»Es geht um die
Kernkraft der Kunst«
3. Februar 2021
FOTO: JULIA STEINIGEWEG
3. Februar 2021
HALLE4: Frau Sieverding, die Ausstellung ist im November letzten Jahres fertig geworden, konnte aber wegen Corona noch nicht eröffnet werden.
Katharina Sieverding: Ich bin aber trotzdem sehr zufrieden. Ich war zwei Wochen zum Aufbau hier, und mir hat diese Zeit richtig Spaß gemacht. Die Arbeiten in ihrer ganzen Fülle zu sehen und wie sie sich untereinander nochmal widerspiegeln.
Die Architektur der Sammlung Falckenberg bietet viele Aus- und Durchblicke, die auch eine Herausforderung sind.
Ich sehe darin eine Chance. Durch die vielen Öffnungen überträgt sich mein Prinzip, in Schichten zu arbeiten, auf die Ausstellungssituation. Das kommt meinen Arbeiten viel mehr entgegen als eine musealisierte Atmosphäre. Dadurch erweitern sich ihre Aussagen nochmal.
Ihre dezidiert politische Kunst, die häufig mit Plakatelementen arbeitet, braucht eigentlich die Öffentlichkeit. Ihre Deutschland wird deutscher-Kampagne von 1992 war für den öffentlichen Raum gedacht und wurde letztlich kassiert und schließlich als Kunstprojekt in Berlin gezeigt. Gab es noch andere Projekte?
Ja, Die Pleite, Metroboards und Am falschen Ort. Aber besonders skandalisiert wurde nach der Wiedervereinigung Deutschland wird deutscher. Man hat mir sogar vorgeworfen, es wäre ein Aufruf zur Rechtsradikalität, und deshalb in 18 Städten in der Kulturregion Stuttgart zensiert. Voilà. Durch die Unterstützung von Klaus Biesenbach und der Kunst-Werke sowie zahlreicher Berliner Politiker, Kunst- und Kulturschaffender wurde 1993 schließlich eine 14-tägige Plakataktion auf 500 Flächen ermöglicht.
Sie beschreiben ein geradezu groteskes Missverständnis. Eigentlich sind Ihre Arbeiten ja Aufforderungen, genauer hinzugucken. Bedarf es nicht einer gewissen Deutungskompetenz, um sie überhaupt verstehen zu können?
Diese Erfahrung habe ich nicht so gemacht, ich komme über diese Art von Deutlichkeit eigentlich immer sehr gut ins Gespräch.
Sie arbeiten mit Fotografie und haben Visual Culture Studies an der UDK in Berlin gelehrt. Setzen Sie sich inhaltlich mit dem Medium Fotografie auseinander oder ist es eher Mittel zum Zweck, um über Bilder nachzudenken?
Nein, überhaupt nicht, ich bin eher eine Anti-Fotografin. Fotografie ermöglicht mir einfach, die Kunst zu machen, die ich mache.
Wie sind Sie zur Kunst gekommen?
Ich komme vom Theater und habe mir angesichts der Ermordung Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 beim Besuch des Schahs von Persien die Frage gestellt: Willst Du dein Leben lang High Culture bedienen? Und da habe ich mich entschlossen, Künstlerin zu werden. Und habe mir überlegt, wer überhaupt die Möglichkeit bietet, das, was mich in diesem Fall als Ereignis so empört hatte, künstlerisch zu formulieren. Das war Joseph Beuys mit seinem erweiterten Kunstbegriff und der »sozialen Plastik«. Meine erste künstlerische Arbeit »Eigenbewegung« entstand dann auch während der Schließung der Akademie-Klasse in Düsseldorf, die ich akribisch dokumentiert habe. Das hat kein anderer damals gemacht.
Sie haben dafür eine Schachtkamera benutzt, in die man von oben hineinblickt. In einem Interview haben Sie gesagt, dass die anderen deshalb nicht mitbekommen haben, dass Sie fotografieren. Ist es nur dieser Vorteil, sozusagen nicht zu »stören«, oder findet da nicht auch eine Abstraktion statt von der unmittelbaren Blickbeziehung und dem dokumentarischen Charakter der Fotografie?
Ja, das auch, aber vor allem konnte mir in dieser konkreten Situation, die sehr angespannt war mit viel Polizei, gar nichts Besseres passieren. Als Fotograf reagieren die Menschen immer auf einen, und das ist in einer solchen Situation sehr ungünstig. Die Schachtkamera ist eigentlich eine Vorwegnahme der heutigen digitalen Technik.
Wenn man so tut, als würde man in sein Smartphone tippen, tatsächlich aber jemand anderen fotografiert. Haben Sie ein Smartphone oder einen Instagram-Account?
Nein. Ich reise viel und sehe, dass alle mit ihren Handys zugange sind und keiner aus dem Fenster guckt. Ich habe nicht das Gefühl, dass da groß nachgedacht wird. Ich bin einfach ein Mensch, der alle Begabungen, die jedes Humanwesen hat, einsetzen möchte. Und dazu gehört auch, in Ruhe nachzudenken und die Menschen, auf die man trifft, und das, was um einen herum passiert, auf sich wirken zu lassen. Wie kann denn ein heranwachsender Mensch zu sich finden und zur Welt unabhängig von den so genannten Social Media eine Beziehung entwickeln?
Tatsächlich nimmt mit dem Bilderstrom im Internet die
Deutungskompetenz nicht unbedingt zu. Man merkt, dass vielen Menschen
eine Tiefenschicht des kollektiven Bildgedächtnisses nicht zugänglich
ist. Und Sie beschäftigen sich in Ihrer Kunst genau mit solchen
Tiefenschichten, die Sie auch »Gedankenbilder« nennen.
