Kunst auf Diplom
25. August 2020
Foto: Henning Rogge
25. August 2020
Kann man heute noch von akademischer Malerei sprechen? Im Informationsdienst Kunst wurde der JETZT!-Ausstellung vorgeworfen, nur Maler*innen mit akademischer Ausbildung zu berücksichtigen. »Zeigen uns die öffentlichen Kunstmuseen den neuen malerischen Akademismus?«, fragte der Autor. Doch gibt es in Deutschland einen akademischen Stil? Laut Anke Doberauer, Malereiprofessorin der Kunstakademie München, wurde die sogenannte »akademische« Malerei in Westdeutschland nach dem Krieg abgeschafft.
In der Tat griffen besonders im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Autodidakt*innen, aber auch Kunsthochschulabsolvent*innen die Doktrin einer akademischen Malerei an. Diese Kämpfe der Moderne wurden dabei auch immer auf kultureller, soziologischer und politischer Bühne geführt. Eine der letzten großen mitteleuropäischen Gegenbewegungen entstand in den 1940er-Jahren unter dem Namen Art Brut. Damit bezeichneten Künstler*innen die Zeichnungen und Malereien von Kindern, Geisteskranken und Laien. Maler wie Jean Dubuffet ließen sich von dieser antiakademischen Ästhetik inspirieren, auch um seelische Nöte in der Kriegszeit intuitiver darzustellen. Seit einigen Jahrzehnten gibt es jedoch keine Inspirationsquelle oder keinen Stil, der nicht von dem einen oder anderen Professor akzeptiert würde.
Aktuell genießen die deutschen Kunsthochschulen einen angesehenen Ruf, insbesondere im Fachbereich Malerei. Eine hohe hochschulinterne Wertschätzung und Förderung von Malerei, die reflektierte Offenheit der Professor*innen gegenüber der individuellen Entwicklung ihrer Student*innen und das weitestgehend freie, nicht zu pädagogisierte Hochschulsystem tragen dazu bei.
Diese Aspekte sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass ein tonangebender akademischer Stil gar nicht erst entstehen kann oder nur von kurzer Dauer ist. Fehlen diese Voraussetzungen, sinkt die Qualität der Ausbildung. Ein wie auch immer gearteter Akademismus würde das praxisorientierte, künstlerische Experimentieren behindern, das für eine originelle und freie Interpretation des »Zeitgenössischen« unerlässlich ist.
In einem Land wie Frankreich ist dies bereits der Fall. Seit dem Zweiten Weltkrieg wird der Malerei dort weder institutionell noch hochschulintern großer Wert beigemessen. Student*innen sollen in erster Linie lernen, über Konzepte und Diskurse zu sprechen. Das umfangreich verschulte und pädagogisierte Hochschulsystem erhöht das Risiko, trotz Talent durch Prüfungen zu fallen oder der Hochschule verwiesen zu werden.
Dies hat zur Folge, dass Frankreich keine nennenswerte Stellung mehr in der internationalen Malereiszene einnimmt. Andererseits findet man aber gerade dort eine spannende Off-Szene mit zwangsexmatrikulierten oder jungen, autodidaktischen Maler*innen, die sich ihre Praxis bewusst eigenständig und außerhalb jeder Kunsthochschule beibrachten. Sie werden jedoch von französischen Galerien und Förderprogrammen weitgehend ignoriert.
Kennt man die Lage in Frankreich, wird verständlich warum Deutschland oder Großbritannien eine bedeutendere Rolle in der internationalen Malereilandschaft spielen. »Unsere künstlerische Lehre fördert individuelle Positionen statt standardisierter Diplomkünstler«, erklärt Doberauer. »Kunsthochschulen sind ein Schutzraum, in dem sich Persönlichkeiten frei entwickeln können. Zudem war malen – anders als in Frankreich – bei uns immer erlaubt.«
Daher liegt der Fokus von Unterrichtsgesprächen weniger auf geplanten Konzepten in der Vorbereitungsphase, dafür mehr auf der Befragung von malerischen Entscheidungen während der Realisation. Da die künstlerische Ausbildung gezielt auf Eigenständigkeit statt auf Bevormundung setzt, ist die Gefahr der Zwangsexmatrikulation sehr gering.
Im Umkehrschluss ist die junge Szene an Nicht-Kunsthochschulabsolvent*innen schwächer aufgestellt. Ein Großteil der vielversprechenden Talente tummelt sich in den Hochschulen – gerade deswegen ist die Malereiausbildung aufgrund ihrer ästhetisch heterogenen Klassen je nach Institution und Professor*in so erfolgreich.
Lässt sich so erklären, dass alle jungen JETZT!-Künstler*innen auch gleichzeitig Kunsthochschulabsolvent*innen sind? Natürlich hätten sich die Kurator*innen nicht darauf beschränken müssen; Ausnahmen gibt es auch hierzulande. Nicht-Kunsthochschulabsolvent*innen haben es wesentlich schwerer Aufmerksamkeit zu erreichen, doch vor diesem Rechercheaufwand sollten Kurator*innen nicht zurückschrecken. Es wäre schön gewesen, zumindest einige dieser Ausnahmen entdeckt und ausgestellt zu sehen. Hier hätte mehr Mut zu ästhetischen Außreißern, ironischen Haltungen, gewagten Provokationen, sich abgrenzenden Kollektiven sowie zu stark singulären Positionen gutgetan. So beweist die JETZT!-Ausstellung: Ohne Diplom hat offensichtlich kein*e junge Künstler*in die Chance an solch einem Großprojekt teilzunehmen.
Die kuratorischen Entscheidungen der Ausstellung werfen trotzdem weniger die Frage nach einem akademischen Stil als nach Akademie- und Professor*innen-Präferenzen auf. Dies wäre in der Tat ein Problem. Wenn Professor*innen als Nachwuchscoaches bevorzugt werden, weil sie einen höheren Markt- und Bekanntheitswert aufweisen als ihre Kolleg*innen, müssen ihre Student*innen nicht zwangsläufig begabter sein.
Larissa Kikol ist promovierte Kunstwissenschaftlerin. Sie arbeitet als freie Kunstkritikerin und Dozentin in Marseille und Köln.
Die Ausstellung JETZT! JUNGE MALEREI IN DEUTSCHLAND ist bis zum 6. September 2020 in den Deichtorhallen Hamburg zu sehen.