auf mich aufmerksam geworden, das ich bei Peperoni Books mit Hannes Wanderer zusammen gemacht habe. Die Kurator*innen kennen meine Arbeit durch die Empfehlung von Hannes Wanderer, bei dessen Verlag Peperoni Books ich mein Buch publiziert habe. Bücher sind eine super Werbung!

Julia Steinigeweg, Ein verwirrendes Potenzial, 2017 © Julia Steinigeweg

Du fotografierst inzwischen auch für renommierte Zeitungen und Magazine wie die ZEIT und den Stern. Wie kam es dazu?
Meinen allerersten Job habe ich über einen Zufall bekommen. Das war eine Vertretung für jemanden, der gerade abgesagt hatte. Schließlich habe ich die Gesellschaftskolumne Haas geht aus in der ZEIT fest fotografiert. So kam von links und rechts immer was Neues. Für meine Arbeit I Think I Saw Her Blink habe ich in Singapur eine Professorin fotografiert, die eine Roboterkopie von sich selber herstellt. Ich hätte sie gar nicht fotografieren können, wenn ich es nicht als Job für den Stern gemacht hätte, da die Flugkosten zu hoch gewesen wären. Allgemein ist es jedoch immer sehr wichtig, sich Kolleg*innen zu suchen, mit denen man sich austauschen kann. Man muss natürlich auch Klinken putzen, einfach immer vorbei gehen und sich zum Kaffeetrinken treffen. Dadurch hat sich oft mehr ergeben, als wenn ich mich bei jemandem ganz klassisch mit meiner Mappe vorgestellt habe.

Du entwickelst also künstlerische Projekte und bist zugleich als Bildjournalisten unterwegs. Inwiefern greifen beide Genres in deiner aktuellen Arbeit ineinander über?
Ein Bildredakteur hat mir einmal zu Ein verwirrendes Potenzial geraten: »Sei vorsichtig, wem du diese Arbeit gibst! Sie ist nicht für dokumentarische Zwecke gemacht, sondern ist eine künstlerische Arbeit«. Den Rat habe ich befolgt. Ich schaue eher, inwiefern ich künstlerische Ansätze generell in meine redaktionelle Fotografie einfließen lassen kann. Ich weiß, dass künstlerisches konzeptionelles Denken sehr gut ankommt, weil ein stimmiges Bildkonzept die Dinge vereinfacht. Es geht eben nicht nur darum, ein gutes Licht zu setzen. Das reicht nicht. Es gibt zu viele Menschen, die das können.

Julia Steinigeweg hat Kommunikationsdesign und Kunst an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg studiert. Sie fotografiert als freie Bildjournalistin für zahlreiche namhafte deutsche Zeitungen und Magazine. www.juliasteinigeweg.de

Felix Dobbert
»Der Preis steht für etwas«

HALLE4: Felix, du bist ein Preisträger der ersten Stunde. Seit 2004 hat sich der Preis ja durchaus weiterentwickelt. Wie hast du den Wettbewerb damals wahrgenommen?
Felix Dobbert: In Hamburg war das Medieninteresse gigantisch – als ob die Stadt auf einen solchen Preis gewartet hätte. Der Preis war ja komplett neu, niemand kannte gute aussichten. Aber das Interesse an junger Fotografie war einfach enorm. Das Prinzip war damals aber schon dasselbe: man wurde von seinen Professor*innen vorgeschlagen, die die Abschlussarbeiten betreuen – bei mir war es Jörg Sasse, ein Becher-Schüler. Heute wird jedoch der installative Charakter viel mehr mitbewertet.

Auch damals hast du schon Stillleben ausgestellt. Was fasziniert dich an dem Genre und wie hast du es bis heute in deiner Arbeit entwickelt?
Ich bin immer weiter vom klassischen Stillleben weggegangen. Das ist jetzt ein bisschen hochgegriffen, aber die Leitfrage an mich selbst lautet momentan, wie kann man das Stillleben irgendwie verändern oder zeitgenössischer gestalten, sodass man diesem uralten Genre noch was Neues abgewinnt. Für mich ist dieses Genre einfach noch nicht erschöpft.

