»EIN HASHTAG KANN ALLE VERBINDEN«
21. Dezember 2020
FOTO: BEN HEIM SHEPARD
21. Dezember 2020
In HALLE4 lesen sie eine leicht gekürzte Fassung eines Gesprächs mit Ken Schles, das im Rahmen des #KenSchlesTakeover live auf Instagram entstand. Das Gespräch ist in voller Länge im Instagram-Kanal @deichtorhallenhamburg zu sehen.
HALLE4: Ken, engagierst du dich bei allen Protestaktionen, die du fotografierst und deren Bilder du auf Instagram postest?
Ken Schles: Ich habe mich seit der Wahl von Trump 2016 ziemlich durchgehend an Protesten beteiligt, mit einigen Unterbrechungen infolge des Corona-Lockdowns. Ich finde es sehr wichtig, Stellung zu beziehen und sich zu engagieren und nicht passiv zuzuschauen, wie demokratische Institutionen untergraben werden. Was mir in meinem gesamten Werk wichtig ist, ist das persönliche Engagement. Ich glaube, dass ich nur über meine eigenen Erfahrungen etwas aussagen kann. Meine Arbeiten sind Ausdruck meines Dabeiseins und meiner persönlichen Interpretation einer bestimmten Situation – was allerdings mit Partizipation und ziemlich viel Subjektivität einhergeht.
An welcher Art von Protesten beteiligst du dich hauptsächlich?
Es geht mir vor allem um Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Umwelt. Die Proteste sind alle prodemokratisch. Persönlich engagiere ich mich für gewaltfreie Vorhaben, die auf eine stärker auf Gleichheit beruhende, gerechtere Gesellschaft hinarbeiten. Ich lege meinen Schwerpunkt auf die Bürger*innenrechte sowie den gleichberechtigten Zugang zur medizinischen Versorgung und ich setze mich für eine intakte Umwelt ein. Das sind alles Dinge, die in demokratischen Gesellschaften als selbstverständlich zu gelten scheinen, auch wenn ich weiß, dass diese ständig neu ausgehandelt werden.
Welche Entwicklung macht dir momentan am meisten Sorgen?
Zu meinen größten Ängsten gehört die zunehmende Hinwendung zum Autoritarismus in diesem Land. Ich beobachte, wie dieses Land sich mehr und mehr zu einer weniger demokratischen Gesellschaft entwickelt. Die Corona-Pandemie hat aufgezeigt, wie ungleich die Verhältnisse tatsächlich sind. Wir können deutlich erkennen, wessen Interessen geschützt werden und wessen Leben weniger wert ist.
Was erwartest du von der neuen Regierung und der Präsidentschaft Joe Bidens?
Der Ausgang der Wahl war knapper als es jemandem mit demokratischen
Vorstellungen lieb sein kann. Es gibt viele Probleme, die sich nicht
einfach durch die Wahl Bidens lösen lassen. Trump wird weiterhin eine
große Gefolgschaft haben. Die Republikaner*innen benehmen sich noch
genauso ungeniert und folgen dem von Trump vorgegebenen Pfad. Ich bin
voller Hoffnung, aber ich bin auch Realist. Im Moment sieht es so aus,
als ob wir weiterhin ein divided government haben, das heißt die Mehrheit im Kongress entspricht nicht der Parteizugehörigkeit des Präsidenten.
Dies wird auch dem zukünftigen Präsidenten die Gesetzgebung erschweren.
Die von der weit rechts stehenden Basis beeinflussten Republikaner*innen
bemühen sich nach Kräften, das System zu zerstören und ihre Macht zu
konsolidieren. Sollte Mitch McConnell nach den Stichwahlen in Georgia am
5. Januar 2021 immer noch Mehrheitsführer im Senat sein, wird es meiner
Meinung nach für Biden sehr schwierig werden, die strukturellen Schäden
rückgängig zu machen, die den demokratischen Institutionen nicht nur
durch Trump, sondern der Demokratie an sich zugefügt wurden. Ich glaube,
dass Biden mittels Präsidentenverfügungen in der Lage sein wird, die
schlimmsten von Trump angeordneten Maßnahmen aus der Welt zu schaffen.
Aber gegen die antidemokratischen Gegenwinde wird einiges an harter
Arbeit zu leisten sein.
Wie kam es dazu, dass du regelmäßig Fotografien auf einer digitalen Plattform wie Instagram postest?
Kunst, die bei einem Publikum auf Resonanz trifft, gewinnt dadurch an
Kraft. Es ergibt sich ein fortwährender Dialog mit den Menschen. Es ist
auch ein Dialog der Ideen. Wenn man Kunst macht, muss man sie in einem
öffentlichen Raum vorstellen. Sie braucht ein Publikum,
Veranstaltungsorte, Bücher oder Wände. Das Internet ist ein zusätzlicher
Raum, an dem man Ideen ausarbeiten kann. Wegen seiner Unmittelbarkeit
ist es ein wunderbarer Ort für den fortdauernden Austausch über
zeitgenössische Themen.
Du hast eine Kunstakademie besucht, bevor du die Fotografie für dich entdeckt hast.
