FOTO: PHILIPP MEUSER

»Ich wollte nie nur Bilder an die Wand hängen«

Zwei Jahrzehnte lang hat Ingo Taubhorn als Kurator der Fotografie in den Deichtorhallen Hamburg die Bühne bereitet. Nach fast 80 Ausstellungen verabschiedet er sich. Ein Gespräch über Intuition, Lieblingsausstellungen und Zukunftspläne. INTERVIEW VON DAMIAN ZIMMERMANN

29. November 2023

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Ingo Taubhorn, Sie wollten ursprünglich Schauspielregisseur werden, jetzt waren Sie 17 Jahre lang Kurator am Haus der Photographie in den Deichtorhallen Hamburg. Ist Ausstellungsmacher auch ein bisschen so wie Regisseur oder Schauspieler sein?
Rückblickend kann man das sicher so sehen. Schon in meiner freiberuflichen Zeit vor den Deichtorhallen habe ich mich nicht als Kurator, sondern als Ausstellungsmacher bezeichnet. Das begann, als ich an der Fachhochschule Dortmund zusammen mit Wolfgang Zurborn und Susanne Brügger studiert habe. Wir haben damals schon Konzepte entwickelt und Ausstellungen realisiert. Bei dieser Beschäftigung mit der eigenen Arbeit habe ich festgestellt, dass es für mich sehr wichtig war, nicht nur Fotografien zu machen, sondern auch über Fotografien nachzudenken.

Der Blick über den Tellerrand war Ihnen wichtig.

Ich habe mich nicht nur auf meine eigene Arbeit konzentriert, sondern immer auch schon geschaut, was andere machen. Nicht, weil ich etwas kopieren wollte, sondern weil wir in den 80er-Jahren dazu angehalten wurden, über Einflüsse und alle möglichen Dinge zu sprechen. Ich wollte nie nur Bilder an die Wand hängen, sondern den Betrachter*innen die Möglichkeit geben, innerhalb des Ausstellungsraumes ein Erlebnisgefühl zu haben und über das visuelle Material zu der Idee der Künstler*innen zu kommen, ohne sie vorher mit Texten zuzuschütten.

Foto: Philipp Meuser



















»Ich habe mir immer den Luxus gegönnt, dass ich mit der jeweiligen Ausstellung gewachsen bin«

Wird genau das nicht immer schwieriger, vielleicht auch besonders in Deutschland? Ich habe das Gefühl, dass Ausstellungen vor allem vom Eingangstext leben und die Fotografien dann oft nur noch die Illustrationen zu diesen Konzepten sind.
Sie sprechen da etwas Interessantes an. Mit jungen Fotograf*innen habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass sie sich ein wenig zurücklehnen und sagen: »Wenn der Betrachter das nicht versteht, ist das nicht mein Problem.« Das ist eine Arroganz, die es damals nicht gegeben hat. Vielleicht haben wir uns damals auch ein bisschen zu viel damit gestresst, dass wir immer einen Weg finden wollten, wie sich die Arbeit möglichst von allein formuliert. Oft konnte ich Arbeiten nicht zeigen, weil ich das Gefühl hatte, dass sie noch nicht zu Ende gedacht waren. Heute hauen Leute ihre Arbeit mit einer Selbstverständlichkeit und einer Offenheit raus, die ich auch sehr interessant finde. Auf der anderen Seite leben wir in einer Welt, in der die Dinge, die wir sagen und machen immer mehr auf den Prüfstand gestellt werden. Beim Ausstellungmachen findet ein Paradigmenwechsel statt. Es gibt eine Gruppe von sehr jungen Kurator*innen, die einen sehr anderen Blick auf die Fotografie hat, indem sie ganz viele verschiedene Bereiche bis hin zu den Wissenschaften in ihre Auswahl mit einbeziehen. Das ist nicht mein Stil und vielleicht bin ich dafür auch zu alt, aber es fasziniert mich und das ist auch die Zukunft. Aber Ausstellungen, die nur dafür da sind, Thesen zu bestätigen, die ich mir vorher ausgedacht habe, sind die langweiligsten Ausstellungen überhaupt.