Wie näherst du dich dieser Frage an?
Für mich haben neue technische und mediale Einflüsse den Anstoß gegeben. Mir geht es darum, das Thema von Konstruktion, Bewegung und Dekonstruktion in das Stillleben zu bringen und zugleich etwas zeitgenössisch Mediales ins Genre einschließen zu lassen. Random Flowers (2016) ist vielleicht ein ganz guter Wendepunkt in meinem Schaffen. Die Arbeit basiert auf einer Smartphone-Software, die eigentlich dafür genutzt wird, Panoramen zu erstellen. Da die Software eigentlich für etwas anderes als ein Stillleben programmiert ist, macht sie Fehler. Diese habe ich extra herausgekitzelt und für meine Fotografien benutzt. Dann gab es wieder eine Gegenbewegung zurück ins Analoge: Ich habe mit einer Sofortbildkamera die typischen kleinen Bilder mit weißem Rand geschossen und habe diese dann für riesige Blow-Ups abfotografiert. Ich glaube, ich bin so ein Tüftler und beim Stillleben kann man das ganz gut ausleben.

Felix Dobbert, PMG, 2004 © Felix Dobbert / VG Bild-Kunst Bonn, 2020

Du selbst bist heute Initiator eines Projektes: 5x5 still lifes. Hierfür fotografieren fünf Künstler*innen fünf Objekte, die sie untereinander weiterreichen. Woher kam die Idee zu diesem Projekt?
In meiner Rolle als Leitender des Arbeitsbereichs Fotografie an der TU Dortmund war ich irgendwann in viele Kooperationen mit anderen Universitäten involviert und lernte dabei viele anderer Sichtweisen kennen. Das war der Anstoß für 5x5 still lifes, das zunächst eher eine spielerische Entwicklung war. Meine Mitspieler und ich sind nicht gleich mit so einem Leistungsanspruch rangegangen. Wenn man als Künstler unterwegs ist, steht man – insbesondere beim Stillleben – nur mit seinen eigenen Objekten in Dialog. Das wurde durch das Projekt komplett durchbrochen. Plötzlich musste man sich mit Gegenständen auseinandersetzen, die man sich selbst niemals ausgesucht hätte.

Du hast gerade erwähnt, dass du seit 2007 den Arbeitsbereich Fotografie an der TU Dortmund leitest. Zudem hast du als Gastprofessor an der Universität in Gießen gelehrt. Wie schätzt du als Lehrender den Wert eines ideellen Preises wie gute aussichten ein?
gute aussichten ist einfach ein sehr guter Seismograph für die zeitgenössische Fotografie. Ich finde einen solchen Preis, vor allem wegen seiner Einzigartigkeit, unbezahlbar. Natürlich ist es immer schön, wenn man dank eines Preisgeldes die Möglichkeit bekommt, einen tollen Katalog zu machen. gute aussichten ist damals mit meinem Jahrgang wie eine Rakete durchgestartet, deshalb war auch das Interesse an der Auszeichnung von Anfang an sehr groß. Ich komme ja gebürtig aus Hamburg. Für mich waren die Deichtorhallen immer völlig unerreichbar. Da haben nur die absoluten Superstars ausgestellt. Was man Josefine Raab und Stefan Becht wirklich zu Gute halten muss ist, dass sie es trotz aller Übernahmeversuche geschafft haben, autark zu bleiben. Damit haben sie einen Preis geschaffen, auf den man sich als Preisträger berufen kann. Der steht für was!

Felix Dobbert hat Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Fotografie an der Folkwang Universität der Künste studiert. Er arbeitet seitdem als freier Künstler und leitet zudem den Arbeitsbereich Fotografie an der TU Dortmund. Er lebt in Düsseldorf. www.felixdobbert.de

Paula Michalk ist Volontärin am Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg.
GUTE AUSSICHTEN 2019/2020
ist noch bis zum 30. August 2020 im Haus der Photographie zu sehen.


weiterlesen