FOTO: LENA MARIA LOOSE

»Kunst kann die Stopptaste drücken«

Die kanadische Künstlerin Darsha Hewitt leitet die erste Ausgabe des neuen digitalen Residenzprogramms thehost.is der Deichtorhallen Hamburg und Kampnagel. Ein Gespräch über veraltete Technologien, Stromschläge und warum sie eine Drummachine von Moby besitzt. VON DAMIAN ZIMMERMANN

7. März 2022

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Darsha, du wirst oft als Medienkünstlerin bezeichnet, aber das ist ja ein weites Feld und trifft nur bedingt, womit du dich beschäftigst.
Ich arbeite im Bereich Medienkunst und Sound, größtenteils mache ich elektromechanische Klanginstallationen. Mein Hauptinteresse bezieht sich darauf, was man über eine Gesellschaft lernen kann, wenn man sich mit obsoleter Technik beschäftigt. Es gibt so wahnsinnig viel Elektroschrott, alte Industrien und Produkte, dass sie schon fast als neue Form einer natürlich vorkommenden Ressource aus dem Anthropozän bezeichnet werden können. Ich kann einen alten Fernseher, einen alten Drucker oder eine alte Drummachine in meinem Studio auseinanderbauen und dabei viele wertvolle Bauteile entdecken, mit denen ich dann arbeite. Bei diesem »Do it yourself«-Aspekt schwingt immer auch ein Open-Source-Gedanke mit, so dass auch andere Menschen, die keine Techniker sind, verstehen und lernen können, wie diese technischen Geräte funktionieren.

Du produzierst auch Online-Videos, die ein bisschen wie technische Lernvideos daherkommen und in denen du erklärst, wie etwas funktioniert.
Ich mache meine Kunstprojekte und man muss das als Betrachter nicht alles verstehen. Da geht es viel um Schönheit, Ästhetik und Erfahrung. Viele Leuten sagen mir, dass sie eigentlich überhaupt keinerlei technisches Know-how hätten, aber durch meine Videos einen Zugang dazu erhalten hätten. Und wenn ich das jemanden vermitteln kann, ist das für die Person auch eine Form von Empowerment.

Du beschäftigst dich aber auch mit Medienarchäologie. Was können wir aus dem, was du machst, für uns heute lernen und ziehen?
Derzeit arbeite ich mit alten Schellackplatten. Heute ist es für uns schwierig, sie zu benutzen, denn man braucht dazu eine spezielle Nadel zum Abtasten. Schellack wurde aus den Ausscheidungen einer Laus gefertigt und die Schellackplatte war das erste und einzige nachhaltige Produkt der Musikindustrie. Und gerade die Frage der Nachhaltigkeit ist heute sehr wichtig geworden, denn früher war die Musikindustrie weniger darauf ausgerichtet, eine geplante Hochgeschwindigkeits-Obsoleszenz in ihre Produkte zu integrieren. Früher war es schön, wenn jeder einen Schallplattenspieler hatte und Musikkassetten und einen Walkman, aber diese Konsumkultur war eben auch damals schon sehr problematisch. Speziell an Deutschland finde ich auch die Technikpraktiken in der DDR sehr interessant, in der Rohstoffe und Produkte besonders knapp waren. Dort wurde oft anders über Technik nachgedacht und es wurden nachhaltigere Lösungen gesucht. Heute stehen wir hingegen oft ratlos vor den Problemen und fragen uns, was wir tun sollen. Dabei müssen wir gar nicht so weit in unsere eigene Geschichte zurückgehen. Wir können auch noch mit Techniker*innen und Ingenieur*innen sprechen, die vor 40 oder 60 Jahren Dinge entwickelt haben.

Stehst du im direkten Austausch mit diesen Menschen?
Während einer Residenz im Schwarzwald habe ich in St. Georgen das Deutsche Phonomuseum besucht. Das ist riesig und die Sammlung ist super! Aber das Beste daran ist eine Werkstatt, in der Techniker, die früher für Dual und Perpetuum Ebner gearbeitet haben, Reparaturen von alten Geräten anbieten. Die haben so viel Wissen und Spaß daran, auch anderen Menschen etwas beizubringen, die diese alten Techniken wertschätzen und bewahren wollen.

Mit alter Technik zu arbeiten ist nicht immer leicht und es kann auch mal etwas kaputt gehen.
Ja, ich arbeite beispielsweise mit dem Wurlitzer Sideman aus dem Jahr 1959. Das ist die erste kommerziell verfügbare Drummachine. Bei einer Ausstellung in Dortmund ist mir etwas daran kaputt gegangen und es ist schwierig dafür Ersatzteile zu finden. Aber Moby hat seine komplette Drummachine-Sammlung online verkauft und ich habe ein Gerät gekauft, um es als Ersatzteillager zu nutzen (lacht).

