Albert Oehlen, Schuhe, 2008 © Albert Oehlen/VG Bild-Kunst Bonn 2019

Hyper Diaries #5

Für sein kommendes Ausstellungsprojekt HYPER! in den Deichtorhallen erzählt der Kurator und Autor MAX DAX in zehn Teilen vom Dialog zwischen Kunst und Musik.

10. Januar 2019

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2008 war ich Chefredakteur des Musikmagazins Spex, dessen letzte Ausgabe vor wenigen Wochen erschien. Mit dem Umzug des Magazins von Köln nach Berlin versuchte ich der Spex seinerzeit ein neues Profil zu geben, in welchem explizit die Wechselbeziehung zwischen Musik und den anderen Disziplinen, allen voran Film, Literatur und Kunst, in den Fokus rückte. Die Annahme dahinter war, wie so oft, ganz einfach: Musik entsteht nicht im Vakuum, zumal auch niemand aus der Redaktion mehr an den alten Geniebegriff des Musikers bzw. Künstlers glaubte, der seine Ideen allein aus sich selbst schöpft.

Im gleichen Jahr, im Winter 2008, beauftragte mich Evke Rulfes von der Berliner Galerie Max Hetzler, ein Interview mit dem Maler Albert Oehlen für den Katalog zu seiner Ausstellung 1991 2008 zu führen. Die Idee dahinter war ähnlich der neuen Ausrichtung der Spex: Ein (kunstaffiner) Autor aus der (kunstfernen?) Musikwelt sollte mit Albert Oehlen ein Gespräch über die zwei in der Ausstellung ausgestellten Serien von Bildern aus den Jahren 1991 und 2008 führen. Im Interview kommen wir bald auf die Strahlkraft der Hamburger Technoband Scooter zu sprechen, da Albert Oehlen in einer Bilderserie aus dem Jahr 2007 Slogans und Ausrufe des Scooter-Sängers H.P. Baxxter und weiterer Techno-Ikonen verarbeitet (man könnte auch sagen: prozessiert) hatte.

Eines der Bilder, Schuhe, zeigt den Schriftzug Hyper, ausgeschnitten aus einer Postertapete, Motiv: Südseestrand, die Albert Oehlen von dem Maler Henning Strassburger zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Ein anderes Bild, Floor, schreit typographisch die Begriffe »Dancefloor« und »Rotterdam« von der Leinwand, ein drittes Werk aus der Serie, Hey!, ruft, nein schreit ebenfalls: Hey Dimitri! — alle Schlachtrufe sind semiotisch aufgeladen, fast schon Zeichen, sie beziehen sich auf Scooters Superhit Hyper Hyper, auf die in Rotterdam erfundene Techno-Spielart Gabba sowie auf den Euromasters-Hit Alles Naar de Klote, der mit dem Gruß »Hü Dimitri!« beginnt und 1992 in der Spex von der Redaktion zur Single des Jahres gewählt worden war.

Oehlen sagt: »Mich beeindruckte, wie Scooter die Idee der Party-Miliz, die bei DAF noch ein futuristischer Vorschlag war, in die Tat umgesetzt haben. Da war keine Ironie und nichts um die Ecke gedacht. Das habe ich als neu empfunden und hat mich an Jeff Koons und Damien Hirst erinnert.«

Was fasziniert Albert Oehlen an Scooter? »Dass es bei denen nur um eine Stimmung geht, und kein Inhalt mehr zu finden ist. Scooter sind nur noch Form.« Das Interview entwickelte trotz der kleinen Auflage des Katalogs langsam, aber beständig eine irrsinnige Prä-Social-Media Viralität. Cornelius Tittel, heute Chefredakteur der Kunstzeitschrift Blau, damals Leiter des Ressorts Kultur der Welt am Sonntag, beauftragte mich 2010, ein Treffen mit Albert Oehlen und H.P. Baxxter zu arrangieren, das Gespräch zu moderieren und aufzunehmen. Das Treffen der beiden Giganten ihrer jeweiligen Disziplinen fand auf Albert Oehlens Anregung in einem Kaminzimmer des eleganten Hamburger Atlantic Kempinski Hotels statt.

Albert Oehlen: »Mich interessiert es, ob es ganz spezifische Überwältigungseffekte gibt, die ihr bewusst einsetzt? Kann man gezielt Reaktionen provozieren? Damien Hirst hat diesen präparierten, lebensgroßen Haifisch in der Vitrine. Der Betrachter ist im Angesicht des Haifischs von der Arbeit überwältigt. Du kannst diesen Effekt beim Betrachter voraussagen.«

H.P. Baxxter (links) und Albert Oehlen (rechts) vor dem Eingangsportal des Atlantic Hotel Kempinski in Hamburg. Foto: Max Dax, Hamburg, 2010.

