»Man ist entweder Superheld oder Superschurke«
14. März 2019
Lauren Greenfield: Florian Homm, 2014. Lauren Greenfield/INSTITUTE © Lauren Greenfield
14. März 2019
HALLE4: In Lauren Greenfields Dokumentarfilm Generation Wealth
sagt der amerikanische Timesharing-Milliardär David Siegel: »Wenn Sie
nicht reich sein können, wollen Sie sich reich fühlen – und wenn Sie
sich nicht reich fühlen wollen, dann sind Sie wahrscheinlich tot.«
Entspricht so eine Haltung eigentlich noch dem Zeitgeist?
Patrick Breitenbach: Nun ja, wenn man Reichtum allein auf die ökonomische Dimension, also
finanziellen Reichtum und Materialismus bezieht, dann entspricht das
wohl eher dem Yuppie-Zeitgeist der 1980er Jahre. Reichtum ist so
unterschiedlich deutbar und nicht alle Menschen sind süchtig nach
Materialismus. Wenn man Menschen heute fragen würde, was ihnen wichtiger
wäre, Materielles oder Gesundheit, so würden sie meistens zu letzterem
tendieren. Menschen wollen einfach nur gut leben ohne sich viele Sorgen
zu machen. Dazu muss man aber kein Milliardär sein und sich auch nicht
endlos mit Materiellem schmücken.
In Deutschland gibt es derzeit ungefähr 180 Milliardäre. Ab wann gilt man überhaupt als reich?
Auch das würde jeder unterschiedlich beantworten. In Deutschland gilt
jemand als finanziell reich, wenn er oder sie entweder mehr als 90.000
Euro Jahresgehalt verdient oder über dem Durchschnittsvermögen von circa 60.000 Euro liegt. Fragen Sie die einzelnen Menschen, werden alle etwas
unterschiedliches sagen. Ein Millionär wird die Frage anders beantworten
als ein Milliardär oder ein buddhistischer Mönch.
Superreiche stören sich vor allem am Begriff Superreiche. Warum eigentlich?
Vermutlich weil damit impliziert wird, dass der Reichtum exorbitant
höher ist als das, was »normal« und damit auch normativ legitim wäre.
Superkräfte gehen bekanntlich mit Superverantwortung einher. Man ist
dann entweder Superheld oder Superschurke. Ich denke, da wollen viele
lieber unter dem Radar bleiben und nicht in die Extreme gesteckt werden.
Zumal (Super)reichtum nie auf der Leistung eines Einzelnen beruht.
Entweder man hat durch die Arbeitskraft anderer oder bestehendes Kapital
oder mit Glück oder gar Betrug sich diesen Status erworben. Damit
wollen sich die wenigsten auseinandersetzen. Und natürlich schwingt da
auch immer die Sicherheitsfrage mit. Je reicher und berühmter man ist,
desto mehr muss man sich darüber Gedanken machen, wie man diesen
Reichtum bewahrt und beschützt.
Als Friedrich Merz für den CDU-Vorsitz kandidierte, wurde
über seinen Kontostand und sein Privatflugzeug diskutiert. Haben die
Deutschen eigentlich ein Problem mit Reichtum?
Es gibt ja über Friedrich Merz durchaus geteilte Meinungen. Und
natürlich fragt sich eine alleinerziehende Krankenschwester nach einer
langen Nachtschicht schonmal, warum sie nicht mit dem Privatjet zur
Arbeit fliegen kann, obwohl sie Verantwortung über das Leben zahlreicher
Menschen trägt. Das ist dann auch nicht immer die Neiddebatte, sondern
durchaus vernünftige normative Fragen. Zum Beispiel, ob ein Mensch, der
zur klaren Oberschicht gehört, sich aber selbst zur Mittelschicht
zuordnet in der Lage ist die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger zu
vertreten. Es lohnt sich dann schon nicht nur zu schauen, wieviel Geld
hat Friedrich Merz, sondern warum hat er so viel Geld.
Der milliardenschwere Amazon-Begründer Jeff Bezos hat 2013 die Washington Post gekauft, sich selbst bezeichnet er als hands-off-Besitzer. Sehen Sie eine zunehmende Gefahr der politischen Einflussnahme durch Superreiche wie Bezos?
Diese Einflussnahme gibt es ja seit es Reichtum gibt, also schon viele
1000 Jahre. Das Phänomen entsteht ja nicht erst mit Akteuren wie Jeff
Bezos. Denken sie allein in Deutschland an die letzten 100 Jahre: Die
Familiendynastien wie die Quandts, Springers und Burdas, die natürlich
im Rahmen ihrer Möglichkeiten – und die sind bei Menschen mit Vermögen
immer signifikant höher – auch unmittelbar politischen Einfluss ausüben.
