Monika Michalko, Colombo, 2018. © Monika Michalko/Foto: Jan Michalko

Ein Fenster zur Welt

Sie wurde totgesagt, neu erfunden und reaktiviert: Wie kaum eine andere Gattung steht die Malerei gleichbedeutend für die Kunst. Heute ist sie wieder erstaunlich lebendig – auch weil sie stets mit der Zeit gegangen ist. VON NINA TROMPETTER

11. März 2020

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Die Malerei ist tot. Hoch lebe die Malerei! Für die Ausstellung JETZT! JUNGE MALEREI IN DEUTSCHLAND, die ausschließlich Positionen unter 40 zeigt, wurden Arbeiten ausgewählt, die sich mit dem Medium der Malerei in seiner »klassischen« Form beschäftigen. Die Arbeiten bleiben also weitestgehend im Rahmen des viereckigen Ausschnittes und spielen mit der Zweidimensionalität der gegebenen Trägerfläche, »ohne konzeptuelle oder ideologische Einschränkungen« wie die Kurator*innen es ausdrücken. Doch was ist passiert, dass die Kriterien der Form bereits reichen, um die Auswahl einzuschränken?

Untrennbar ist der Werdegang der Malerei mit der Geschichte des Menschen und seiner jeweiligen Sicht auf die Welt verbunden. Höhlenmalereien zählen zu den frühesten überlieferten Zeugnissen der Malerei. Auch in Glaubensfragen spielt sie eine wichtige Rolle. So wurde gemalten Bildern von Heiligen nachgesagt, Wunder bewirken zu können.

Was die Malerei zu leisten vermochte, wurde im Laufe der Zeit immer wieder neu definiert, so wie sich auch der Geschmack der Gesellschaft veränderte. Seit dem 15. Jahrhundert ist Leon Battista Albertis Metapher des Bildes als offenes Fenster prägend: Das finestra aperta, ein eckiger, von Künstler*innen gelenkter Ausschnitt der Welt.

Besonders wichtig war lange Zeit das Thema des Dargestellten. In einem Traktat aus dem 17. Jahrhundert, legte die Académie royale de peinture et de sculpture in Paris eine klare Hierarchie der Gattungen fest, die lange Zeit ihre Gültigkeit beanspruchte. Den ersten Platz beanspruchte das Historienbild, danach folgten das Porträt, die Darstellung des alltäglichen Lebens »einfacher« Leute und schließlich die Landschaft. Ganz unten in der Hierarchie fand sich die Gattung des Stilllebens.

Caspar David Friedrich, Frau am Fenster, 1818–1822
Öl auf Leinwand, 44,0 × 37,0 cm, Alte Nationalgalerie Berlin











Der Kampf gegen das Bürgertum wurde auch auf der Leinwand ausgetragen.

Im 19. Jahrhundert kam jedoch Bewegung in die Kategorisierung. Mit dem Wandel des Menschenbildes wollten die Porträtierten von schematisierten Stereotypen zu individuell erkennbaren Personen werden. Der Ruf nach Natürlichkeit und Originalität wurde laut und hatte ebenso Auswirkung auf das Selbstverständnis der Maler*innen. Gustave Courbet beispielsweise wurde nicht müde seinen starken, ländlichen Akzent und seine einfache Herkunft zu betonen um sich vom höfischen, wohlerzogenen Künstler abzugrenzen.

Mit der sogenannten Schule von Barbizon trat um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine lose Gruppe auf, die die »niedere« Gattung Landschaft wählten und auf der Suche nach einem direkten Zugang zur Natur abseits des Ateliers waren. Ihre Landschaften waren weder idealisiert, noch waren religiös, mythologisch oder kriegerisch motivierte Menschen die Priorität der sie umgebenden Natur. Die Bilder waren nicht mehr glatt gemalt, sondern wiesen Pinselspuren auf. Ein Affront gegen das glatt geschniegelte Expertentum der Akademie und ein Wegbereiter der lockeren, luftigen Bilder der Impressionisten.

Die Darstellung des Momentes, des Augenblickes geriet in den Fokus. Der Kampf gegen das Bürgertum wurde auch auf der Leinwand ausgetragen. Die Gattungsgrenzen verschwammen und mit ihnen auch die Art wie über Kunst gesprochen und geurteilt wurde. Ein neues Vokabular musste gefunden werden für eine veränderte Sehweise auf die Welt.

Mit dem Bedeutungsverlust von Adel und Hofstaat brach für das Künstlertum ein sicherer Arbeitgeber weg. Das aufsteigende Bürgertum hingegen bot eine neue Vertriebsfläche und Format und Themen mussten an die Einrichtung des bürgerlichen Haushaltes angeglichen werden. Das Museum wie wir es heute kennen existierte noch nicht und was galt es nun mit seiner Kunst auszudrücken, wenn das Publikum nicht mehr moralisch belehrt werden wollte?