H.P. Baxxter: »Du bist von der Naturgewalt beeindruckt, die dich anstarrt, ich verstehe. In der Musik wäre die Entsprechung zum Hai oder zum Gold oder zum Diamantenschädel (For the Love of God, 2007), vermute ich mal, die Stille. Und im Kontrast dazu die Lautstärke. Es spielt keine Rolle, ob der dynamische Kontrast von einem Idioten oder einem Supermusiker gesetzt wird. Nur Stille funktioniert nicht, und nur Lautstärke stumpft auch ab. Es sind regelmäßig die vier Takte absolute Stille inmitten eines Techno-Beats, welche die Massen zum Ausrasten bringen. Oder du kannst Sex ins Spiel bringen, indem du auf der Leinwand hinter der Bühne oder im Video zum Song explizit Dinge zeigst. Der Mensch hat Augen. Er sieht Sex und er hört laute Musik. Das eine beschleunigt das andere.«

Albert Oehlen: »Mich interessieren die Effekte, die keine Kreativität involvieren.«

Das Interview, erschienen im Januar 2011 in der Welt am Sonntag, verändert die Sichtweise vieler, die Scooter bis dato als dumpfe Jahrmarkt-Techno-Kapelle abgetan hatten. Kaum einer würde heute mehr so über Scooter sprechen, und H.P. Baxxter gilt heute als Ikone der aufrichtigen Coolness. Und von Albert Oehlen lernen wir in dem Gespräch, wie er Musik strukturell begreift, an Musik als wirkungsmächtigem Phänomen und als Emotionsverstärker interessiert ist. (Was, nebenbei bemerkt, Kölner Karnevalslieder ebenso einschließt wie Gabba).

Wieder zwei Jahre später, 2013 bin ich Chefredakteur des Telekom-Magazins Electronic Beats, reenacten wir das Aufeinandertreffen von Oehlen und Baxxter, diesmal als Telefon-Konferenzschaltung zwischen St. Gallen (Oehlen), Moskau (Baxxter) und mir als Moderator (Berlin). Das Gespräch erscheint in der Winterausgabe des Electronic Beats-Magazins.

Albert Oehlen: »Ich befinde mich in einem permanenten Konflikt. Ich möchte Kunst machen, die von jedem Betrachter ohne Vorwissen verstanden werden kann. (…) Es ist aber eine Illusion zu glauben, dass man ein Kunstwerk lesen kann, ohne an die Bilder zu denken, die man zuvor in seinem Leben gesehen hat. Es geht hier nicht um die richtige oder fasche Art, ein Bild zu lesen. Das beste Beispiel ist die Collage: Jedes Bestandteil einer Collage bezieht sich auf etwas Dahinterliegendes. Wenn man den Kontext nicht kennt, übersieht man vielleicht etwas.«

Albert Oehlen, Floor, 2007. Foto: Simon Vogel © Albert Oehlen/VG Bild-Kunst Bonn 2019

H.P. Baxxter: »Und dann wiederum: Wenn du das Lied Jump that Rock hörst und nichts über Status Quo weißt, entgeht dir nicht unbedingt etwas. Es ist und bleibt die Wucht der Musik, die dich auf die Tanzfläche treibt. Ich wusste zum Beispiel lange nicht, dass Tainted Love von Soft Cell gar nicht von Marc Almond komponiert wurde, sondern von Ed Cobb, und dass der Song bereits in den Sechzigerjahren von Gloria Jones interpretiert wurde. Das habe ich erst Jahrzehnte später erfahren, und es war nicht schlimm. Daher würde ich auch sagen, dass man den Kontext nicht kennen muss, um die Oberfläche genießen zu können. Du musst nur wirklich darauf Acht geben, dass die Oberfläche glänzt und unmittelbar ist.«

Die Ausstellung Hyper! hat ihren Namen aus dem Gemälde Schuhe von Albert Oehlen entnommen, das sich wiederum auf den Scooter-Hit bezieht. Alles ist in HYPER! um die Ecke gedacht, reflektiert aber im Kern den Widerschein einer Oberfläche, die glänzt und unmittelbar ist. Medienwechsel und Appropriation, gegenseitige Inspiration, Wertschätzung und Neugier, Interesse an den Strategien und Methoden der Anderen, das ist das Grundthema der Ausstellung HYPER!, in der neben zwei selten gezeigten Schlüsselwerken von Albert Oehlen aus dem Jahr 2007, Floor und Hey!, auch eine begehbare Skulptur in der Form einer Kapelle zu sehen ist, die Albert Oehlen eigens für die Ausstellung und als Meta-Kommentar zur Rothko Chapel in Houston, Texas, konzipierte und anfertigte. Inspiriert von einem Besuch der Rothko Chapelhat Oehlen einen betretbaren Kubus aus sechs Bildern gebaut, der zum Meditieren und zum Anbeten eben dieser sechs Bilder einlädt.

Es bleibt spannend.

Der Autor und Journalist Max Dax vertritt genau wie der Soziologe Klaus Theweleit die Position, dass jedes Gespräch das Potential hat, weit mehr zu sein als die Summe seiner Bestandteile. In seiner bisherigen Laufbahn war Max Dax Herausgeber bzw. Chefredakteur von Magazinen wie Alert Interviews, Spex oder dem Electronic Beats Magazine by Telekom. Als Autor schrieb er Bücher über Nick Cave, Einstürzende Neubauten, CAN und Scooter. In Berlin kuratiert er das Programm der Santa Lucia Galerie der Gespräche. Für die Deichtorhallen entwickelte er das Ausstellungskonzept für die Ausstellung HYPER! A JOURNEY INTO ART AND MUSIC, die er zugleich auch kuratiert. Die Ausstellung eröffnet am 28. Februar 2019 in der Halle für aktuelle Kunst.


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