»Ich arbeite gerne mit schrottiger Technologie«
22. Dezember 2022
FOTO: PHILIPP MEUSER
22. Dezember 2022
Jazmin, dein Projekt für THEHOST.IS/HYPHEN-LABS heißt Don't touch my hardware und spielt damit auf die »Don't touch my hair«-Bewegung an, die von Women of Color begründet wurde.
Die »Don't touch my hair«-Bewegung war für das Projekt insofern relevant, da Haare in meinem Projekt sowohl als visuelles als auch als computergestütztes Medium eine wichtige Rolle spielen. Die kontextuelle Ebene der Arbeit, die ich für THEHOST.IS produziert habe, ist das Design von Hardware, welches durchaus dazu gedacht ist, benutzt und berührt zu werden. Letztendlich ist der Titel daher auch ironisch gemeint.
»Borders«, also Grenzen, sind das Thema dieser Saison, die von den Hyphen-Labs kuratiert wird. Inwieweit berührt dein Projekt das Thema?
Die Grenze, von der ich zunächst ausgegangen bin, ist die Grenze zwischen Körper, Hardware und Software. Deshalb habe ich mir Tastaturen und Controller angesehen und über mögliche zukünftige Hardware spekuliert, um die Grenzen zu verschieben und auch die Nutzbarkeit im Auge zu behalten. Je weiter sich das Projekt dann entwickelte, desto mehr Grenzen erkannte ich, die durch das Projekt berührt wurden. Eine war die Grenze des Wissens, die andere die Grenze des Designs.
Kannst du die Grenze des Wissens etwas genauer umreißen?
Da ist zum einen das Wissen, das intellektuell entsteht. Als Dozentin ist mir diese Art von Wissen gut bekannt. Im Aktivismus und in Subkulturen herrscht wiederum eine ganz andere Art des Wissens vor. Es gibt Wissen, das mehr respektiert wird als anderes, und ich begann mich zu fragen, warum das so ist. Es ist interessant, über die Identitäten nachzudenken, die damit einhergehen.
Während deiner Zeit als Residentin hast du in London einen Workshop über die Ähnlichkeiten zwischen dem Flechten von Haaren und dem Programmieren durchgeführt. Worin bestehen diese?
Die Idee dazu kam mir, als ich über die Technologiebranche nachdachte. Obwohl es dort inzwischen eine gewisse Vielfalt gibt, ist die Branche insgesamt immer noch von weißen Männern geprägt. Beim Flechten von Haaren ist das Gegenteil der Fall, es gibt dort viele Frauen mit anderer Hautfarbe. In dem Workshop ging es um die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Verfahren - die Geometrie, das algorithmische Denken, die Schleifenbildung, die Arbeit mit Linien. Ich habe sowohl Technolog*innen als auch Friseur*innen in denselben Raum eingeladen.
Es klingt, als ob diese Art von Workshop sich an zwei sehr spezifische Gruppen von Menschen richtete. Wer hat am Ende teilgenommen?
Der Workshop sollte für alle offen sein, die sich für das Thema interessieren. Es waren sehr viele Frauen mit anderer Hautfarbe anwesend, so dass ich das Gefühl hatte, dass es sich um einen »safe space« handelte. Ich bin mir sicher, dass auch einige queere Menschen anwesend waren. Aber es waren auch einige Cis-Männer dabei, mit denen ich ganz offen über ihre Identität sprechen konnte so wie zum Beispiel darüber, dass es das erste Mal für sie war, Haare zu flechten oder sich ihnen überhaupt auf diese Art zu nähern.
Apropos »safe space«: In gewisser Weise wird durch die Herstellung von »safe spaces« ja auch immer eine Art Grenze zwischen der Einbeziehung und dem Ausschluss bestimmter Personengruppen gezogen. Hattest du das Gefühl, dass das bei dem Workshop der Fall war?
Das ist etwas, worüber ich viel nachdenke und spreche. Ich habe schon früher Workshops geleitet, in denen wir auf recht intime Weise über Rassismus oder queere Politik diskutiert haben. Dabei kam immer wieder die Frage auf, ob wir in unserer Ansprache an mögliche Teilnehmer*innen eine strikte Grenze ziehen sollten oder nicht. Am Ende haben wir uns dagegen entschieden. Wir verfolgten einen anderen Ansatz. Die Verwendung einer bestimmten Sprache und eines bestimmten Bildmaterials bei einer Veranstaltung kann dazu führen, dass bestimmte Identitäten zum Vorschein kommen, indem sie diskutiert und kreativ erforscht werden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine feindlich eingestellte Person an einer solchen Veranstaltung teilnehmen würde. Und wenn doch, dann wäre es fast schon Terrorismus. In diesem Sinne kann Sprache auch als Grenze dienen.
Es macht den Eindruck, als sollten deine Workshops auch als Empowerment für marginalisierte Gruppen dienen.
