Foto: Luci Lux

Hyper Diaries #6

Für sein Ausstellungsprojekt HYPER! in den Deichtorhallen erzählt der Kurator und Autor MAX DAX in zehn Teilen vom Dialog zwischen Kunst und Musik.

18. März 2019

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Mit dem Hamburger Elektronikmusiker Asmus Tietchens verbindet mich eine Freundschaft, die bis ins Jahr 1990 zurück reicht. Damals war ich Assistent von Alfred Hilsberg, der wiederum in Hamburg die Schallplattenlabel ZickZack, What’s So Funny About.., Scratch’n’Sniff und Cashbeat leitete. Zwar veröffentlichte Asmus Tietchens nicht bei Alfred, dafür war sein Hausgrafiker Andreas Hoffmann aka CV Liquidsky (das CV stand für Cinema Verité, nicht für Curriculum Vitae) eng mit Tietchens befreundet, veröffentlichte mit diesem auch gemeinsam Alben mit experimenteller elektronischer Musik.

Mit der konzeptuellen Musik von Asmus Tietchens begann in meinem Leben ein neues Kapitel. Ich spürte förmlich, wie sich meine Wahrnehmung weitete. Meine ersten beiden CDs von Asmus Tietchens waren Sinkende Schwimmer und Daseinsverfehlung, die auf ihnen enthaltenen Tracks trugen Titel wie Neue Menschen, Kurzer Ballonflug, Topos 4 oder Freiband IIIa. Das Besondere an der Musik von Asmus Tietchens war für mich, dass sie nirgendwo anzuknüpfen schien – es gab keine Melodien, keine Rhythmen, eher schon erinnerten mich die Aufnahmen an Hörspiele. Mal meinte ich zu schnell zurück gespultes Tonband zu hören, mal eine mit Kontaktmikrofon abgenommene Bassfeder, mal ein Aufnahmegerät im Leerlauf. Und dazwischen: immer wieder Stille. Dass diese Musik nicht willkürlich, nie zufällig war, das hörte ich sofort. Auch ahnte ich, dass vielleicht Komponisten wie Karlheinz Stockhausen Pate gestanden haben mögen. Dessen Gesang der Jünglinge im Feuerofen nämlich hatte ich zuerst im Nachtclub auf NDR gehört, um mir anschließend die Schallplatte zu kaufen.

Bald lud ich Asmus Tietchens zu mir zum Abendessen in die Sternstraße gegenüber dem Schlachthof Hamburg ein, damals noch eine heruntergekommene Gasse schräg gegenüber dem Millerntorstadion. Ich kochte und servierte kalabresischen Wein, und zusammen rauchten wir ungezählte Zigaretten. In den Neunzigerjahren hatte Asmus Tietchens einen Lehrauftrag an der Fachhochschule für Gestaltung in der Hamburger Armgartstraße. Ganz offiziell erforschte Tietchens mit seinen Studenten dort Klangwelten. Jahre später führe ich ein Interview mit ihm.

Asmus Tietchens: »Es ging bei meinem Lehrauftrag nicht um Musik, sondern um Sounddesign. Das kann auch mit Musik zu tun haben oder kann in Besonderheit auch Musik sein, ist es aber nicht in erster Linie. Unter Sounddesign begriff man, als das Wort Ende der Achtzigerjahre aufkam, in erster Linie ganz profane, industrielle Fragen: Wie muss eine Autotür klingen, wenn sie zufällt? Wie muss die Bügelbuddel ploppen, wenn man das Bier aufmacht? Wie muss der Keks knacken, wenn ich ihn abbeiße? Das war die Aufgabe eines Achtzigerjahre-Sounddesigners. In der Armgardstraße wurde indes kein Produktdesign gelehrt, sondern nur Print und Medien. Wir hatten eine Film- und Videoabteilung, in der der Sound natürlich sehr wichtig war.«

An dieses Interview erinnerte ich mich, als ich für die Deichtorhallen die HYPER!-Ausstellung zu kuratieren begann, in der es im Kern auch um die Frage geht, welche Kunst es nicht ohne den Einfluss von Musik – und umgekehrt – gäbe. Ich rief ihn an, verabredete mich mit ihm auf Kaffee und Zigaretten in seiner Altbauwohnung und stellte ihm genau diese Frage – ob es Musik in seiner weit über 100 Alben umfassenden Diskographie gäbe, die ohne den Einfluss bildender Kunst nicht existieren würde.