Es geht um die Kernkraft der Kunst. Man muss sich immer wieder
darüber auseinandersetzen, was Kunst eigentlich ist. Sie ist ein sehr
großes Privileg, vollkommen unabhängig an Dinge heranzugehen. Es gibt
keine Vorschriften, man muss auch nicht dem Argument wissenschaftlicher
Begründbarkeit entsprechen. Man kann über vieles vollkommen unabhängig
nachdenken und eine Aussage machen, wie etwa jetzt über das virale
Feindbild Corona, das den Menschen eine ungeheure Furcht einjagt. Das
können Sie in kaum einem anderen Beruf. In meiner neuen Serie, der Gefechtspause, ist jetzt hier veröffentlicht, was ich mir vor einigen
Monaten dazu überlegt habe, und ich werde weiter daran arbeiten.
Sie wurden immer wieder gefragt, ob Kunst politisch sein muss oder
sein darf. Und da haben sie etwas sehr Schönes gesagt: »Im besten Fall
übertragen sich diese Fragen auf den Betrachter und lassen ihn frei
darüber nachdenken.« Also geht es nicht darum, eindeutige Botschaften zu
vermitteln?
Nein.
Beziehen Sie Stellung in Ihrer Kunst? In zwei Arbeiten von 1976 und
1979 drückt sich eine hochgradig ambivalente Haltung gegenüber China
aus, das Sie Mitte der Siebzigerjahre bereist haben. Man hat den
Eindruck, als betrachteten Sie damals schon die Dinge aus einer gewissen
Distanz heraus, mit einer Skepsis allem Ideologischen gegenüber.
Das ist auch so. Mao Tsetung war schließlich auch ein Massenmörder.
Aber das haben ja viele nicht gesagt.
Ja, aber es war so. Ich mache keine Propagandakunst, ich möchte nicht
als jemand wahrgenommen werden, der für etwas Bestimmtes steht. Das
sind alles Zuordnungen, die mich festlegen. Ich möchte eine unabhängige
Position haben und meine Gedanken durch die Arbeiten äußern.
Es gibt Indikatoren für die politische Wirkmächtigkeit von Bildern,
wie etwa die jüngsten Denkmalstürze zeigen. Wie sehen Sie aus Ihrer
Position heraus den heutigen Umgang mit Bildern?
Ich kann dazu nur einen Satz sagen. Ich wende auch Methoden der
Werbung an, die ja oft als negativ beurteilt wird, und sage dann immer,
man muss wissen, wofür man wirbt.
Auch bei den Genderstudies ist eine gewisse Heftigkeit in der Art,
wie die Positionen vertreten werden, entstanden. Sie werden immer wieder
genannt als eine der ersten, die sich damit beschäftigt hat.
Damit sind wir beim Begriff Feminismus. Da wird alles Mögliche über
meine Arbeiten gesagt. Im Gegensatz zum binären Differenzfeminismus
ging es mir darum, dass jedes humane Wesen – ob männlich oder weiblich –
in der Lage ist, das andere Geschlecht in sich zu inkorporieren und zu
verstehen. Das entspringt einer tiefen Erfahrung und Überzeugung. Das
drückt sich auch in Arbeiten wie Transformer 1973 aus, die in dieser
Ausstellung besonders schön installiert ist. Ich habe wahrscheinlich
eine viel feministischere Grundhaltung als das, was dann oft daraus
geworden ist.
Was in Ihrem Werk immer wieder auffällt, ist ein Zug ins
Kosmologische und Ganzheitliche wie in den Steigbildern, den
Kristallisationsbildern oder Die Sonne um Mitternacht schauen. Diese
Seite tritt in der Außenwahrnehmung gegenüber dem immer wieder betonten
Politischen Ihres Werks etwas zurück. Welche Rolle messen Sie selbst ihm
bei?
In Die Sonne um Mitternacht schauen geht es darum, die Sonne durch
die Erde hindurch zu imaginieren. Dabei kommt man auch auf ein
Nachdenken darüber, was der Mensch der Erde eigentlich alles entnommen
hat, wie es eigentlich um den Respekt vor diesem Kontinentaltalkern steht
– den Titel gibt es ja auch sehr häufig. Ich denke, dass diese Seite
doch ziemlich stark ist.
Wenn Sie sich anschauen, was mit China und Amerika passiert ist in
den letzten Jahren – fühlen Sie sich dann ein wenig als Prophetin?
Ach, Prophetin ist so hoch gegriffen. Sagen wir mal, mich wundert es nicht.
Anders formuliert: Gibt Ihnen der Verlauf der Geschichte Recht?
Leider ja. Das ist ja das Verrückte, dass sich diese Statements aus fünf Jahrzehnten immer wieder aktualisieren.
Auch deshalb, weil sie sich nicht auf die Tagespolitik beschränken,
sondern versuchen, strukturelle Tiefenschichten offenzulegen. Manchmal
spürt man auch eine gewisse melancholische Grundierung in Ihren
Arbeiten. Sind Sie eigentlich eher optimistisch oder pessimistisch?
Ich bin überhaupt nicht pessimistisch, im Gegenteil.
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Veronika Schöne ist Kunsthistorikerin, schreibt Texte, macht Führungen und unternimmt Reisen zur Kunst.
Die Ausstellung KATHARINA SIEVERDING – FOTOGRAFIEN, INSTALLATIONEN, PROJEKTIONEN 2020–1966 ist bis zum 2. Mai 2021 in der Sammlung Falckenberg zu sehen.