»Eine Waschmaschine hat skulpturale Parameter«
6. November 2018
6. November 2018
Dirk Luckow: Florian, fangen wir mal mit einem Rückblick an: Was für ein Verhältnis hast du zur Kunsttheorie in den 1990er Jahren mit ihrer Institutionskritik, ihrem Hinterfragen der Produzentenrolle oder vergleichbaren Problemstellungen?
Florian Slotawa: Als Kunststudent Mitte der 90er Jahre habe ich viel darüber nachgedacht, was man dem Kunstbetrieb noch hinzufügen kann und ob es überhaupt gut ist, neue Werke zu produzieren und noch mehr Material in die Welt zu setzen. Ein naheliegender Ansatz war für mich, mit dem bereits Vorhandenen zu arbeiten. Also Alltagsgegenstände, in diesem Fall mein Wohnungsinventar, temporär zweckzuentfremden und als Material für die Arbeit zu benutzen und sie dann nach der Ausstellung wieder im Alltag zu verwenden. Es ist in meinen Arbeiten also zunächst und vor allem um eine Materialökonomie gegangen. Die Fragen nach Institutionskritik und der Produzentenrolle schwingen aber natürlich mit.
Welche Bedeutung hatte dabei, eine nicht resourcenschonende, nicht kaufbare Kunst zu erzeugen?
Das hatte auf jeden Fall eine Bedeutung. Während ich studiert und viel darüber nachgedacht habe, was an Kunstproduktion noch relevant sein könnte, ging es schon auch darum, die vorhandenen Strukturen zu unterlaufen; also nicht nur die Rolle der Institutionen, sondern auch den Kunstmarkt und damit auch die Erwartungen, die Sammler, Galeristen oder Kuratoren an einen Künstler haben.
Wann hast du begonnen, auch Kunstwerke in dein Vorgehen miteinzubeziehen, und was versuchst du, damit zu erreichen?
Das hat sich ganz natürlich aus dem Ansatz heraus entwickelt, mit dem Vorhandenen zu arbeiten. Das waren zunächst meine Dinge, mein Besitz. Aber sobald ich in Institutionen ausgestellt habe, standen auch deren Dinge zur Disposition. Bei den Museen gab es dann zwei Abteilungen: einmal das Depot, also die Kunst, die das Museum beherbergt, und dann das Inventar, also zum Beispiel die Einrichtung der Büros.
Ist die Ausstellung als eine surrealistische
Veranstaltung zu verstehen? Ich muss insbesondere an die
Rudolf-Belling-Skulptur im Auto denken.
Von meiner Seite ist es eigentlich eher sowas wie eine Reaktion auf
eure Räume: Ich habe die Ausstellung zugesagt und musste dann schauen,
wie die imposante Halle in den Griff zu kriegen ist. Die
Schwierigkeiten, die sich dabei aufgetan haben, wie Budgetknappheit,
konservatorische Erfordernisse oder Copyright-Vorgaben waren
Widerstände, mit denen ich umgehen musste und die im besten Fall zu
einer neuen Wendung im Konzept geführt haben. Die Ausstellung, so wie
sie jetzt aussieht, besteht zu großen Teilen aus Lösungen zu
Fragestellungen, die sich im Lauf des Prozesses aufgetan haben.
Das hört sich sehr funktional an – du reagierst auf Zwänge. Aber es
ist doch auch sehr provokant, etwa Skulpturen auf Waschmaschinen zu
präsentieren. Wie siehst du das?
Eine Waschmaschine steht in so gut wie jedem Haushalt. Die Skulpturen
stammen aus dem Museum, und man darf sie zwar bewundern, nicht aber
berühren oder benutzen. Mich reizt es, die Alltagswelt mit der Kunst
zusammenzubringen, weil ich denke, dass die Kunst dann nahbarer wird.
Außerdem hat eine Waschmaschine auch skulpturale Parameter, wie
Material, Farbe, Form und Gewicht, und es gibt spannende Korrespondenzen
zwischen den beiden jeweiligen Objekten. Man wird gezwungen genauer
hinzuschauen, als es bei einer konventionellen Präsentation der Fall
wäre.
Du löst die Kunst aus dem Museumszusammenhang und bringst sie mit der
Alltagswelt zusammen. Inwieweit entstehen dabei eigenständige, neue
Arbeiten von dir, wenn du Gebrauchsgegenstände mit Kunstwerken zu einem
neuen Ensemble zusammenfügst? – Zumal, wenn die Skulpturen aus dem
Besitz eines Museums stammen und nicht verkäuflich sind.
