»Es war eine Mammutaufgabe«
14. Februar 2020
Foto: Julia Steinigeweg
14. Februar 2020
Der Malerei wurde im vergangenen Jahrhundert öfters unterstellt, als Kunstmedium nicht mehr zur jeweiligen Zeit zu passen. Gerade der Durchbruch der Fotografie trug zu dieser Diskussion bei. Welche Rolle schreiben Sie der Malerei heute zu – gerade im Hinblick auf die jüngere Generation?
Die Malerei ist Teil einer Jahrhunderte alten Tradition und hat als künstlerisches Medium unzählige positive wie negative Zuschreibungen erlebt. Als Malerin habe ich es selbst im Studium so wahrgenommen, dass Kunstvereine, Kunsthallen und Museen selten zeitgenössische Malerei zeigen. Der Fokus bei Ausstellungen zeitgenössischer Kunst lag eher auf den neuen Medien, Performances und Installationen. Welchen Stellenwert die Malerei in Form des klassischen Versuchsaufbaus »Farbe auf rechteckigen Bildträger« heute für die junge Generation einnimmt, wollten wir mit diesem Ausstellungsprojekt für Deutschland untersuchen. Dabei wurde uns als Kuratorenteam deutlich, wie lebendig und divers die Malereiszene bei den 30- bis 40-Jährigen derzeit ist.
Sie und Ihre Kolleg*innen haben 53 Künstler*innen ausgewählt. Begonnen haben Sie mit einer Liste von 200 Künstler*innen. Wie muss man sich den kuratorischen Prozess vorstellen?
Die Liste von 200 Namen ist durch viele wertvolle Hinweise aus unterschiedlichen Bereichen der Kunstwelt entstanden. Nach der Sichtung von 200 Portfolios, Katalogen und Internetseiten, haben wir gemeinsam 100 Namen ausgewählt. Innerhalb von drei Jahren wurden in gemischten Zweier-Teams Atelierbesuche in ganz Deutschland organisiert. Bei unseren Treffen stellten die Teams ihre Einblicke in die künstlerischen Arbeiten vor und gaben ein klares Votum ab. Viele der Künstler*innen waren uns im Vorhinein völlig unbekannt, sodass wir auf die Einschätzung unserer Teams vertraut haben. Zu Diskussionen kam es rund um die Fragen der Konzeption, etwa bei Positionen, die sich mit ihren künstlerischen Arbeiten an den Grenzen unserer Definition der Malerei bewegten, noch am Anfang ihrer künstlerischen Karriere standen, oder das von uns gesteckte Höchstalter überschritten.
»Den Großteil der eingereichten Arbeiten hatten wir noch nicht im Original gesehen.«
Welche Anforderungen gab es an die Künstler*innen?
Die Künstler*innen waren aufgefordert sechs Monate vor Ausstellungsbeginn eine Liste mit 15 Arbeiten für alle drei Ausstellungen vorzuschlagen. Uns war es dabei ein Anliegen den Künstler*innen zu ermöglichen, neue Arbeiten zu produzieren. Dass wir viele der eingereichten Arbeiten zuvor nicht im Original gesehen hatten, haben wir in Kauf genommen. Die konkrete Auswahl und Verteilung der Arbeiten lief sehr demokratisch ab: Jedes Kuratorenteam hatte abwechselnd die erste Wahl für das eigene Haus zu treffen und wählte drei bis fünf Arbeiten aus. Die drei Ausstellungen im Kunstmuseum Bonn, den Kunstsammlungen Chemnitz und im Museum Wiesbaden unterscheiden sich daher extrem voneinander.
Vor welchen Herausforderungen stehen Kuratoren, die aus einer ganzen Generation selektieren wollen?
Eine Auswahl aus einer ganzen Generation in einem so weit verbreiteten künstlerischen Medium zu treffen, ist eine Mammutaufgabe. Ziel war es, einen gültigen Querschnitt durch die junge Malerei zu geben, die in den letzten zwei Jahren in Deutschland entstanden ist. Um das Feld aus verschiedenen Blickwinkeln zu fassen, baten wir Künstler*innen, Kolleg*innen, Kunstwissenschaftler*innen und Professor*innen um ihre Mithilfe. Wichtige Ansprechpartner waren dabei die Kunsthochschulen. Wir haben uns durch den Pool von Kunsthochschulabsolvent*innen und Meisterschüler*innen gearbeitet, der uns vor allem in die großen deutschen Akademiestädte, zum Teil auch bis nach Cottbus oder Mainz geführt hat.