Asmus erzählte mir sodann die Geschichte seiner Vertonung derVertonung der Tarpenbek. Die Vertonung der Tarpenbek nämlich war eine Serie von Zinkätzungen des Hamburger Künstlers Rolf Zander. Zander hatte im Jahr 1975 zwölf Radierungen von den Ufern des doch recht profanen Flüsschens Tarpenbek, eines Seitenarms der Alster, angefertigt und den Zyklus nach einer in der Seefahrersprache einst gebräuchlichen Routine benannt – dem Vertonen nämlich, und damit meinte man in der Nautik die Kartographierung nach Augenmaß bisher unbekannter Küstenstriche. Asmus Tietchens wiederum nahm sich den Radierungen Rolf Zanders im Jahr 2012 an und übersetzte die Bilder in Musik.

Im Katalog zur Ausstellung ist ein Interview mit Asmus Tietchens enthalten, in welchem der Komponist detailliert erklärt, wie er die Zinkätzungen in Sinustöne übertragen hat: »Die Musik ist hochelektronisch. Ich habe die Radierungen als Partituren begriffen und mich an die Proportionen gehalten. Ich habe anhand der Blätter Setzungen vorgenommen – die Maße und Relationen in den Radierungen habe ich in Sekunden und Minuten übersetzt. Das gilt für alle Blätter, sodass entsprechend der Breite dieser Blätter jedes der Stücke jeweils zwischen zwei und viereinhalb Minuten lang geriet. Den Abstraktionsgrad, der in den Radierungen enthalten ist, habe ich in der Musik beibehalten.«

Und weiter: »Ein Merkmal der Radierungen von Rolf Zander sind die tiefen Horizonte, die stets viel weiten Himmel frei lassen – den Himmel habe ich also als Musik dazu imaginiert, dabei die Textur der Druckplatten berücksichtigt. Einige Zinkplatten sind mehr, andere weniger bearbeitet. Ist die Zinkplatte unbearbeitet, also naturbelassen, so ist deren Oberfläche sozusagen das, was er als Textur vorfand. All diese Elemente habe ich gewissermaßen gelesen und als Grammatik begriffen und anschließend in hochelektronische Musik übersetzt.«

Früh stand für mich fest, dass es ein musikalisches Rahmenprogramm zur HYPER!-Ausstellung geben würde. Als ersten Musiker fragte ich konkret Asmus Tietchens, ob er sich vorstellen könne seine Tarpenbek-Musik in der Halle für aktuelle Kunst in den Deichtorhallen aufzuführen. Als er schließlich zusagte, war ich überglücklich. Nicht nur gibt Asmus Tietchens sehr selten Konzerte. Vor allem sind seine Konzerte immer wieder imstande, unsere Hörgewohnheiten infrage zu stellen und unsere Konzeption von Musik zu erweitern.

Es bleibt spannend.

Der Autor und Journalist Max Dax vertritt genau wie der Soziologe Klaus Theweleit die Position, dass jedes Gespräch das Potential hat, weit mehr zu sein als die Summe seiner Bestandteile. In seiner bisherigen Laufbahn war Max Dax Herausgeber bzw. Chefredakteur von Magazinen wie Alert Interviews, Spex oder dem Electronic Beats Magazine by Telekom. Als Autor schrieb er Bücher über Nick Cave, Einstürzende Neubauten, CAN und Scooter. In Berlin kuratiert er das Programm der Santa Lucia Galerie der Gespräche. Für die Deichtorhallen entwickelte er das Ausstellungskonzept für die Ausstellung HYPER! A JOURNEY INTO ART AND MUSIC, die er zugleich auch kuratiert.


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