Die Verkäuflichkeit spielt eigentlich keine Rolle. Wichtig ist mir,
dass es temporäre Arbeiten sind: Die Skulptur aus dem Museum wird mit
einem oder mehreren Alltagsgegenständen zusammengeführt und, in unserem
Fall nach Ablauf der Ausstellung, wieder davon getrennt. Die Arbeit kann
fotografisch dokumentiert und womöglich zu einem späteren Zeitpunkt
wieder zusammengesetzt werden. Die Skulptur aus dem Museum bleibt aber
in ihrer Autonomie unberührt – anders könnte ich mir den Umgang mit
einem bestehenden Kunstwerk nicht vorstellen.
Die Staatsgalerie Stuttgart besitzt eine herausragende
Skulpturenschausammlung. Doch nicht wenige der Werke, die du ausgewählt
hast, stammen aus dem Depot der Staatsgalerie. Bestände werden von dir
ans Tageslicht geholt, die sonst nicht zu sehen sind. Was waren für dich
die Kriterien bei der Auswahl der Skulpturen?
Meine Kriterien waren recht subjektiv. Es ging weniger um
kunsthistorischen Rang, sondern mehr darum, welche der Skulpturen ich
persönlich reizvoll oder spannend fand. Dann wurde die Auswahl auch noch
von außen bestimmt, da eine ganze Anzahl von Werken aus
konservatorischen oder anderen Gründen nicht ausleihbar war. Ich hätte
gerne noch die eine oder andere Arbeit mehr geholt.
Könntest du das, was du persönlich reizvoll findest, an zwei, drei Beispielen definieren?
Ich bin eigentlich nicht so ein Fan von Barlach, aber sein
Spaziergänger aus Eichenholz hat mich doch sehr interessiert. Er hat
eine stattliche Erscheinung, und ich finde, dass er unbedingt nach
Hamburg gehört, so wie ihm der Wind in seinen Mantel weht. Die kleine
schmiedeeiserne Arbeit von Chillida hat mich gereizt. Sie besteht aus
mehreren aneinandergefügten Segmenten und war Anlass für meine
Konstruktionen aus Biergläsern von Stuttgarter Brauereien. Auch auf die
Arbeiten von Hajek war ich gespannt. Wenn man sie sieht, denkt man ja
zunächst an Brunnenskulpturen in Waschbeton-Einkaufspassagen der 70er
Jahre. Das sind dann wahrscheinlich Kindheitserinnerungen, die mir da
den Zugang eröffnet haben.
Einige Werke der Ausstellung stammen nicht aus den Stuttgarter
Beständen, sondern von dir selbst. Darunter eine Serie aus 145
Fotografien, die die 145 Steine der Schieferkreisarbeit von Richard Long »porträtieren«. Mein Eindruck ist, dass es dir nicht darum gegangen
ist, das Werk von Richard Long abzufotografieren oder zu reproduzieren,
sondern du dich fragst, wie es eigentlich ist, jeden einzelnen
Schieferstein des Werkes von Long für sich zu betrachten und
wahrzunehmen. Stimmt das? Was ist das Konzept dahinter, und welche Rolle
spielt die Fotografie generell in deinem Werk?
Ich habe mich natürlich schon gefragt, ob es wirklich so spannend
ist, 145 Fotos zu machen, die auf den ersten Blick sehr ähnlich
aussehen. Wenn man genauer schaut, sieht man aber, dass jeder
Schieferbrocken seine eigene Form und einen ganz eigenen Charakter hat.
Die Idee kam mir tatsächlich, als ich die Long-Arbeit im Museum
fotografieren wollte. Mich hat auf dem Bild der Raum mit all seinen
Details gestört, und das Foto hatte bei Weitem nicht den »Spirit«, den
die Arbeit an sich mitbringt. Ich habe mich mit einem Foto von einem
einzigen Schieferblock viel wohler gefühlt. Die nächste Frage war, ob
das Bild stellvertretend für die ganze Arbeit stehen kann, oder ob es
zehn oder 25 sein müssen. Weil ich ein Anhänger von Vollständigkeit bin,
kam schließlich der Entschluss, alle Steine zu fotografieren. Die lange
Reihe an der Wand korrespondiert, finde ich, schön mit Walter de Marias
Anfang und Ende der Unendlichkeit – so ein bisschen unendlich ist die
Fotoserie ja auch.
Parallel zu deinen Arrangements der Skulpturen entwickelst du eine
Art Archivfotografie der Werke der Stuttgarter Sammlung, Aufnahmen, die
immer auch das Wesen der Skulptur als solches zu veranschaulichen
scheinen, jedenfalls über das rein Dokumentarische hinausgehen. Was
müssen wir wissen über deine Fotografien der Stuttgarter Bestände?
Einige der Skulpturen aus der Stuttgarter Sammlung habe ich zunächst
im Depot der Staatsgalerie fotografiert, um für mich einen Bezug zu den
Werken aufzubauen. Dabei habe ich entdeckt, dass mich Ansichten der
Skulpturen von hinten interessieren, weil sie eine Seite zeigen, die
normalerweise nicht so im Fokus steht. In einem nächsten Schritt ist die
Bildstrecke für den Katalog mit den Ansichten von schräg hinten
entstanden. Ein Gedanke dabei war, Fotos von den Werken zu machen, die
bis jetzt so noch nicht gemacht wurden.