Eine gute Ausstellung ist eine Ausstellung, in der ich etwas erfahre, was ich nicht schon durch den Eingangstext erfahren habe.
Oft wird man dann noch auf den Ausstellungskatalog verwiesen, der unheimlich wichtig ist. Eine coole Ausstellung, in der die Bilder für sich sprechen, finde ich genauso toll wie eine Ausstellung, in der die Inszenierung dazu beiträgt, dass die Besucher*innen zu einer neuen Erkenntnis kommen, ohne sich vorher stundenlang durch Wandtexte durchzuarbeiten, damit sie am Ende nur noch in jedem Blick, der dort beschrieben wird, die Bilder rezipieren. Das gilt aber auch für mich als Kurator: Ich habe mir immer den Luxus gegönnt, dass ich mit der jeweiligen Ausstellung gewachsen bin und am Ende der Ausstellung war ich viel klüger als zu Beginn der Planung. Wenn Ausstellungsmacher*innen schon am Anfang zu klug sind und schon alles wissen, verpassen sie die Chance, tiefer in die Materie einzusteigen und selbst etwas Neues zu erfahren. Diesen kleinen Punkt – nennen wir es Neugierde oder Intuition – muss man sich erhalten, damit man auch Arbeiten, die man am Anfang vielleicht nicht versteht und bei denen man sagt »Das muss weg«, aushält und diese zeigt. Selbst dann, wenn man damit scheitert.

In der Ausstellung PAOLO PELLEGRIN – UN'ANTOLOGIA, 2019. Foto: Henning Rogge

Gerhard Richter wird der Satz zugeschrieben »Meine Bilder sind schlauer als ich.« Und vielleicht trifft das ja auch auf Kurator*innen und Ausstellungen zu.
Auf jeden Fall! Das unterschreibe ich sofort. Aber die meisten Kurator*innen wollen schlauer als ihre Ausstellungen sein.

Warum ist es wichtig einen speziellen Ort für Fotografie zu haben?
Die Frage wurde damals auch in Hamburg gestellt.

Die Frage wird immer und überall gestellt, wenn es darum geht, ein Haus oder ein Museum für Fotografie zu gründen.
Die Argumentation gegen eine eigene Institution lautet eigentlich immer: Die Fotografie ist doch längst in den Kunstmuseen angekommen und dort akzeptiert. Und das ist auch absolut richtig. Aber es geht eben nicht nur um Fotografie als Kunstform, sondern eben um die Vielschichtigkeit des Mediums in den unterschiedlichsten Bereichen. Und das alles abzubilden war immer die Aufgabe des Hauses der Photographie. The Medium is the Message! Deshalb haben wir auch viele Jahre die Reihe VISUALLEADER mit dem Besten, was in den letzten 12 Monaten in deutschen Print- und Online-Medien erschienen ist, befürwortet. Das war die größte Schau ihrer Art in ganz Europa.

Ein Kunstmuseum hätte so etwas nicht gemacht.
Nein, weil da die Grenze zum angewandten Design überschritten wird. Auch bei der Aufnahme des Deutschen Fotorats in den Kulturrat in diesem Jahr wurden solche Diskussionen geführt. Aber wir beim Fotorat haben gesagt: »Nein, Fotografie geht weder in die eine noch in die andere Sektion, denn die Fotografie ist eigenständig und vielfältig.«

Aber wie wird darüber entschieden, ob eine Fotoausstellung in den Deichtorhallen im Haus der Photographie oder in der Halle für aktuelle Kunst gezeigt wird?
Das ist letztlich eine Entscheidung der Direktion und da kann es durchaus zu strittigen Situationen kommen. Nach ihrer Ansicht gehört die aktuelle Ausstellung von Cindy Sherman nicht in das Haus der Photographie, sondern in die Sammlung Falckenberg. Das hat natürlich einen Grund: Ich wurde gefragt, ob ich die Ausstellung übernehmen würde, aber aktuell haben wir gar nicht die Kapazitäten in unserem Übergangshaus PHOXXI für eine so umfangreiche Ausstellung.