Édouard Manet, 1863, 130,5 × 190 cm, Öl auf Leinwand, Musée d’Orsay, Paris

Ein echter Schock in diesen Zeiten war Edouard Manet, Spross einer angesehenen Pariser Familie und in einem renommierten Atelier ausgebildet. Eine vielversprechende Karriere, wäre da nicht seine an Tizians Venus angelehnte Olympia. Die Frau galt Dichtern und Denkern stets als Synonym für die schönen Künste schlechthin. Manet malte jedoch eine nackte Dame von zweifelhaftem Ruf, die es auch noch wagt den Betrachter direkt anzusehen. Eine Kurtisane, die sich nicht als sehnsuchtsvolles Objekt versteht, sondern dem Bürger einen Spiegel vorhält. Das Bild wurde seinerzeit bei der Präsentation mit Schirmen attackiert, so sehr erhitzte es die Gemüter. Vielleicht spürte das Publikum instinktiv, dass Manet an den Grundfesten der Malerei selbst zu kratzen begann. Das Format war zu groß für ein Genrebild, das Thema zu schlüpfrig für einen öffentlichen Salon, die Frau nicht schön genug.

Mit dem steigenden Einfluss neuer Medien wie der Fotografie kam die Malerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts erneut in Erklärungsnot. Zum alten Kräftemessen mit der Bildhauerei wurden nun auch noch Ready-Mades von Duchamp zur Kunstform erklärt. Die Grenzen der Medien vermischten sich nachhaltig. Schnell galt die reine Malerei als verstaubt und langweilig. Doch sie war anpassungsfähig und nutzte die Fotografie für ihre Zwecke. So dienten Fotos als Inspirationsquellen und Erinnerungsstützen.

Wenn die Fotografie durch das Kameraauge auf die Wirklichkeit blickte, dann zeigte die Malerei eben, in Erneuerung des alten Diktums, die Wahrheit durch das Auge des Künstlers. Nach der Jahrhundertwende wurde diese Wahrheit zunehmend rascher im Ein- und Ausdruck, die Pinselführung zackiger. Farben und Formen waren nicht länger naturgebunden, sondern durch Künstler*innen und ihre Wahrnehmung bestimmt.

Da die Fotografie schon die vermeintliche Wirklichkeit zeigte, konnte die Malerei zunehmend ihre Gegenständlichkeit aufgeben. Höhepunkt dieser Tendenz und gleichzeitig ein Endpunkt für die Malerei war Kasimir Malewitschs Schwarzes Quadrat auf weißem Grund von 1915. Aufgehängt in eine Ecke unter der Decke, dem Platz der traditionell russischen Ikonen vorbehalten ist, entsprach das Bild einer kompletten Verneinung von Gegenständlichkeit und ein Hintasten zur Grenze der Abstraktion.














Die Grenzen der Medien vermischten sich nachhaltig. Schnell galt die reine Malerei als verstaubt und langweilig.

Nach den verstörenden Erlebnissen von zwei Weltkriegen, der buchstäblichen Defragmentierung des Menschen, stand nicht nur die Malerei vor einem Scheideweg. Das Zentrum der Kunst verlagerte sich von Europa nach Amerika, speziell nach New York. Der bisherige Werkbegriff wurde in Frage gestellt und insbesondere die künstlerischen Praktiken wurden dem Publikum sichtbar gemacht und neu in Szene gesetzt. Happening und Performance entstanden und erweiterten den Kunstbegriff zusätzlich. Künstler*innen selbst gerieten in den Fokus des allgemeinen Interesses.

Yves Klein ließ im Rahmen einer Performance Frauen ihre mit Farbe bemalten Körper wie »lebende Pinsel« auf einer Leinwand bewegen. Der Entstehungsprozess ist nun eigenständiges Werk. Und auch mit dem sogenannten Action Painting fand eine neue, publikumswirksame Form des Farbauftrages statt. Malerei war haptisch erfahrbar geworden und nicht mehr auf einen flachen Bildträger beschränkt.

Zu jeder Zeit ist in der Malerei ein Pluralismus an Strömungen und dazu passende Gegenentwürfen zu finden. Das späte 19. und vor allem das 20. Jahrhundert ist das Zeitalter der –ismen und lockeren Künstlerzusammenschlüssen. Ein ständiges Abgrenzen von Althergebrachten, ein Spiel mit der eigenen Geschichte oder die komplette Verneinung von Sinnhaftigkeit in der Kunst. Kunst ist alles, Kunst ist nichts. Künstler*in sein ist ein Gesamtkonzept, ein Lebensentwurf geworden, der nicht vor Gattungsgrenzen halt macht. Künstler*innen singen, tanzen, malen, fotografieren, entwerfen Mode, kooperieren mit Baumärkten und bewegen sich am Rande der genormten Gesellschaft.

Auch andere Akteur*innen, wie Sammler*innen, Kunsthändler*innen, Galerist*innen, Museumsdirektor*innen und Kritiker*innen mischen mit und stecken das Spielfeld immer wieder neu ab. Malerei bleibt relevant. Vielleicht weil sie stets mit der Zeit gegangen ist, sich mit anderen Gattungen vermischte und nicht starr blieb. Wie keine andere Gattung ist sie ein Synonym für Kunst.

Nina Trompetter ist Kunsthistorikerin, freie Autorin und promoviert über französische Malerei des 19. Jahrhunderts an der Universität Bonn. Ihre Forschungsfelder reichen von der Moderne bis zur Kunst der Gegenwart.

Die Ausstellung JETZT! JUNGE MALEREI IN DEUTSCHLAND ist bis zum 17. Mai 2020 in den Deichtorhallen Hamburg zu sehen.


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