Moby? Der Musiker?
Ja! Ich habe sogar ein Zertifikat von ihm bekommen, dass das Gerät aus seiner Sammlung stammt.

Bei einigen deiner Videos musste ich an den YouTuber ElectricBoom denken, der bei seinen Experimenten Stromschläge bekommt oder wo es plötzlich anfängt zu brennen. Wie gefährlich ist das, was du machst?
Als ich das YouTube-Video mit der Drummachine gedreht habe, bekam ich auch einen Stromschlag. Während einer Live-Performance habe ich mich über das Gerät gebeugt, dabei ist eine Haarsträhne in den Motor geraten und wurde herausgerissen. Ich hatte danach eine kahle Stelle am Kopf, das war total peinlich. Die Leute dachten aber, dass es ein Teil der Performance sei (lacht).

Durch die Pandemie hat die Digitalisierung gerade auch in Deutschland einen großen Sprung gemacht und wir haben gemerkt, dass wir beispielsweise nicht mehr für jedes Meeting oder jede Veranstaltung irgendwo hinfahren müssen, um daran teilzunehmen. Wie stehst du dieser Entwicklung gegenüber?
Ich fand es verrückt, dass die ganze Welt ihren Alltag plötzlich ins Digitale verlegt hat. Auf Social Media folge ich vielen Aktivist*innen für Behindertenrechte und die sagen: »Leute, wir fordern seit so vielen Jahren Inklusion und eine Online-Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und wurden immer ignoriert, doch durch Corona ging es dann quasi einfach so« (schnippt mit dem Finger). Natürlich ist es super, dass wir nicht mehr für alles durch die Gegend reisen müssen, um uns zu informieren und um an etwas teilzunehmen. Schwierig ist aber, dass wir über ein Zoom-Gespräch keinen direkten Augenkontakt aufnehmen können, denn wenn ich direkt in die Kamera schaue, kannst du zwar mir in die Augen schauen, aber ich sehe dich nicht mehr. Außerdem sehe ich mein eigenes Bild so oft und das ist unangenehm. Seit Corona sind mehr Menschen über ihren eigenen Körper verunsichert.

Wir verbinden das Digitale und Virtuelle oft mit Perfektion, aber tatsächlich ist es alles andere als perfekt. Die Internetverbindungen sind schlecht, das Homeoffice ist nicht aufgeräumt. Ständig schaut jemand nicht in die Kamera oder hat das Mikronfon nicht auf stumm gestellt. Ist unsere Welt statt Hi-Fi nicht eher Lo-Fi?
Es gibt da diese Lücke zwischen der Tech- beziehungsweise der Sci-Fi-Welt und der realen Welt. Wir wollen, dass die Teleportation wie bei Star Trek sauber und schick ist, indem man sich elegant auflöst und flimmernd irgendwo anders wieder erscheint. Aber in der Realität ist es eher wie in dem David-Cronenberg-Film Die Fliege, in dem sich eine Fliege in die Maschine verirrt und sich der Protagonist nach dem Beamen langsam in einen grotesken Fliegenmenschen verwandelt. Im Bereich der Tele-Präsenz sind wir gerade an diesem Punkt: Die Tech-Welt behauptet, alles sei in Hi-Definition, aber in Wirklichkeit ist alles ein wenig unangenehm, unsicher und auch ein bisschen hässlich und improvisiert.

Darsha Hewitt, High Fidelity Wasteland I, 100 Year Old Quicksilver Cloud, Electromechanical Sound Installation, 2020. Foto: Adam Janisch

Sprechen wir über deine Season HOW TO BEAM für das Residenzprogramm thehost.is. Es klingt so, als würden die drei von dir eingeladenen Künstler*innen dafür gar nicht nach Hamburg kommen müssen, aber eigentlich besteht eine Residenz ja darin, dass die Künstler*innen an einen Ort reisen und dort arbeiten können.
Die Residenz kann online, aber auch vor Ort stattfinden. Es geht bei thehost.is nicht nur um die Form, sondern auch um den Inhalt. Sie ist also eine kritische Reflexion über unsere Zeit und unsere Gesellschaft, über unsere Technik und das Digitale. Wir denken über Technik nach, während wir sie nutzen. Und natürlich geht es dabei auch darum, was wir daraus lernen können. Das ist der Vorteil von Kunst – normalerweise nutzen Menschen Technik einfach, aber die Kunst kann die Stopptaste drücken und darüber nachdenken, was da eigentlich gerade mit uns und unserer hybriden Gesellschaft passiert.