»Die meisten Kurator*innen wollen schlauer als ihre Ausstellungen sein«
Mit Lillian Bassman anlässlich der Ausstellung LILLIAN BASSMAN & PAUL HIMMEL – DIE ERSTE RETROSPEKTIVE, 2009. Foto: Thies Rätzke
Mit Sade Adu und Albert Watson in der Ausstellung ALBERT WATSON – VISIONS FEAT. COTTON MADE IN AFRICA, 2013. Foto: Thies Rätzke

















»Für das Haus der Photographie war es immer wichtig über den Tellerrand hinauszuschauen«

Aber wenn das Haus der Photographie zu dem Zeitpunkt nicht wegen Sanierung geschlossen gewesen wäre: Hätten Sie Cindy Sherman dann dort gezeigt?
Ja, das hätte ich gemacht. Aber es gibt auch umgekehrte Fälle wie beispielsweise die Saul-Leiter-Retrospektive im Jahr 2012. Seine Malerei wird üblicherweise getrennt von seinem fotografischen Werk gezeigt, aber ich wollte das unbedingt gemeinsam präsentieren. Auch zusammen mit seiner Modefotografie übrigens, die ja genauso ein Teil seines Lebensunterhalts war. Bei Guy Bourdin war es 2013 ähnlich: Er wollte ursprünglich Maler werden und ist daran gescheitert. Aber genau diese Versuche wollte ich in die Ausstellung integrieren. Und zwei Jahre später bei Sarah Moon wollte ich eben auch einen großen Bereich ihren Foto-Filmen widmen.

Diese Fotografen werden vor allem in der Fotografiewelt wahrgenommen und vielleicht ist es deshalb kein Problem.
Mag sein. Aber in seiner Retrospektive hat Michael Wolf seine dokumentarische Fotografie um Installationen und Objekte erweitert, zum Beispiel seine Stühle, die er gesammelt hat, und seine Wandinstallation The Real Toy Story mit 40.000 Billigspielzeugen aus China. Und es gibt Kunsthistoriker*innen, die haben ganz klare Vorstellungen und die schauen sich Fotografien nicht frisch und ohne Kontextualisierung an, sondern ordnen sie sofort in Schubladen ein. Meine Haltung unterscheidet sich dahingehend, dass ich versuche, unvoreingenommen auf das Werk einzugehen und zu fragen: Ist das Werk in sich schlüssig? Für das Haus der Photographie war es immer wichtig über den Tellerrand hinauszuschauen und das Medium in seiner Gesamtheit zu betrachten. Das bedeutet aber umgekehrt auch, Positionen neu zu kontextualisieren und nicht nur die Fotografie als Kunst zu zeigen.

Es gibt auch an deutschen Kunsthochschulen noch immer die Denkweise, dass Kunst ist, was von Künstler*innen gemacht wird, und einige Studierende und auch Lehrende haben regelrecht Angst davor, dass ihnen der Platz an der Museumswand strittig gemacht wird.
Aber darum geht es doch gar nicht. Es kann nicht sein, dass wir sagen »Die Museumswand ist nur für Künstler*innen«. Es geht darum, dass wir das Medium als solches verhandeln und dass wir Ebenen schaffen, in dem sich die Besucher*innen fern der üblichen Kontexte darauf konzentrieren können.

Gab es denn umgekehrt Künstler*innen, die gesagt haben, dass sie nicht in einem Haus für Photographie ausstellen wollen?
Ich habe jeden Künstler und jede Künstlerin gewinnen können, den oder die ich angefragt habe. Möglicherweise aber auch, weil das Haus der Photographie ein Teil der Deichtorhallen ist und die Institution natürlich für etwas steht.

