»Wie ein Pingpong-Spiel«
19. November 2018
Foto: Henning Rogge
19. November 2018
Wir sitzen auf Klappstühlen in einem Seitenraumraum der Ausstellung, gleich neben den Klimavitrinen mit den empfindlichen Holzskulpturen. Christiane Lange ist bester Dinge. Ja, man kann sagen: Sie sieht richtig glücklich aus. Und sie sprüht vor Enthusiasmus, wenn es um Kunst, Skulpturen und die Ausstellung geht.
Sie leiten ein bedeutendes Museum mit langer Geschichte, das mit 5000 Gemälden und Plastiken rund 800 Jahre Kunstgeschichte unter einem Dach beherbergt. Hervorragend vertreten ist die klassische Moderne. Wie kam die Staatsgalerie zu ihrer Sammlung?
Stuttgart hatte neben Düsseldorf nach dem Krieg die Möglichkeit, Sammlungen der klassischen Moderne aufzubauen, die in Deutschland ihresgleichen suchen. Da war einfach zur richtigen Zeit der richtige Weitblick. Nicht durch Zufall geschah das in den beiden Bindestrich-Ländern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, zwei von den Alliierten konstruierten Bundesländern. »Was ist verbindender als Kultur?«, dachten sich die Väter, und haben dann 1956 die Wettmittelgesetze dahin gehend geändert, dass alles, was an Lotto, Toto und sonstigen Spielerlösen ins Land kam, in Kulturankäufe umgesetzt wurde. Da standen wirklich Millionen zur Verfügung zu einer Zeit, als Millionen auf dem Kunstmarkt noch richtig viel Geld waren. Dieses »Stuttgarter Museumswunder« führte dazu, dass in großem Stil Picasso, Matisse, Modigliani, Brânçusi und vieles mehr angekauft wurde. Das konnten andere Häuser später nie mehr aufholen, weil die Preise einfach so davon galoppiert sind.
Und für die vielen Kunstwerke war irgendwann kein Platz mehr...
Ja, der Altbau reichte hinten und vorne nicht. Das führte zu dem spektakulären Neubau von James Stirling. Er hat alles, was später Standard wurde, vorweg gedacht hat: den Wechselausstellungsraum, den Vortragssaal, den Shop, das Café, das große Foyer, auch im Stadtbild öffentliche Raum der Rotunde. Dieser geradezu ikonische Bau der Postmoderne ist schwierig, keine Frage. Das ist eine zitatreiche, extrem laute Architektur, die ständig schreit: »Hallo, hier bin ich!«. Ein Bau, der für Kunstwerke nicht optimal ist, aber ein eigenständiges Kunstwerk darstellt. Dieses Gebäude allein war 1984, als es eröffnet wurde, für eine Million Menschen aus der ganzen Welt Grund nach Stuttgart zu kommen. Mittlerweile haben wir vier Gebäude aus drei Jahrhunderten. Trotzdem reicht der Platz nie aus. Wir können aus der riesigen Menge von Werken immer nur einen Teil zeigen. Museumsarbeit heißt auswählen.
Was Florian Slotawa hier mit den Stuttgarter Leihgaben macht –
berührt das solche kuratorischen Überlegungen? Wie präsentiere ich
meine Sammlung neu?
Wenn es nur das gewesen wäre, dass mal
ein Künstler kuratiert, wäre mir das zu wenig gewesen. So etwas ist
einfach schon oft passiert. Dann wäre ich wohl diese Herkulesaufgabe
nicht angegangen. Gerade Skulptur ist schwer zu handhaben. Wenn ich 200
Papierarbeiten aussuche, dann müssen die natürlich auch alle von den
Restauratoren geprüft, passepartouriert und gerahmt werden, aber das
ist überschaubar im Vergleich zu Skulpturen, die zum Teil mehrere Tonnen
wiegen. Da geht man nicht mal eben schnell zum Regal und guckt, wie es
ausschaut. Die Skulpturen sind zum Teil im Außendepot in Kisten verpackt
und seit Jahren nicht mehr angesehen worden.
Dann kommt die Anfrage, ja, ich hätte das gerne, aber wir wissen noch gar nicht, ob wir das überhaupt ausleihen können. Denn vielleicht muss vorher zwei Monate restauriert werden, weil die Oberfläche korrodiert ist. Das sind eben wirklich Aufgaben. Wenn Florian Slotawa sagte, das hätte ich gern, konnten wir nie sagen, das geht auf jeden Fall. Es war eine Art Pingpong-Spiel. Skulptur ist eben »schwere« Kunst im wahrsten Sinne des Wortes. Es war wirklich eine Herausforderung für das Team, sich diesem zu stellen. Und das hat sich natürlich auch lange hingezogen. Der Auswahlprozess hat über ein Jahr gedauert. Das war für alle Beteiligten anstrengend und mühsam, das ist klar.
