Kunst berührt
12. Dezember 2018
Foto: @touchingtheart
12. Dezember 2018
Im Gymnasium hatte ich einen Kunstlehrer, der sah aus wie Albert Einstein. Mit unseren Fingern malten wir bei ihm im Kunst-LK mindestens so gut wie Van Gogh, davon waren wir fest überzeugt. Unser Lehrer war sehr geübt darin, im Museum unbemerkt von den Aufsichten die Kunst zu berühren. Da wir ihn für einen großen und rebellischen Künstler hielten, immerhin stellte er regelmäßig im Rathaus unserer Kleinstadt aus, dachten wir, große Künstler dürfen das. Wegen ihrer Nähe zueinander. Und wegen der Inspiration.
Wenn in Zeiten sozialer Medien vermeintlich bloß Schabernack getrieben wird, ist das Publikum ohne Anstrengung schnell größer als eine Klasse Pubertierender. Das macht es ungemein aufregender. Wer will nicht seine 15 Seconds of Weltruhm im Internet? Der Kunstmarktexperte Magnus Resch brauchte beispielsweise sogar nur 11 Sekunden und ein überfröhliches Urlaubsvideo von einer Skipiste, um bekannt zu werden. Resch brettert bei strahlendem Sonnenschein eine Skipiste herunter, ruft »Wooohooo!« und schmettert: »Tja, ob das bei euch genauso gerade ist? I daut it!« – Englisch für: Das bezweifle ich. (»I doubt it!«) Im Internet ging das Video viral, Resch verbreitet gute Laune.
Nicht ganz so gute Laune derweil bereitet das Projekt Touching the Art. Der Name sagt es schon, es geht darum, die Kunst zu berühren. Eigentlich sollte es natürlich andersrum sein, die Kunst berührt den Betrachter emotional, der Betrachter berührt die Kunst nicht physisch. Nur lässt sich daraus nicht so leicht ein provokantes Projekt machen, das sich gut für Aufmerksamkeit in den sozialen Medien zu eignen scheint. Es gibt eine Website und einen gleichnamigen Account auf Instagram: @touchingtheart.
Knapp 3.000 Follower hat der Account bisher. Beiträge können via Mail oder Hashtag eingereicht werden, es handelt sich, das erfährt man unter dem Menüpunkt »About«, nämlich um eine »Worldwide organization«. Weltweit, also. Mehr erfährt man dort übrigens nicht, außer freilich das Offensichtlichste: »Hi, we like to touch art.« Und, nun ja, das ist tatsächlich spektakulärer als zu sagen: »Hi, wir berühren gern Meerschweinchen.«
Wie bei Meerschweinchen werden auch viele Menschen bei Kunst den Wunsch verspüren, sie anfassen zu wollen. Wie fühlt sich Material xy wohl an? Oder: Einmal über die glänzende Oberfläche eines Balloon Dog des amerikanischen Superstarkünstlers Jeff Koons streifen. Hach. Nur ist das eben verboten, weil dadurch langfristig Schäden entstehen können.
Aika Schnacke fasst beruflich Kunst an. So ist sie unter anderem für die Restaurierung von Gemälden und zeitgenössischer Kunst in den Ausstellungen der Deichtorhallen zuständig. Sie trägt dabei meist Handschuhe – das geht nicht immer – und behandelt die Kunst wie ein rohes Ei. Ihr Job als Konservatorin ist es, die Kunst zu schützen. Auf @touchingtheart findet sich auch ein Foto aus den Deichtorhallen: Finger an Skulptur von Walther de Maria.
»Schwierig«, findet Schnacke es, wenn Menschen mit Vorsatz ein Kunstwerk für ein, wie sie sagt, »witziges Foto auf Instagram berühren.« Sie versteht den Drang und sie versteht, dass es hier um das Verbot und die Sensation geht, es geschafft zu haben, ein Kunstwerk anzufassen.
Jede/r Museumsbesucher*in kennt das. Aufsichten, die einen auf Schritt und Tritt zu verfolgen scheinen. In Zeiten von Smartphones ist es noch schlimmer geworden mit den Verboten. Berühren und oft auch noch fotografieren verboten. Wenn das Fotografieren erlaubt ist, müssen die Aufsichten darauf achten, dass die Besucher der Kunst nicht zu nahekommen. Nicht, dass wieder die Meldung durch die Medien rast: Penis zerstört. Oder irgendetwas anderes (sehr) teures, im Zweifel ist es Kunst, die nicht so leicht repariert oder ausgetauscht werden kann, wie ein Smartphone, das zu Boden fällt. Nicht einmal der überdimensionale Penis, eine Arbeit der Künstlerin Anna Maria Bieniek, konnte vollständig repariert werden, nachdem ein Besucher beim Opening im Kunstpalais Erlangen darüber stolperte – ein Loch ist geblieben.
Schnacke glaubt nicht, dass Touching the Art mit dem Gedanken agiert, der Kunst schaden zu wollen. Das tun sie trotzdem. Es komme auf Oberfläche und Material an, wie groß der Schaden ist, der durch eine Berührung entstehe, erklärt sie. Bei der Arbeit von de Maria brennt sich der Fingerabdruck schnell in die glänzende Oberfläche ein. Eigentlich müsste so etwas wie ein Erste Hilfe Kasten neben dem Werk stehen, sagt Schnacke, damit sie sofort polieren könne. Außerdem müsse immer gleich die ganze Arbeit gereinigt werden, das sei zeitaufwändig, weil sie 25 Meter lang ist.
Aus der Sicht eines Ausstellungshauses oder eines Museums ist solch ein Projekt natürlich absolut inakzeptabel. Annette Sievert, die Ausstellungsmanagerin der Halle für aktuelle Kunst der Deichtorhallen, sagt: »Die Leihgeber*innen verlassen sich darauf, dass ihre zum Teil sehr empfindlichen Werke bei uns mit größtmöglicher Sorgfalt und Rücksicht behandelt werden. Wenn Besucher*innen diese nun einfach berühren und dies auf Instagram dokumentieren, sorgt dass nicht nur für einen erheblichen Vertrauensverlust bei den Leihgeber*innen, sondern auch für steigende Kosten für Bewachung und eventuelle Restaurierungen bei Schäden. Langfristig kann dies bedeuten, dass bestimmte Werke gar nicht mehr gezeigt werden können.«
Das Magazin Vice derweil feiert Touching the Art. Es wird sich über den Geniestreich gefreut, dass Menschen sich über eins der obersten Gebote der Kunstwelt hinwegsetzen. Und, Vice setzt an Unverständnis noch einen drauf, Kunst sei in erster Linie ein Objekt, das zur Interaktion einlädt, da sei eine Berührung nur das Natürlichste.
Um es mit Magnus Resch zu sagen: I daut it. Völlig unironisch. Denn Gott sei Dank haben wir mehr Sinne.
Anika Meier schreibt für das Magazin Monopol eine Kolumne über Kunst und soziale Medien. Sie hat die Ausstellung Virtual Normality. Netzkünstlerinnen 2.0 im Museum der bildenden Künste Leipzig kuratiert. Ihr Buch Virtual Normality. The Female Gaze in the Age of the Internet ist im Verlag für moderne Kunst erschienen. Instagram: @anika.