Das stimmt, ich war allerdings bald sehr frustriert, weil ich merkte,
dass Malen zur Vereinsamung führt. In der Fotografie sah ich ein Mittel,
um mit der Welt in Dialog zu treten und mit ihr zu interagieren, ohne
mir Sorgen wegen meiner Maltechnik machen zu müssen. Es war für mich ein
Weg, mich mit Ideen auseinanderzusetzen. Auf Instagram poste ich ein
Bild mit Text oder lade eine Serie von Fotografien hoch. Für mich ist
die Erfahrung nicht so umfassend wie bei einem Fotobuch, aber das muss
auch gar nicht sein. Es ist anders, aber es geht immer noch darum, Ideen
zu sammeln, sie zu ordnen und zusammenzufügen und sie für mich und
andere Leute zu verdeutlichen.
Warum hast du dich entschieden, Deine Instagram-Posts mit Hashtags zu versehen?
Es ist eine Möglichkeit, das Werk mit anderen Aussagen zum selben Thema
zu verknüpfen. Leute, die Proteste organisieren, überlegen sich häufig
ein spezielles Hashtag, um die Stimme des Protests zu verstärken. In den »guten alten« Zeiten war ein Protest auf jene beschränkt, die an einer
Demonstration teilnehmen konnten oder auf jene, die sich direkt mit dem
Thema befassten. Der Protest war durch Raum und Zeit begrenzt. Wenn die
Presse nicht darüber berichtete, konnte die Aktion leicht übersehen oder
vergessen werden. Mit Hashtags kann die Wirkung eines einzelnen
Protests durch weitere Aktionen über Zeit und Raum hinweg verstärkt oder
in Echtzeit auf der ganzen Welt erlebt werden. Die Aktionen im
Zusammenhang mit dem Tod von George Floyd fanden ihren Widerhall überall
in der Welt. Etwas Vergleichbares gab es zuvor nicht. Mit den Hashtags
konnte man alle miteinander verbinden.
Du verwendest auch eher Hashtags, die sonst nicht so geläufig sind.
Manchmal setze ich Hashtags gern poetisch ein. Ich frage mich, wie ich
den Gehalt dessen, wovon ich rede, auf den Punkt bringen kann. Manchmal
ist das Ergebnis kein übliches Hashtag, bringt aber meine Gefühle in dem
Moment zum Ausdruck.
Gibt es auch so etwas wie eine Community im Zusammenhang mit
diesen Hashtags? Treten die Leute mit dir in Kontakt, indem sie dasselbe
Hashtag benutzen?
Ich glaube, jegliche Community ist sehr flüchtig. Die Verwendung von
Hashtags ist für kurzlebige Prozesse geeignet, zum Beispiel für das
Posten von Neuigkeiten, die eine Tendenz zum Trend haben. Das
funktioniert für einige Stunden. Es kann dich zu einem bestimmten
Zeitpunkt mit anderen Leuten verbinden oder auf andere Konflikte im Land
aufmerksam machen, die zum selben Themenbereich gehören. Ich glaube
aber, dass eine echte Community schon vorher da sein muss oder nach und
nach aufgebaut wird. Alle echten Communitys brauchen Zeit, um sich
richtig zu entwickeln.
In diesem Jahr veröffentliche das Kunstmagazin Monopol seine
Liste der 100 wichtigsten Kunstschaffenden und Persönlichkeiten der
Kunstwelt. Die Black-Lives-Matter-Bewegung schaffte es auf den ersten Platz.
Wie bewertest du diese Entscheidung?
Das
BLM-Movement gewann 2014 in Ferguson, Missouri an Zugkraft. Die
Bewegung begann in der realen Welt und wurde, nachdem sie ins Internet
gezogen war, zu einer schöpferischen Kraft für viele Menschen, die viele
Meinungen vertraten und viele Ansätze hatten. Die Bewegung brauchte
Jahre, um Fuß zu fassen und auf Akzeptanz zu stoßen. Die Bewegung war in
vielfältigen Communitys unterwegs. Als George Floyd getötet wurde, ging
diese Saat auf und drängte sich ins öffentliche Bewusstsein. Ich finde es großartig, dass eine lockere Gruppierung mit zahlreichen Facetten als ein einheitlicher Kunstproduzent angesehen werden kann.
Wie ist es für dich, in diesen Zeiten als Fotograf ständig auf der Straße zu arbeiten?
Ich sehe mich nicht als Straßenfotografen, aber ich
finde es interessant, in einem öffentlichen Raum zu sein. Die Proteste
haben auch einen performativen Aspekt. Als ich meine Serie Invisible City
schuf, fotografierte ich eine Gruppe von Performance-Künstler*innen auf
der Straße, in ihrem Zuhause und während ihrer Performances. Ich kann
nicht anders, als den performativen Aspekt, den ich dabei beobachtete,
mit den performativen Aspekten zu verknüpfen, die ich auch jetzt
bemerke. Jegliches kommunikative Verhalten und alle kommunikativen
Aktionen sind zu einem mehr oder weniger starken Grad performativ. Wir
sprechen zu den Anderen füreinander, aber auch für uns selbst.
Übersetzung: Susanne Bosch-Abele
Paula Michalk hat Kunstgeschichte in Freiburg und am Courtauld Institute of Art in London studiert. Sie arbeitete für die Sammlung Rosengart in Luzern sowie für Sotheby’s in Frankfurt und London. Derzeit absolviert sie ein Volontariat als kuratorische Assistentin für das Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg.
Die Ausstellung #PROTESTSGOVIRAL ist noch bis zum 28. Februar 2021 im Haus der Photographie zu sehen.