»Florian Slotawa schafft letztlich ephemere Kunstwerke, die nach der Ausstellung wieder verschwunden sein werden.«
Wie standen denn die zuständigen Kuratoren zu dem Projekt?
Sehr
unterschiedlich. Aber im Prinzip war bei allen eine große Sympathie für
die Idee von Florian Slotawa da. Es gab verschiedene Sichtweisen. Die
einen sagten, wir müssen uns bei den Künstlern, deren Werke hier
verwendet werden, in jedem Falle erst mal absichern, ob wir das dürfen.
Andere sagten: Nein, wir stellen die Werke ja auch ins Depot, wo sie gar
nicht gesehen werden, da fragen wir ja auch nicht nach. Man kann da
unterschiedlicher Auffassung sein, und man muss, glaube ich, auch
darüber diskutieren. Das war wiederum anregend an dem Projekt, dass wir
im Haus über so grundsätzliche Fragen gesprochen haben: Was darf Kunst,
was kann Kunst, wie weit darf Kunst gehen? Wie respektvoll oder wenig
respektvoll gehen wir selbst mit Kunst um? Das waren spannende
Diskussionen. Letzlich waren die Kuratoren alle sehr großzügig, was ihre
Werke auch aus der ständigen Sammlung betrifft. Und die Restauratoren
haben wirklich vorbildlich gearbeitet, damit so viel möglich gemacht
werden konnte.
Was hat Sie bewogen sich dieser Herkulesaufgabe überhaupt zu stellen?
Was
ich faszinierend fand, war die Herangehensweise von Florian Slotawa. Zu
sagen, ich arbeite mit allem vorgefundenen Material, seien es nun Dinge
aus dem Alltag, aus meinem persönlichen Besitz, oder seien es andere
Kunstwerke. Ohne diese Kunstwerke zu diskreditieren, ohne auf ihre
Kosten selber Meriten einzuheimsen, nach der Devise: Picasso ist immer
toll, und da kann ich dann so mitschwimmen. Slotawa dagegen geht sehr
ernsthaft an die Sache heran. Er ist jemand, der sehr respektvoll mit
der Kunst umgeht. Und er schafft letztlich ephemere Kunstwerke, die nach
der Ausstellung wieder verschwinden werden.
Außerdem stellt er Fragen, die die Kunst schon immer bewegen: Was ist Bildende Kunst und was ist ein konkretes Objekt im Raum? Wie geht es mit mir im Raum um? Da ist das mimetisch wiederholte Idol, das so groß ist wie ich, aber unbeweglich – dieses Pygmalion-Moment von Figuration. Auf der anderen Seite ist da das Archaische, Große, was uns ja auch in der Natur fasziniert. Warum wählt man als Kultstätte in der Wüste oder in den Bergen Orte, wo aus dem Nichts massive Blöcke aufragen? Sei es der Ayers Rock in Australien oder im Iran die herrlichen Kultstätten von Persepolis. Das ist die Faszination vom Verhältnis Mensch zu seiner Umgebung. Der Mensch verortet sich im Raum, wir sind ja dreidimensionale Wesen. Das beschäftigt den Menschen, seit er das Paradies verlassen hat, sprich: seit er angefangen hat zu denken und ein etwas intelligenter Schimpanse geworden ist (lacht).
Wie ist hier bei den Leihgaben das Verhältnis von Werken aus dem Depot und Werken aus der Dauerausstellung?
Am Ende fast Fifty-Fifty.
Wir waren dann auch großzügig, denn Werke aus der Dauerausstellung
verleihen heißt natürlich Ersatzwerke in der Dauerausstellung zu
präsentieren. Das ist mit doppelter Arbeit verbunden. Entweder eine Wand
muss umgehängt werden – da hängen dann drei statt zwei Bilder – oder es
muss eine neue Skulptur her und so weiter.
Gibt es für Sie hier in den Deichtorhallen Überraschungen ?
Jede
Menge! Gerade von so schweren Kunstwerken wie hier der Anselmo im
letzten Raum, den kannte ich nur als Fotografie, weil er einfach seit langer Zeit bei uns nicht gezeigt wurde.
Gibt es Räume, die Sie besonders interessant finden?
