FOTO: HENNING ROGGE

Kollision der Formen

In den Fotografien des amerikanischen Künstlers Paul Mpagi Sepuya treffen Anspielungen auf die Fotogeschichte und erotische Momente aufeinander. Sein Studio versteht er als sicheren Ort für die queere Community. VON MAGNUS PÖLCHER

23. Januar 2023

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Seit den frühen 2000er-Jahren hat der US-amerikanische Künstler Paul Mpagi Sepuya mit intimen Porträts von Freunden und Liebhabern innerhalb der queeren Kultur für Aufsehen gesorgt. In den vergangenen Jahren hat sich sein visuelles Vokabular jedoch kontinuierlich weiterentwickelt, mit welchem er die Studioporträtfotografie und ihre historischen Bedingungen erforscht. Heutzutage umfasst sein Werk eine Vielzahl von fortlaufenden Serien, die er kontinuierlich in seinem Studio in Los Angeles erweitert.

Sepuyas Ausstellung DAYLIGHT STUDIO / DARK ROOM STUDIO, die derzeit im PHOXXI der Deichtorhallen Hamburg zu sehen ist, widmet sich im ersten Teil den Künstler*innenateliers und ihren Requisiten aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Bei seinen Recherchen entdeckte Sepuya einen Vorreiter der männlichen Aktfotografie, Fred Holland Day.

»Ich habe nie darüber nachgedacht, mich in meinen Serien auf Fotografien des 19. Jahrhunderts zu beziehen,« sagt Sepuya. »Aber gleichzeitig sah ich mir diese Bilder von Holland Day an. Besonders seine Fotografien von J. Alexander Skeete.« Skeete sei so etwas wie ein Freund und Mentee für Holland Day gewesen, der ihn auch vor seiner Kamera als Model einsetzte. So inszenierte er ihn beispielsweise als äthiopischen Anführer. Skeete, der selbst Künstler war, blieb es jedoch aufgrund seiner Hautfarbe verwehrt eine gleichwertige Position zu dem weißen Fotografen Day einzunehmen.

F. Holland Day, An Ethiopian Chief, 1897. J. Paul Getty Museum. Courtesy Getty Trust Open Content Program

In Daylight Studio (0X5A1682) reflektiert Sepuya nun diese soziale Positionierung innerhalb der Fotografiegeschichte, indem er sie umkehrt: als Schwarzer inszeniert er beispielsweise einen weißen Freund mit Requisiten aus den vergangenen Jahrhunderten. Dabei stützt sich dieser nackt mit seinem linken Arm auf ein Arrangement aus hölzernem Podest und Sockel. In seine rechte Brust sticht ein Besenstiel, während er sein Gesicht lakonisch hinter seiner linken Hand versteckt. Die Pose wirkt zugleich anmutig-statuesk als auch melancholisch. Es ist ein außergewöhnliches Bildarrangement, das die Spielregeln der klassischen Studioporträtfotografie unterwandert.

In einem anderen Bild versinken zwei nackte Männer in einem Meer aus rostfarbenen Samtkissen, die auf stilvoll übereinander drapierten Teppichen liegen. Obwohl sie einander gegenüber liegen, wirken ihre Körper und Blicke miteinander verschlungen. Wieder sind es spezifisch ausgewählte Requisiten und die Positionierung seiner Modelle, die Sepuya gezielt einsetzt, um die Geschichte des Studioporträts zu untersuchen. Wer ist hier das schöne Beiwerk?

Ständig hinterfragt Sepuya traditionelle Bildmuster der Porträtfotografie: Gliedmaßen als Bildelemente, nackte Körper, schwarze Vorhänge, Spiegel, der Apparatus des fotografischen Akts oder der Studioraum selbst tauchen immer wieder in seinen Bildkompositionen auf. Seine Fotografien fordern die Betrachter*innen heraus, die verschiedenen Elemente und Bildebenen zu entschlüsseln.