Was natürlich auch systemisch einleuchtend ist, denn Politik hat ja
auch ein Interesse der sozialen Umverteilung und Vermögende haben ein
Interesse am Erhalt und der Vermehrung ihres Reichtums. Solche Systeme
sind selbsterhaltend. Die Gefahr ist also nicht unbedingt zunehmend,
sondern war schon immer da. Daher ist Transparenz und politische
Demokratie ein wichtiges Instrument, um solche Macht- und
Kapitalakkumulationen gering zu halten. Dabei geht es nicht darum dass
alle Menschen gleich arm sind, sondern dass alle Menschen die gleichen
Chancen haben einen bestimmten Wohlstand aufzubauen. Nur wenn sie ohne
Kapital, Bildung, Beziehungen oder Glück auf die Welt kommen, ist das
weitaus schwieriger.
Gibt es eigentlich regionale Unterschiede im Umgang mit Reichtum?
Die gibt es ganz sicher. Es gibt Kulturräume, sogar innerhalb
Deutschlands, die unterscheiden sich dadurch, dass manche ihren Reichtum
gerne zeigen und in anderen Regionen ist genau das wiederum verpönt und
der Porsche wird in der Garage versteckt. Das hat übrigens Parallelen
zum Calvinismus. Da wurde das schöne Kleid auch in der Truhe versteckt.
Aber man wusste stets, es ist da!
Die Geschichte des Lottogewinners, der am Ende alles
verliert, ist ja ein gern gelesenes Thema in der Zeitung. Auch bei
Greenfields Fotos kann man den Blick nicht abwenden. Warum faszinieren
uns Geschichten vom Reichtum immer wieder?
Weil Reichtum natürlich immer auch unmittelbar mit Macht einhergeht. Wer
reich ist, scheint freier zu sein als andere und hat dadurch mehr
theoretische Gestaltungsmöglichkeiten. Macht ist ein elementarer
Bestandteil der menschlichen Existenz. Macht ist attraktiv, Macht ist
sexy, Macht erzeugt mehr Macht. Es ist wie ein Magnet – Menschen wissen und sehen das und daher sind Geschichten vom extremen
Auf- und Abstieg besonders interessant.
Bedeutet Geld am Ende also nicht vor allem Stress?
Das kommt auf die Menge des Geldes an. Zu wenig Geld erzeugt Stress,
genauso wie zu viel Geld Stress erzeugen kann. Die goldene Mitte dürfte
da empfehlenswert sein, also der Punkt bei dem man sich keine Gedanken
machen muss ob man jetzt Abends mal essen gehen kann und sich nicht
Gedanken darüber machen muss, wie man sein Haus mit Überwachungskameras
und Zäunen ausstattet. Glücksforscher haben mal herausgefunden, dass das
Glück ab einem Jahresgehalt von 60.000 Euro bei den Menschen eigentlich
nicht mehr signifikant steigt. Das ist aber nur ein möglicher Hinweis
auf diese Hypothese.
Können Sie erklären wie das Statusstreben, der Kult um
berühmte Persönlichkeiten und der Schönheitswahn sich gegenseitig
bedingen?
Materielle Gegenstände sind Insignien der Macht. Meist unterliegen sie
einer bestimmten Ästhetik und man kann schon gar nicht mehr
auseinanderhalten, ob es wirklich schön oder einfach nur einen Status
besitzt. Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters und
variiert von Zeitalter zu Zeitalter und von Kulturraum zu Kulturraum.
Aber jeweils einigt man sich als Gesellschaft auf ein Ideal. Zugleich
spielen genetische Faktoren eine Rolle. Wir fühlen uns von gewissen
Merkmalen eher angezogen. Statussymbole versuchen Attraktivität zu
erzeugen, wo vielleicht sonst keine wäre. Diese Symbole des Reichtums
sind wie bereits erwähnt immer auch Symbole der Macht. Seht her, ich bin
ein Alpha! Erfolg basiert auch sehr oft auf Ästhetik oder eher auch
Charisma. Wenn sie aus Glück heraus berühmt werden, dann werden sie
damit auch automatisch attraktiver.
Patrick Breitenbach
arbeitet als Head of Brand Consulting & Strategic Innovation bei ZDF
Digital und beschäftigt sich mit den ökonomischen, soziologischen,
philosophischen und politischen Auswirkungen des digitalen Wandels. Der
gelernte Mediendesigner und langjährige Blogger, Publizist und Podcaster
beschäftigt sich seit vielen Jahren autodidaktisch mit Soziologie,
Philosophie, Wirtschaft und Politik. Gemeinsam mit Nils Köbel seit 2011 den mit dem Grimme Online Award ausgezeichneten Podcast Soziopod.
Soziopod live in den Deichtorhallen: Macht Geld glücklich? Publikumsdiskussion moderiert von Patrick Breitenbach und Nils Köbel. Samstag, 15. Juni 2019, 16 Uhr im Haus der Photographie
Die Ausstellung LAUREN GREENFIELD – GENERATION WEALTH ist noch bis zum 23. Juni im Haus der Photographie zu sehen.