Viele
begeistern mich! Gleich im zweiten Raum die Installation mit dem
schwarzen Porsche. Dazu diese zarte, elegante, schwarze, stehende
Torso-Figur von Archipenko und dahinter der Kounellis, den ich auch noch
nie installiert gesehen habe. Zu Lebzeiten machte das Jannis Kounellis
selbst, und es gibt keine genaue Aufbauanleitung. In Absprache mit
seiner Witwe wurde das jetzt dokumentiert, damit wir das Werk auch in
Zukunft aufbauen können. Diese verrußte Arbeit, da muss ja sozusagen
jedes Mal frisch der Ruß produziert werden! Dann der Belling-Kopf im
Porsche, was dann zu Calder weiterleitet – das ganze Ensemble hat eine
ungeheure Eleganz und Dynamik und verbindet verschiedenste Elemente von
Skulptur. Nicht nur ästhetisch durch die Farbe Schwarz, sondern auch
medial. Es zeigt, Skulptur kann kinetisch sein, kann Design sein, kann
Installation oder eben figurativ sein. Man versteht auf einmal, warum
ein Porsche so modern ist, oder umgekehrt: warum er so altmodisch ist,
weil sich sein Design in Jahrzehnten nur minimal verändert hat. Oder wie
schockartig seine Modernität in den 20er Jahren gewesen sein muss.
»Was ist Bildende Kunst und was ist ein konkretes Objekt im Raum? Das ist die Faszination vom Verhältnis Mensch zu seiner Umgebung. Der Mensch verortet sich im Raum, wir sind ja dreidimensionale Wesen.«
Könnten sie sich eine ähnliche Slotawa-Ausstellung auch in Stuttgart vorstellen?
Ja
natürlich. Zwischendurch, wenn wir alle ganz müde waren vom Ringen mit
Dirk Luckow und Florian Slotawa, kam immer: Können wir das Projekt nicht
in Stuttgart machen, dann wäre alles viel einfacher (lacht)! Aber das
Schöne hier ist natürlich diese wunderbare Halle mit ihren 35 Metern
lichter Höhe. Wir haben in Stuttgart 12.000 Quadratmeter, aber wir
hätten nie diese Großzügigkeit, das so auszubreiten. Ich würde das sehr
gerne machen, aber das würde etwas völlig Anderes sein. Ich will jetzt
nichts versprechen, aber es wird allen aus Stuttgart, die jetzt hier
nach Hamburg kommen, um sich das anzusehen, nicht aus dem Kopf gehen.
Jetzt haben die Besucher der Deichtorhallen die Gelegenheit, wenigstens eine kleine Auswahl Ihrer Schätze zu bewundern.
Die
Staatsgalerie feiert in diesem Jahr ihr 175-jähriges Jubiläum. Das war
auch eine Möglichkeit für mich, im Haus dafür zu werben, sich auf dieses
Wagnis FLORIAN SLOTAWA: STUTTGART SICHTEN einzulassen. Weil ich gesagt
habe, so können wir außerhalb von Stuttgart deutschlandweit wahrgenommen
werden. Es ist absolut großartig, in der zweitgrößten Stadt im Norden
einen so tollen Auftritt zu bekommen.
Welche Ausstellungen kann man derzeit in Stuttgart sehen?
Wir
haben gerade eine Lehmbruck-Ausstellung. Deswegen sind auch keine
Lehmbrucks hier. Und ab 23. November haben wir parallel die große
Duchamp-Ausstellung »Marcel Duchamp. 100 Fragen. 100 Antworten«, denn wir haben auch einen großen Duchamp-Bestand. Marcel
Duchamp ist als Erfinder des Readymades natürlich auf der Großvater oder
Urgroßvater von Florian Slotawa! Duchamp sagte, ich nehme ein Objekt
aus dem Alltag, setze es auf einen Sockel ins Museum und erkläre es
damit zum Kunstwerk. Umgekehrt holt Slotawa jetzt das Kunstwerk aus
seinem musealen Alltag wieder heraus und setzt es auf oder in einen
Alltagsgegenstand. Er stellt diese Frage sozusagen noch einmal anders neu. Und macht sie für uns auch wieder neu irritierend. Diese surreale
Irritation ist es ja letztlich, was die Kunst ausmacht. Dass wir aus dem
Alltag gerissen werden. Dass wir nicht sagen: kennen wir schon, und an
allem vorbeilaufen, sondern sagen, halt! Da ist etwas, das berührt
mich, und es lohnt sich, damit Zeit zu verbringen und in den Dialog zu
geh
Christiane Lange ist Teilnehmerin der Podiumsdiskussion über innovative Präsentationsformen von Sammlungsbeständen am Mittwoch, 28. November um 19 Uhr in der Halle für aktuelle Kunst. Diskutiert wird, wie Museen heutzutage mit ihren Sammlungsbeständen umgehen, wie sie sie innovativ präsentieren, wie der Spagat zwischen klassischer Kunstvermittlung und zeitgemäßer, Neugierde weckender Präsentationsformate gelingen kann. Weitere Gäste: Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen Hamburg, Florian Slotawa, Künstler und Kurator der Ausstellung sowie Wolfgang Ullrich, freier Autor und Kulturwissenschaftler.
Die Ausstellung FLORIAN SLOTAWA: STUTTGART SICHTEN ist bis zum 20. Januar 2019 in der Halle für aktuelle Kunst zu sehen.