Im Gespräch mit Michael Wolf in der Ausstellung LIFE IN CITIES, 2018. Foto: Henning Rogge
Mit Saul Leiter anlässlich der Ausstellung SAUL LEITER – RETROSPEKTIVE, 2012. Foto: Matthias Schönebäumer

Das Haus der Photographie ist mit seiner 1.300 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche, der fast 20 Meter hohen Decke und den fünf Meter hohen Wänden geradezu riesig. Das ist eine wunderbare Fläche, aber die muss man auch füllen. Wie geht man mit solchen Herausforderungen um?
Die Halle ist großartig und auch ein Luxus. Es gibt Künstler*innen, denen das ohne Probleme gelingt. Ich habe eine Reihe von Ausstellungen mit Dokumentarfotograf*innen gemacht, die über das eigentliche fotografische Medium hinaus mit Erweiterungen gearbeitet haben, also zum Beispiel mit Text, mit Objekten oder mit Installationen. Dazu gehörten Paolo Pellegrin, Lauren Greenfield und Michael Wolf. Für die war die Größe der Halle überhaupt kein Thema. Aber es gibt eben auch Künstler*innen, die ganz reflektiert sagen, dass sie die Halle allein nicht bewältigen können. Matt Black beschäftigt sich in seiner Arbeit mit der Armut in den Vereinigten Staaten. Und obwohl er installativ und raumgreifend gearbeitet hat, war die Halle für ihn allein zu groß. Aber ich wollte auch nicht einfach eine zweite Ausstellung zeigen, die mit Black nichts zu tun hat. Stattdessen hat meine Kollegin Sabine Schnakenberg mit Jerry Berndt eine historische Position aus den 1960er- bis 1980er-Jahren dazu genommen, die sich ebenfalls mit der sozialen Verfassung Amerikas beschäftigt hat. Und dazu haben wir dann auch noch eine Wand aus Monitoren gebaut, auf denen permanent aktuelle Instagram-Bilder mit unterschiedlichen Hashtags wie #blacklivesmatter und #makeamericagreatagain gezeigt hat. Damit haben wir das Thema aus verschiedenen Perspektiven und aus verschiedenen Zeiten reflektiert.

Sie haben im Haus der Photographie fast 80 Ausstellungen gemacht. Welche Ausstellungen waren, gemessen an den Publikumszahlen, die erfolgreichsten?
Das war die Retrospektive LIFE IN CITIES von Michael Wolf. Wir hatte mehr als 50.000 Besucher, das war unglaublich. Die zweiterfolgreichste war die AUGEN AUF!-Ausstellung zum 100. Geburtstag von Leica und der damit verbundenen Geburt der Kleinbildfotografie. Diese Ausstellungen waren vom Inhalt her eher anspruchsvoll. Aber es gab auch Event-Ausstellungen, die einfach mal für's Herz waren. Dazu gehörten die beiden Ausstellungen TRAUMFRAUEN und TRAUMMÄNNER, dessen Konzept recht einfach war: 50 Top-Fotograf*innen, die die Medienlandschaft bestimmt haben, wurden nach ihren drei bis fünf schönsten Fotografien von Frauen beziehungsweise von Männern gefragt. Sie können es sich nicht vorstellen, wie gut besucht die Ausstellungen und wie begeistert die Besucher*innen waren. Deswegen habe ich mit diesen beiden Ausstellungen auch meinen Frieden geschlossen.

Das klingt, als wären Sie ursprünglich nicht ganz glücklich gewesen.
Bei der Pressekonferenz zu den TRAUMFRAUEN war ein sehr kritischer Journalist, der nur den Kopf geschüttelt hat und meinte »Ingo, ich kann hier nur einen Verriss schreiben.« Ich meinte zu ihm, dass er das dann auch tun solle, wenn es ihm wichtig sei. Ich hatte keinen inhaltlichen Anspruch bei dieser Ausstellung und werde sie gewiss nicht auf den Thron heben. Ich behaupte auch nicht, dass das Kunst sei. Es ist das, was es ist. Aber – und das war mir wichtig: Auch das ist eben Fotografie und diese Bilder beeinflussen die Wahrnehmung des Publikums, wenn wir sie in Hochglanzmagazinen und in der Werbung sehen. Diese Bilder bestimmen unsere Vorstellung von Schönheit mit.