Wie unterscheidet sich die JETZT!-Ausstellung in den Deichtorhallen Hamburg von denen in Bonn, Wiesbaden und Chemnitz? Gibt es je Ausstellungshaus andere Schwerpunkte?
In dem vorhin beschriebenen Verteilungsverfahren zwischen Bonn, Chemnitz und Wiesbaden haben die Kuratorenteams Arbeiten ausgewählt ohne ein Konzept für Präsentation und räumliche Verteilung wirklich im Blick behalten zu können. Wie schon erwähnt, hatten wir den Großteil der eingereichten Arbeiten noch nicht im Original gesehen. Die Hamburger Schau in den Deichtorhallen hat den Vorteil, dass der Kurator die Werke in den drei laufenden Ausstellungen anschauen und direkt auswählen konnte.
Eine überraschend große Anzahl an Werken weist direkte Bezüge zur Ästhetik der Moderne auf. Mehrere Künstler*innen malten kubistisch aufgebrochene Körper und Gesichter, andere konstruktivistische Abstraktionen. Auch pointilistische Techniken oder knallbunte Joan-Miro-Flecken sind zu sehen. Wie erklären sie sich diesen großen, sehr direkten Einfluss der Moderne auf die jungen Maler*innen von heute?
Jede Generation von Künstler*innen hat die Aufgabe sich in der Tradition und der Geschichte der Kunst zu verorten. Die Moderne spielt als Bezugspunkt für die heutigen Maler*innen eine große Rolle, da in dieser Phase das Medium der Malerei neu reflektiert wurde. Interessant ist jedoch nicht, inwiefern die aktuelle Malerei Malereitraditionen fortschreibt, sondern inwiefern sie sie erweitert und in die heutige Zeit transferiert. Was also passiert, wenn Maximilian Kirmse in einem seinen pointilistischen Bildern einen Malgrund aus RGB-Farben punktiert, oder Aneta Kajzer die Kategorien von Abstraktion und Figuration in ihrem Prozess gegeneinander ausspielt. In diesen Momenten sind wir ganz nah an dem Titel der Ausstellung und der Frage nach dem »Jetzt« in der Malerei.
Auf der anderen Seite stehen Maler wie Vivian Greven, Lukas Glinkowski oder Moritz Neuhoff, die mit einer sehr zeitgenössischen Ästhetik arbeiten. Vivian Grevens Menschenbilder lassen sogar an eine futuristische Digitalbildhauerei denken. Welchen Einfluss hat die digitale Virtualität auf die aktuelle Malerei?
Viele der ausgewählten Maler*innen thematisieren den Einfluss der digitalen Medien sowohl auf ihr eigenes Leben als auch auf die Kunst. Bei manchen geht es um die Reflexion einer digitalen Ästhetik, andere wiederum ringen um eine Auflösung der Hierarchie von analogen und digitalen Bildstrategien. Die Themen sind vielfältig und die digitale Welt nicht mehr nur ein Bestandteil der Selbstvermarktung der jungen Künstler*innen.
Es gibt einige Themen, die kaum auftauchten: Politik, Gesellschaftskritik, Provokation oder auch Humor und Ironie. Ist die Zeit der wilden, unangepassten Maler vorbei? Werden politische und soziale Themen eher in anderen Kunstmedien als in der Malerei verhandelt?
Themen wie die der Gesellschaftskritik sowie Humor und Ironie sind durchaus Teil der Ausstellung, etwa bei den Arbeiten von Stefan Vogel, Fabian Ginsberg, Jagoda Bednarsky oder Simon Modersohn. Aber natürlich trifft die Beobachtung zu, dass es in unserer Ausstellung zumindest vordergründig seltener um politische und soziale Themen geht. Das ist ein großer Unterschied zu den internationalen Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst, wie der documenta oder der Biennale in Venedig, wo man zwar auf künstlerische Auseinandersetzungen mit Politik und Gesellschaftskritik, hingegen weniger auf das Medium der Malerei trifft. Ich habe den Eindruck, dass es auf die Ausbildungen an den Kunsthochschulen zurückzuführen ist. Oftmals kreisen die Werke um medienimmanente Fragestellungen, die auf der formal-ästhetischen Ebene thematisiert werden. Nicht selten ist darin die Prägung der Malereiprofessor*innen zu erkennen.