Wie kam die Auswahl der drei Künster*innen zustande?
Ich habe Nadja Buttendorf, Dasha Ilina und Olsen ausgesucht, weil sie sich alle mit Fragen zur digitalen Welt und mit neu entstehenden Technologien beschäftigen, aber gleichzeitig sind sie auch sehr »hands on« und praktisch veranlagt. Diese Seite ist nicht Hi-Fi und nicht glattgebügelt. Sie benutzen zwar künstliche Intelligenz und 3D-Umgebungen, aber wir spüren dennoch ihre Körper und den Einsatz ihrer Hände. In Nadjas neuester Arbeit Robotron - a tech opera vermischt sie 4K-Videos mit einer 3D-Pixel-Ästhetik, die man von Minecraft kennt, als Schauplatz der ersten Seifenoper, die in der Computerindustrie der DDR spielt. Dasha Ilina ist Begründerin des Center for Technological Pain.

Das hört sich zunächst sehr offiziell an.
Dasha veranstaltet viele Workshops, in denen DIY- und Open Source-Objekte für Gesundheitsprobleme gebaut werden, die durch digitale Technologien überhaupt erst verursacht werden. Ihre Prototypen erstellt sie dabei wiederum einfach nur aus Pappkartons und mit einer Schere, die ganz im Gegensatz zur komplexen digitalen Technologie steht. Und Olsen hat beispielsweise die Weltgrößte Kuckucksuhr gebaut.

Ich dachte, die weltgrößte Kuckucksuhr steht in Schonach im Schwarzwald.
Ja, aber die von Olsen ist digital beziehungsweise funktioniert über eine Augmented-Reality-App. An der Fassade der Städtischen Galerie Villingen-Schwenningen ist eine Skulptur von ihm mit einem QR angebracht, die auf dem Smartphone die digitale Kuckucksuhr erscheinen lässt. Alle drei Künstler*innen beschäftigen sich also direkt oder indirekt mit dem Begriff Präsenz.

Darsha Hewitt, 20 Oscillators in 20 Minutes.

Apropos Präsenz: Wird es auch die Möglichkeit geben, dass sich die Künstler*innen gemeinsam vor Ort treffen oder wie ist der Ablauf der Residency geplant?
Olsen und Dasha wollen auf jeden Fall vor Ort sein, weil sie Menschen treffen, Videos drehen und hier ihre Arbeiten produzieren wollen. Und es gibt eine große Community der Deichtorhallen und von Kampnagel, mit denen sie sich verbinden möchten. Olsen will beispielsweise eine Teleportation-Duty-Free-Zone bauen (lacht). Also muss er auch vor Ort in Hamburg sein. Wir haben aber auch Events geplant, bei denen Besucher*innen dem Künstler bei der Entstehung einer Arbeit zusehen können. Sehr interessant finde ich auch die geplante »Virtual Visitor Werkstatt«.

Was können wir uns darunter vorstellen?

Die Idee dahinter ist, dass es heute viele Möglichkeiten gibt, virtuell an kulturellen Events teilzunehmen, aber da stellt sich auch die Frage nach der Präsenz und dem eigenen Erleben. Können wir zum Beispiel einen Roboter bauen, der durch die Ausstellung geht? Oder was machen wir, wenn wir eine Ausstellung einfach nur als digitale Flaneure besuchen wollen, ohne an einer geführten virtuellen Führung teilnehmen zu müssen. Ich glaube, dass diese Fragen eine Gelegenheit für junge, aufstrebende Künstler*innen und Designer*innen bieten, dafür eigene Ideen und Lösungen zu entwickeln. Außerdem würde ich gerne mit Spezialist*innen über den aktuellen Wissenschaftsstand zum Thema Teleportation und Beamen oder über Posthumanismus sprechen.

Wie kam es dazu, dass du als Host und nicht als Künstlerin eingeladen wurdest?
Die Deichtorhallen Hamburg und Kampnagel haben mich zum Gespräch und Brainstorming über ein digitales Residence-Programm eingeladen und mich gefragt, ob ich nicht als Host, also als eine Art gastgebende Kuratorin mitmachen möchte. Ich war ziemlich überrascht, weil das für mich eine völlig neue Position ist, aber ich fand, dass das eine sehr interessante Gelegenheit für mich ist. Ich wollte dann aber auch der erste Host sein – denn dann ist alles für alle Beteiligten das erste Mal und es ist nicht so schlimm, wenn etwas schief geht (lacht). Toll finde ich auch, dass zwei so interessante und unterschiedliche Institutionen zusammenarbeiten und ich genau dazwischen bin. Das ist ein sehr dynamischer Prozess.

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Damian Zimmermann (* 1976) lebt und arbeitet als Journalist, Kunstkritiker, Fotograf, Kurator und Festivalmacher in Köln.

HOW TO BEAM – DO-IT-YOURSELF TELEPORTATION FOR HYBRID TIMES findet vom 15. März bis 15. Juni 2022 im Rahmen des digitalen Residenzprogramms thehost.is der Deichtorhallen Hamburg und Kampnagel statt.


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