»Ich habe jeden Künstler und jede Künstlerin gewinnen können, den oder die ich angefragt habe«
Mit Brigitte Woischnik, Ute Mahler und Werner Mahler (v.l.) während der Eröffnung der Ausstellung UTE MAHLER UND WERNER MAHLER – WERKSCHAU, 2014. Foto: Birgit Hübner
Während der Eröffnung von gute aussichten DELUXE, 2018. Foto: Julia Steinigeweg























»Ich muss keine Sekunde darüber diskutieren, ob Dokumentarfotografie auch Kunst ist. Das ist Kunst. Fertig und Aus«

Welche Ausstellungen sind rückblickend Ihre wichtigsten oder liebsten gewesen?
Da gibt es mehrere. Die Ausstellung von Lillian Bassman und Paul Himmel war wichtig für mich, denn sie entsprach eigentlich genau meinem Stil, nämlich etwas zu entdecken, was zu dem Zeitpunkt nicht mehr im Fokus der Allgemeinheit war. Saul Leiter war wichtig, weil ich sofort gespürt habe, dass seine Arbeit durch die Decke gehen wird. Und ich glaube, es war ganz wichtig, dass ich mich entschieden habe, Ute und Werner Mahler auszustellen – obwohl mir einige Kolleg*innen im Vorfeld dazu geraten haben, die Ausstellung sehr klein zu machen, habe ich genau das Gegenteil gemacht und sie sehr groß ausgestellt. Die Ausstellung war für die Begrifflichkeit des Dokumentarischen wichtig. Ich muss da keine Sekunde darüber diskutieren, ob Dokumentarfotografie auch Kunst ist. Das ist Kunst. Fertig und Aus.

Aber Sie müssen sich in einem Haus der Photographie doch nicht dafür rechtfertigen, ob das, was Sie zeigen, Kunst oder »bloß« Fotografie ist.
Das ist richtig. Aber es gibt auch Fotograf*innen und Künstler*innen, die nicht in der Fotografieszene rezipiert werden möchten, sondern in der Bildenden Kunst. Ich sage dann »Leute, ihr dürft euch nicht selbst hassen. Ihr müsst ein Selbstverständnis haben. Und es spielt doch keine Rolle, ob ihr in der Fotogalerie oder in einer Kunstgalerie, ob ihr auf der Art Basel oder auf der Paris Photo ausgestellt werdet: Es geht um das Werk und wenn das besteht, dann ist es gut.« Außerdem gibt es Menschen, die sagen, dass etwas »nur« Dokumentarfotografie sei und eben nicht Kunstfotografie und deshalb sei es für sie nicht relevant. Da muss in der Szene noch viel über solche Begrifflichkeiten nachgedacht werden.

Welche Ausstellungen sind Ihnen noch in Erinnerung geblieben?
Neben den großen gab es auch kleinere Ausstellungen, die ich ganz wichtig finde. Zusammen mit der Stichting Fotografie Noorderlicht in Groningen habe ich zum Beispiel eine tolle Ausstellung mit Kiyoshi Suzuki gemacht. Er steht nicht so im Fokus wie andere japanische Fotografen. Hier am Haus der Photographie hatten wir 2008 die Möglichkeit, nicht nur seine Fotografien selbst zu zeigen, sondern auch seine Fotobücher. Ich muss Ihnen nicht erklären, dass der Stellenwert des Fotobuches in Japan ungleich höher ist als in Europa und dass es für japanische Fotograf*innen viel interessanter ist ein Fotobuch zu machen als eine Ausstellung. Suzuki hat sieben herausragende Fotobücher gemacht, die alle ausverkauft sind und die es im Antiquariat für zum Teil vierstellige Summen zu kaufen gibt. Seine Töchter haben mir diese sieben Original-Bücher zur Verfügung gestellt. Und zwar nicht, damit ich sie in eine schützende Vitrine lege und die Besucher*innen demütig auf eine Doppelseite schauen.