In meiner kreativen Praxis geht es um die Erforschung des Internets und technologische Ungleichheiten. Eine wirklich gute Möglichkeit, sich damit auseinanderzusetzen, ist die Produktion künstlerischer Arbeiten. Aber ich möchte die Menschen auch dazu erziehen, sich selbst in der kreativen Computerszene zu engagieren und aktiv zu werden. Der allererste Workshop, den ich veranstaltete, hatte genau dieses Ziel: Wir wollten eine Gruppe von Leuten zusammenbringen, die sich normalerweise nicht trauen würden, zu programmieren und sie dazu ermutigen.
In deinem Projekt für THEHOST.IS arbeitest du mit verschiedenen Symbolen der karibischen Kultur, wie Ohrringen und künstlichen Nägeln. Es geht also auch viel um das Thema Identität.
Die Arbeit ist sehr persönlich. Ich beziehe mich stark auf die karibische Kultur und die Dancehall-Kultur. Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass dies meine eigene Perspektive als jemand ist, die verschiedene Kulturen in sich vereint und in Großbritannien aufgewachsen ist. Ich habe Bildende Kunst studiert und mache gerade einen Kurs in Grafik- und Kommunikationsdesign. Unter Designer*innen gibt es diesen Scherz, dass Kunst super egoistisch ist, weil man die meiste Zeit das eigene Ich erforscht. Design hingegen soll allen dienen. Ich habe tonnenweise Erfahrung in beiden Bereichen, und jetzt schwebe ich irgendwo zwischen beiden Branchen. Seit ich angefangen habe, Kunst zu machen, spielt Identität eine Rolle in meiner Arbeit.
Dein Projekt ist also irgendwo zwischen bildender Kunst und Produktdesign angesiedelt, aber mit einem starken wissenschaftlichen und erzählerischen Aspekt. Es ist sehr schwierig, es in eine Schublade zu stecken.
Genau, das Projekt überschreitet Grenzen und beseitigt diese bewusst. In gewisser Weise definiere ich mich als Designerin. Aber ich bin auch Technologin und spiele mit vielen verschiedenen Formen von Techniken – das kann Coding, Game Design oder VR sein. Design, Technologie, bildende Kunst sowie Medienbildung laufen also parallel.
Die Hardware, die du für die Ausstellung verwendet hast, erinnert an älteres Computerdesign und sieht ein wenig veraltet aus. Warum hast du ausgerechnet diese Art von Technologie verwendet?
Ich neige dazu, entweder mit älterer – oder wenn nicht älter, dann mit freier open code-Technologie zu arbeiten, die tendenziell etwas schrottiger und unbeholfener ist. Zunächst einmal unterstütze ich diese Branche gerne. Ich glaube nicht, dass die Giganten der Software-Industrie unbedingt noch mehr Künstler*innen brauchen, die mit ihren Plattformen arbeiten. In kreativer Hinsicht bin ich sehr daran interessiert, wie wir etwa restriktive Software und Hardware nutzen können, um interessante Dinge zu schaffen. Ich sehe das fast als eine kreative Herausforderung. Meine Kollegin Rebecca Ross, die Programmdirektorin des Kurses, an dem ich arbeite, hat das sehr schön ausgedrückt: »Eine Plattform hat ihr Potenzial erst dann voll ausgeschöpft, wenn Poesie über sie geschrieben wurde.«
Ist das Projekt nun mit dem Ende der Ausstellung abgeschlossen oder wirst du weiter daran arbeiten?
Ich hatte eine tolle Zeit während meiner Residenz bei THEHOST.IS und habe es sehr genossen, auf diese Weise in den künstlerischen Prozess einzutauchen. Ich plane, mich mit Technolog*innen zusammenzutun, um aus den Prototypen, die ich für die Ausstellung geschaffen habe, echte Hardware zu machen, die tatsächlich benutzt werden kann. Das Projekt hat aber auch völlig neue Ideen in mir geschaffen und neue Grenzen aufgemacht, die ich weiter erforschen möchte, beispielsweise die Grenze zwischen karibischer Kultur und der Drag Community. Auf jeden Fall hat die Residenz die Flamme neu entfacht, neben meiner Tätigkeit als Wissenschaftlerin auch künstlerisch wieder aktiver zu sein.
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Jazmin Morris (*1997, England) ist eine kreative Computerkünstlerin und Dozentin, die derzeit in London lebt. In ihrer persönlichen Praxis und Forschung beschäftigt sie sich mit Repräsentation und Inklusivität in der Technologie. Sie nutzt freie und Open-Source-Tools, um digitale Erfahrungen zu schaffen, die Themen wie Geschlechtsidentität, Race und Macht beleuchten und sich auf die Komplexität der Simulation von Kultur und Identität konzentrieren.
Caroline Huzel studierte Kulturwissenschaften und Kommunikationswissenschaft in Lüneburg und Münster. Derzeit arbeitet sie als Volontärin in der Kommunikation bei den Deichtorhallen Hamburg.