Foto: Henning Rogge/Deichtorhallen Hamburg

Kunst in Bewegung

In der Ausstellung STUTTGART SICHTEN lenkt Florian Slotawa den Blick auf die Grundlage aller Museen: Was gesammelt und ausgestellt werden soll, muss erstmal bewegt werden. In der Kunstgeschichte galt die Beweglichkeit der Dinge jedoch lange als problematisch VON WOLFGANG ULLRICH

29. November 2018

Teilen

Dass Florian Slotawa für seine Ausstellung STUTTGART SICHTEN zahlreiche Werke aus der Staatsgalerie Stuttgart nach Hamburg transportieren ließ, mag als großer, gar übergroßer Aufwand erscheinen. Doch wird hier nur sichtbarer, was für fast jede Ausstellung ganz selbstverständlich ist: Leihgaben kommen von weither, auch wenn sie sehr wertvoll, höchst fragil oder extrem schwer sind. Imposant ist der hohe Turm aus Transportkisten, die Slotawa aufgestapelt und damit zu einem eigenen Teil der Ausstellung gemacht hat. Mit seiner Auswahl und Anordnung der Werke vermittelt er aber vor allem einen differenzierten Eindruck von den logistischen Herausforderungen des Kunsttransports und des art handling, so im Fall von zwei 450 Kilo schweren Stahlplatten von Richard Serra, die sich, gegeneinander gelehnt, zwar wechselseitig halten, aber so instabil sind, dass Aufsichtspersonal sie vor den Besuchern schützen muss. Und wenn Slotawa, wie im Fall von Picassos Figurengruppe Die Badenden, das Original nicht ausleihen konnte, da die Staatsgalerie das Werk zum festen Bestand erklärte, dann präsentiert er im Gegenzug eine umso mobilere DIY-Version: zusammengesetzt aus Produkten vom Baumarkt. Sein »OBI-Picasso« ließe sich minutenschnell zerlegen, und da Slotawa die Kassenbons aufbewahrt hat, könnte man die Einzelteile sogar wieder zurückgeben.

STUTTGART SICHTEN handelt also von der Kunst als Mobilie. Damit aber lenkt Slotawa den Blick auf nichts weniger als auf die Grundlage aller Museen und jeglichen Ausstellens. So lässt sich nur sammeln, was auch transportiert und zusammengetragen werden kann, und um etwas auszustellen, muss man es zuerst bewegen und arrangieren. Das Besondere an einer Ausstellung ist gerade, dass für kurze Zeit an einem Ort einmalig zusammenkommt, was sich sonst an ganz verschiedenen und immer wieder anderen Orten befindet.

Anders als heute war es in der Gründungsphase von Museen im 19. Jahrhundert durchaus noch Thema, dass sie sich der Beweglichkeit der Dinge verdanken. Das wurde damals aber auch kritisch gesehen. Immerhin musste alte Kunst oft erst gewaltsam aus einem Kirchenraum oder einem architektonischen Ensemble herausgelöst werden, um in eine museale Sammlung gelangen zu können. Was dort ankam, empfand man daher als entwurzelt. Und Gemälde, die etwa für eine Salonausstellung entstanden, galten von vornherein als wurzellos, hatten sie doch, anders als Auftragskunst, keinen vorbestimmten, keinen festen Ort. Das machte misstrauisch und führte zum Vorwurf der Beliebigkeit. Lange herrschten also noch Maßstäbe aus Zeiten, als gerade viele bedeutende Werke innerhalb größerer Zusammenhänge (ent)standen und weder transportiert noch gesammelt oder ausgestellt wurden.

Hat die Moderne mit ihren Institutionen »Museum« und »Ausstellung« den Grundzustand der Kunst von dem einer Immobilie in den einer Mobilie verwandelt, so gilt das umso mehr infolge technischer Medien. In reproduziertem Zustand sind Werke noch viel mobiler; alles kann jederzeit zusammengebracht werden, wie André Malraux 1946 mit seiner berühmten Idee eines imaginären Museums demonstrierte. Digitalisierung und Internet führen mittlerweile erst recht dazu, dass Abbildungen von Werken gleichzeitig an vielen unterschiedlichen Orten auftauchen. Sie kommen dann jeweils anders zur Geltung und erhalten wechselnde Bedeutungen. Entsprechend robust und wandlungsfähig müssen die Werke von vornherein angelegt sein. Im originalen Zustand können sie aufgrund ihrer digitalen Chamäleonhaftigkeit hingegen auf einmal vergleichsweise schwerfällig erscheinen. Auch das lässt sich in STUTTGART SICHTEN gut erfahren. Eine überlebensgroße Bronzefigur von Gustav Seitz hat Slotawa direkt neben dem Turm aus Transportkisten platziert, so als sei sie gerade erst ausgepackt worden. Erschöpft vom eigenen Gewicht sitzt der Geschlagene Catcher da – und weiß nicht, wo er hingehört. Er ist so ortlos wie eine zur Beweglichkeit gezwungene Immobilie, aber nicht ortlos genug, um sich mühelos überall integrieren zu lassen.

Wolfgang Ullrich, geb. 1967, lebt als freier Autor und Kulturwissenschaftler in Leipzig. Er publiziert zur Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, zu bildsoziologischen Themen und zur Konsumtheorie. Zuletzt erschien von ihm Wahre Meisterwerte. Stilkritik einer neuen Bekenntniskultur, Berlin 2017. Mehr unter www.ideenfreiheit.de.

Eine Debatte, u.a. mit Wolfgang Ullrich und Florian Slotawa über die innovative Präsentation von Sammlungsbeständen anlässlich der Ausstellung FLORIAN SLOTAWA: STUTTGART SICHTEN – SKULPTUREN DER STAATSGALERIE STUTTGART, kann bei Soundcloud nachgehört werden.

»Das Besondere an einer Ausstellung ist gerade, dass für kurze Zeit an einem Ort einmalig zusammenkommt, was sich sonst an ganz verschiedenen und immer wieder anderen Orten befindet.«

weiterlesen