Die Bücher durften ausgelegt und von den Besucher*innen durchgeblättert werden.

Dafür haben wir in der Mitte der Ausstellung sieben Tische mit 14 Hockern installiert. Die Besucher*innen konnten sich komplett auf die Dramaturgie konzentrieren, weil um sie herum an den Wänden kein einziges Foto hing – die Barytabzüge aus allen Serien waren außerhalb des zentralen Raumes zu sehen. Die Leute sind mit einer Hochachtung an die Bücher herangegangen, das war wunderbar, denn normalerweise sind Bücher, die man auslegt, nach zwei Wochen zerfleddert. Kein einziges Buch ist kaputt gegangen. Eine andere Ausstellung, die ich wegen ihrer absoluten Radikalität wahnsinnig mochte, war die von Ken Schles, Jeffrey Silverthorne und Miron Zownir im Jahr 2016. Das waren zwar drei Einzelausstellungen, aber sie liefen gleichzeitig und jede bekam ihr eigenes Plakat. Bereits über die Einladungskarte haben sich wahnsinnig viele Leute beschwert und der Freundeskreis des Hauses der Photographie war schockiert, weil er sich plötzlich mit Sex und Tod konfrontiert sah. Die Ausstellung selbst war so radikal, dass die Hamburger Presse geschockt darüber berichtete.

Eröffnung des PHOXXI mit der Ausstellung JACK DAVISON. OMER FAST. FRIDA ORUPABO, 2021. Foto: Henning Rogge
Mit Ragnar Axelsson während der Eröffnung der Ausstellung RAGNAR AXELSSON – WHERE THE WORLD IS MELTING, 2023. Foto: Jakob Boerner

Wieso geschockt?
Es war eine düstere Ausstellung, überwiegend Schwarzweiß-Aufnahmen. Es ging um sehr persönliche Geschichten, Exzesse, Tod und Prostitution. Jeffrey Silverthorne hat im Leichenschauhaus fotografiert und Miron Zownir hat Homosexuelle, Transvestiten und andere Randgruppen in den 1980er Jahren festgehalten. Sie haben das fotografiert, von dem andere den Blick abwenden. Journalist*innen kamen auf mich zu und sagten, dass sie die Ausstellung großartig fanden, aber die Redaktion ließe nicht zu, dass darüber berichtet würde. Die Boulevardpresse hat etwas gemacht – und die Ausstellung skandalisiert.

Gibt es eine Ausstellung, die Sie gerne gemacht hätten, die Sie aber nicht umsetzen konnten?
Ja, aber dafür muss ich kurz ausholen. Ich habe meine Zeit hier schon genutzt und ich bin in dem Bewusstsein im Haus der Photographie eingestiegen, dass ich mich bestimmten Bereichen anders öffnen möchte als ich es als junger Fotograf bei anderen Kurator*innen erlebt habe. Deshalb habe ich gleich zu Beginn einen starken Fokus auf den Bereich der jungen Fotografie gerichtet. Das war auch vom Hause aus so gewollt, denn alle Häuser möchten das Durchschnittsalter ihrer Besucher*innen senken. Dafür muss man aber auch junge und dynamische Positionen zeigen. Dafür war der Kontakt zu Josefine Raab und Stefan Becht, Organisatoren des Wettbewerbs gute aussichten, ein Geschenk. Ohne nur ein Bild gesehen zu haben, wusste ich, dass das etwas ist, was genau auf meiner Wellenlänge liegt, nämlich unbekannten Fotograf*innen, die gerade ihren Hochschulabschluss gemacht haben, ein Forum zu bieten, genau wie ich es für prominente Fotograf*innen tun würde. Ich habe am Anfang relativ viel Gegenwind bekommen, denn natürlich weiß man nicht, was aus all diesen jungen Leuten einmal wird. Aber die Ausstellungen waren immer wahnsinnig erfolgreich und wir hatten bis zu 5.000 Besucher*innen allein bei den Ausstellungseröffnungen im Haus.