»Jede Generation von Künstler*innen hat die Aufgabe sich in der Tradition und der Geschichte der Kunst zu verorten.«
»Wird man zu früh auf den Markt geworfen, besteht die Gefahr darin, etwas zu bedienen, was von Galerie und Publikum erwartet wird.«
Verfolgt man die Entwicklung von jungen Kunsthochschulabsolvent*innen, erkennt man nach dem Studium wichtige Jahre des Experimentierens, die oft erst zur eigentlichen Findung der eigenen künstlerischen Sprache verhelfen. In welcher Phase befinden sich die Künstler*innen der JETZT!-Ausstellung?
Uns war es wichtig, dass die jungen Maler*innen wirklich noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass sich in der Zeitspanne der ersten 10 Jahre nach dem Studium zeigt, ob der Künstler oder die Künstlerin die künstlerische Laufbahn weiterverfolgt. Zugleich gebe ich Ihnen vollkommen Recht, dass es sehr wichtige Jahre sind, in denen auch der eingeschlagene Weg der künstlerischen Praxis durch Erwartungen der Galerien und des Kunstmarkts noch nicht gefestigt ist. Genau in dieser Phase befinden sich die jungen Maler*innen und erst die Zukunft wird zeigen, ob sich die Relevanz ihrer künstlerischen Arbeit bestätigt.
Eine der wertvollsten Veränderungen in der Nachwuchsgeneration ist die höhere Sichtbarkeit von Künstlerinnen. Aber sehen Sie bezüglich Galeriepräsenz und Verkäufen schon eine wirkliche Gleichstellung?
Um für die Ausstellung zu sprechen: Ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis war im Auswahlprozess kein Streitpunkt, da es sich ohne Forcierung ergeben hat – was ein erfreuliches Ergebnis der Ausstellung ist. Dass diese Entwicklung bereits auf dem Kunstmarkt angekommen ist und es jüngere Künstler*innen am Markt heute leichter haben, halte ich für einen Irrtum. Obwohl der Großteil der Kunststudierenden weiblich ist, herrscht immer noch fast überall männliche Dominanz. Und da ist es kein Trost, dass bereits verstorbene Künstler*innen im fortgeschrittenen Alter mit Ausstellungen »wiederentdeckt« werden.
Die Gefahr für junge Künstler*innen, die schnell aufgestiegen sind, besteht darin, sich danach nur noch zu wiederholen oder auf dem Kunstmarkt verbrannt zu werden. Welche Ratschläge geben Sie dem Nachwuchs mit auf den Weg?
Künstlerische Arbeit bedeutet für mich, stetig an einer Entwicklung zu arbeiten, eingeschlagene Wege weiterzuverfolgen – aber auch Kehrtwenden vollziehen zu dürfen. Wird man zu früh auf den Markt geworfen, besteht die Gefahr darin, etwas zu bedienen, was von Galerie und Publikum erwartet wird. Eine gute Galerie sollte nicht nur an der Vermarktung der Kunst, sondern auch an ihrer individuellen Weiterentwicklung interessiert sein. Dem Nachwuchs kann ich raten: Gute Kontakte und Arbeitsgespräche unter Kolleg*innen schärfen den Blick für die Potentiale der eigenen künstlerischen Arbeit.
Lea Schäfer studierte Bildende Kunst, Geschichte und Kunstgeschichte in Mainz und schloss mit einem Meisterschülerstudium in der Malereiklasse an der Kunsthochschule Mainz ab. Seit 2016 arbeitet sie als Künstlerin und Kunsthistorikerin in Mainz und ist derzeit als wissenschaftliche Volontärin in den Kunstsammlungen am Museum Wiesbaden tätig.
Larissa Kikol ist promovierte Kunstwissenschaftlerin. Sie arbeitet als freie Kunstkritikerin und Dozentin in Marseille und Köln.
Die Ausstellung JETZT! JUNGE MALEREI IN DEUTSCHLAND ist bis zum 17. Mai 2020 in den Deichtorhallen Hamburg zu sehen.