Auffallend ist, dass die unterschiedlichen Elemente in deinen
Materialtürmen immer nur lose miteinander verbunden sind. Da wird nichts
geklebt oder geschraubt. Welcher Grundgedanke steckt dahinter?
Das kommt daher, dass Arbeiten wie die Besitzarbeiten oder die
Hotelarbeiten, die gewissermaßen das Fundament für mein Werk bilden, nur
auf Zeit angelegt waren. Ich habe Alltagsgegenstände zweckentfremdet,
um sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder ihrer ursprünglichen
Verwendung zuzuführen. Dieses Prinzip habe ich bei den neueren Arbeiten
beibehalten, auch wenn diese teilweise gar nicht mehr auf Zeit angelegt
sind. In der Gruppe der »Kleinen Skulpturen« gibt es zum Beispiel eine,
die besteht aus einem Hocker und einer Kunststoffbox. Beides ist
ineinander gesteckt, aber nicht verklebt. Hocker bleibt also Hocker, und
Box bleibt Box, auch wenn sie zusammen die Skulptur bilden.
Im 19. Jahrhundert war es üblich, dass Künstler Museen leiteten und
Ausstellungen einrichteten. Heutzutage sind Kuratoren in der Regel dafür
zuständig. Siehst du die Ausstellung als ein Kunstwerk von dir? Wie
grenzt du den künstlerischen vom kuratorischen Gedanken ab? Gibt es ein
künstlerisches Gesamtkonzept für Stuttgart sichten?
Es gibt innerhalb der Ausstellung Stellen, wo ich als Kurator agiere,
zum Beispiel wenn es um die Frage geht, an welchem Ort das Mobile von
Calder am besten zur Geltung kommt. Dann gibt es Stellen, wo ich als
Künstler vorgehe, zum Beispiel bei der »Hamburger Reihe«, wo es um den
Höhenausgleich der fünf großen Skulpturen geht. Trotzdem sehe ich die
gesamte Ausstellung eingebettet in meine künstlerische Konzeption,
temporär mit Vorhandenem umzugehen. Ich sehe sie also als künstlerische
Äußerung – wenn du so willst: als Kunstwerk.
Zum von dir geschaffenen Gesamtkunstwerkcharakter der Ausstellung
tragen Werke von dir bei, die das Stuttgarter Skulpturenspektrum
entscheidend erweitern, darunter der OBI-Picasso. Das Werk bezieht sich
in brillanter Weise auf das Stuttgarter Picasso-Ensemble Die Badenden.
Was reizte dich daran?
Mich hat, ehrlich gesagt, nicht so sehr Picassos Figurenensemble
gereizt, sondern mehr die Lösung des Problems, dass es nicht entleihbar
war. Es kam der Gedanke, dass wir die Arbeit eben selber machen müssten,
wenn wir sie nicht aus Stuttgart bekommen – Picasso ist nicht so
schwierig nachzuahmen wie die klassizistischen Skulpturen, und Die
Badenden sind ein Hauptwerk der Stuttgarter Museumssammlung. Sie sollten
in den Deichtorhallen nicht fehlen. Baumärkte sind ja der Inbegriff des
Do-it-yourself-Gedankens, und so war die Idee geboren, das Ensemble aus
dem OBI-Sortiment nachzubauen. Das fand ich dann so spannend, dass ich
es sehen wollte.
Und, siehst du es mehr als eine Art Hommage, Parodie oder Kritik?
Als eine Hommage natürlich, vielleicht eine Hommage mit
Augenzwinkern. Picasso hat die Figuren ja auch aus einzelnen Elementen
zusammengesetzt. Es gibt Bilderrahmen, Möbelfüße – und ich meine auch
ein Bügelbrett zu erkennen. Wer weiß, wenn es damals schon Baumärkte
gegeben hätte, vielleicht wäre er auch da fündig geworden.
Das vollständige Gespräch zwischen Dirk Luckow und Florian Slotawa erscheint in voller Länge im Katalog zur Ausstellung, der ab Ende November erhältlich ist. Mit zahlreichen Abbildungen und Ausstellungsansichten. Mit Texten von Christofer Conrad und Julia Moritz sowie einer Einführung von Christiane Lange und Dirk Luckow. D/E, ca. 170 Seiten, ca. 120 Abbildungen. Die Ausstellung FLORIAN SLOTAWA: STUTTGART SICHTEN – SKULPTUREN DER STAATSGALERIE STUTTGART ist noch bis zum 20. Januar in der Halle für aktuelle Kunst zu sehen.