Aber darum ging es Ihnen ja nicht.
Ich wollte diesen Positionen nicht nur einen Projektraum irgendwo am Rand auf dem Weg zu den Toiletten zur Verfügung stellen, sondern sie mittendrin und mit ausreichend Platz präsentieren, damit sie ihre Geschichten auserzählen können. Das habe ich geschafft.















»Alle Häuser möchten das Durchschnittsalter ihrer Besucher*innen senken. Dafür muss man aber auch junge und dynamische Positionen zeigen«
Foto: Philipp Meuser

Aber?
Ich bekomme die gesamte Diskussion um fotografische Vor- und Nachlässe mit. Einige Fotograf*innen sind mit ihrem Lebenswerk durch die typischen Raster der Museumslandschaft gerasselt. Diese Künstler*innen haben einfach kein Forum und werden auch nicht gesammelt. Ich könnte Ihnen sofort ein Dutzend Beispiele nennen. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob es nicht ein ähnliches Modul geben könnte wie bei den jungen Fotograf*innen, nur eben für Fotograf*innen, die bereits ein gewisses Alter überschritten haben und für die es üblicherweise keine Förderprogramme und Stipendien mehr gibt.

Würden Sie sich dabei auf deutsche Positionen beschränken?
Nein, nicht unbedingt. Das könnte auch international besetzt sein. Allein in Deutschland gäbe es genug. Selbst Walter Schels, den ich als Teil der »Hamburger Helden« ausgestellt habe, würde ich dazu rechnen. Aber immer, wenn es bei Gesprächen mit potentiellen Sponsoren um das Thema ging, wurde schnell gesagt, dass sie lieber junge, neue Positionen unterstützen wollen.

Wie sind Ihre Pläne für den Ruhestand? Bleiben Sie der Fotografieszene erhalten?
Ich kann es Ihnen nicht mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, aber ich glaube, dass ich wieder zu dem zurückkehren werde, was ich vor meiner Arbeit an den Deichtorhallen gemacht habe. Ich weiß nicht, ob ich als Fotograf noch eine Rolle in der Fotografiewelt spiele. Aber das Machen von Fotografie ist mir unheimlich wichtig und ich finde darin auch ein Seelenheil. Ich werde mich mit meinem Vorlass beschäftigen, Ordnung schaffen und meine eigene Arbeit rezipieren. Ich werde also auch weiterhin Fotos machen, außerdem bin ich auch noch Präsident der Deutschen Fotografischen Akademie und stellvertretender Sprecher des Deutschen Fotorats. Ich bleibe der Fotografie also erhalten.

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Ingo Taubhorn (*1957)
stellte als Künstler international
aus (Mensch Mann, VaterMutterIch und Die Kleider meiner Mutter). Seit 1988 arbeitete er als freier Ausstellungsmacher für das Museum Folkwang in Essen, die Pat Hearn Gallery in New York und die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (nGbK) in Berlin. Von 2006–2023 war er Kurator des Hauses der Photographie, Deichtorhallen Hamburg. Er ist Präsident der Deutschen Fotografischen Akademie (DFA) und unterrichtet an der Fachhochschule Bielefeld sowie an der Ostkreuzschule in Berlin. Seit 2023 ist er ein Sprecher des Deutschen Fotorats. Er lebt und arbeitet in Berlin.

Damian Zimmermann
(*1976) lebt und arbeitet als Journalist, Kunstkritiker, Fotograf, Kurator und Festivalmacher in Köln.


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