Paul Mpagi Sepuya, Model Study (0X5A6854), 2022. Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich / Paris © Paul Mpagi Sepuya

»Ich möchte, dass Besucher*innen ein Gefühl für Zeit erleben: eine Kollision von unerwarteten Formen und Inhalten aus dem 19. Jahrhundert bis heute. In DAYLIGHT STUDIO / DARK ROOM STUDIO ging es mir um Anspielungen auf die Kunstgeschichte, die soziale und politische Geschichte und Momente der Fotografiegeschichte im 19. und 20. Jahrhundert«, kommentiert Sepuya.

Mit den Bildern der Serie Dark Room Studio spielt Sepuya bewusst mit der Zweideutigkeit des Begriffs »dark room«: dieser kann zugleich als Fotolabor sowie als Raum für sexuelle Experimente innerhalb der schwulen Community verstanden werden. Mit rotem »safe light« ausgeleuchtet sind die Begegnungen der Männer nur schemenhaft zu erkennen.

Aufgrund des mysteriös-verschwommenen Charakters der Bilder eröffnet Sepuya mit der Serie einen Spielraum für homoerotische Bildinterpretationen. Sollen die Betrachter*innen in die Rolle von Voyeur*innen versetzt werden? Für ihn nehmen die Betrachter*innen keine wesentliche Rolle ein, erklärt Sepuya: »Ihr Wunsch, in diesen Raum einzutreten, mehr zu erleben – ist uns, denjenigen, die dieses Bild gemeinsam geschaffen haben, jedoch gleichgültig«.

Zwar hatte bereits Alvin Baltrop zwischen 1975 und 1986 mit seiner Serie The Piers schwules Cruising dokumentiert, trotzdem sind sexuelle Praktiken oder Orte der schwulen Community in der künstlerischen Fotografie bisher selten beleuchtet worden.

Sepuya erschafft nun in seinem Studio einen Ort für Experimentierfreude: »Ich bin daran interessiert, Aspekte wie Spiel und Begehren, welche in vielen schwulen und queeren Freundschaften vorkommen, anzuerkennen, mit ihnen zu experimentieren und sie dadurch zu verstärken.« Gezielt setzt er dabei auch visuelle Strategien von schwulen Apps wie Grindr ein. Die darin hochgeladenen Bilder würden neue Darstellungsformen produzieren und die bestehenden Muster der Repräsentation und Selbstrepräsentation innerhalb der queeren Community verändern.

Wenn wir Sepuyas Bildwelten betrachten, wäre es jedoch falsch sie auf ihre homoerotische Lesart zu reduzieren. Zärtlichkeit, Verletzlichkeit und Transformation sind in den Arbeiten ebenso spürbar. Seine Bilder sind auch eine Reaktion auf die schwule Fotografie und ihre gängigen Darstellungsformen, die Sepuya seit seiner Jugend wahrgenommen hat, die jedoch selten über das homoerotische Begehren hinausreichten.

Dafür verwandelt Sepuya sein Fotostudio zu einem »safe space«, in dem seine Gäste sich selbst erforschen können. »Freunde haben mich gebeten, sie in Momenten der Veränderung zu fotografieren. In Momenten der Verwundbarkeit oder der Neugierde,« erzählt er. Die entstehenden Porträts seien für die fotografierten Freund*innen befreiend und ermutigend.

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Magnus Pölcher ist Absolvent der Bildredaktionsklasse 2017/18 an der Ostkreuz-Schule für Fotografie in Berlin. Er arbeitet für C/O Berlin und schreibt u.a. für LensCulture über Fotografie. Für das HALLE4-Magazin betreut er die Kolumne #photography2050.

Die Ausstellung PAUL SEPUYA – DAYLIGHT STUDIO / DARK ROOM STUDIO ist noch bis zum 26. Februar 2023 im PHOXXI zu sehen.


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