Stefanie Heinze, Caress, 2019. Courtesy Galerie Capitain Petzel

»Man spürt einen
dadaistischen Unruhegeist«

Die Ausstellung QUADRO zeigt vier Künstlerinnen, die das der Feld der Malerei radikal erweitern. Ein Gespräch mit Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow über künstlerische Überschreitungen, nationale Stile und warum ihn das gemalte Bild stets aufs Neue fesselt. VON DOMINIK NÜRENBERG

18. Juni 2020

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HALLE4: Herr Luckow, die von Ihnen kuratierte Ausstellung QUADRO ist eine Ergänzung zur Ausstellung JETZT! JUNGE MALEREI IN DEUTSCHLAND. Wie kamen Sie auf die Idee, diese Schau um vier zusätzliche künstlerische Positionen zu erweitern?
Dirk Luckow: Die Werke der vier Künstlerinnen Kerstin Brätsch, Kati Heck, Stefanie Heinze und Laura Link sind wichtiger Bestandteil des aktuellen Malereidiskurses. Da sind wir uns, glaube ich, alle einig. Daher wollte ich ihnen hier eine Bühne bieten. Die JETZT!-Kurator*innen folgten dem Credo, dass es sich bei der Auswahl der Künstler*innen um eine Momentaufnahme handele, dass die Ausstellung keinen endgültigen Querschnitt der jungen deutschen Malereiszene darstelle, nichts Abgeschlossenes hat. Das sollte QUADRO unterstreichen. Ich wollte die Diskussionen über die aktuelle Malerei in Hamburg in einem eher konzeptuell geprägten künstlerischen Umfeld noch einmal neu entfachen. Das haben die hier in JETZT! und QUADRO vorgestellten insgesamt 57 Künstler*innen unbedingt verdient.

Was verbindet die vier künstlerischen Positionen in QUADRO miteinander?
Alle vier Künstlerinnen interpretieren das Medium der Malerei ganz unterschiedlich. Das Konzept einer einzigen Deutung ist ihnen dabei eher suspekt. Man spürt in ihren Werken etwas vom dadaistischen Unruhegeist, von der Unbegrenztheit der Malerei mit einer neo-surrealistischen, teils experimentellen, teils überbordenden Bildsprache. Da gibt es zum einen das radikal erweiterte Verständnis des Mediums im Werk von Kerstin Brätsch, welches installative, skulpturale und performative Seiten umfasst und mit großer Opulenz und Materialsensibilität Ur-Kräfte der Natur versinnbildlicht. Kati Hecks erratische und suggestive Werke erzählen die Geschichten aus dem Freundkreis der Künstlerin in Antwerpen mit Biss und Humor und genuin malerischem Blick – mal hyperrealistisch, dann wieder wie stenografiert. Des Weiteren sehen wir die unorthodoxen Bilder von Laura Link mit ihren wilden, öligen Farbschlieren wie in Badass Nails, das Verdrängtes der Gesellschaft behandelt und schließlich Stefanie Heinzes phantastisch anmutende Bildwelten auf monochromem Grund, die scheinbar vollkommen wild und freigelassen Begegnungen zwischen organoiden Formen etwa einer Mirabelle, einer Niere oder einem Hoden in grelle farbliche Effekte übersetzt.

Wenn man sich die Ausstellung ansieht, ist eine gewisse Überladenheit zu spüren.
Alles scheint sich im Stadium ständiger künstlerischer Überschreitungen zu bewegen. Es zeigt sich, wie kraftvoll und barock die Malerei heute ist.















»Alles scheint sich im Stadium ständiger künstlerischer Überschreitungen zu bewegen.«
Laura Link: Badass Nails, 2018, 300 x 400 cm, Öl und Lack auf Leinwand © Laura Link












»Junge Künstler*innen scheint es nach wie vor zu faszinieren, eine simple Fläche vor sich an der Wand zu haben.«

Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, gerade vier weibliche Positionen zu zeigen?
QUADRO versteht sich auch als humorvolle Antwort auf die Ausstellung DIE JUNGEN JAHRE DER ALTEN MEISTER mit Frühwerken der vier alten und männlichen Künstlerheroen Georg Baselitz, Gerhard Richter, Sigmar Polke und Anselm Kiefer, die wir im letzten Herbst gezeigt haben. Hier gab es durchaus auch Kritik an der rein männlichen Auswahl der Künstler. QUADRO macht klar, dass es eben heute nicht mehr so ist wie noch zu Zeiten der Nachkriegsmoderne und in den 1960er Jahren. Die Malerei ist längst keine überwiegend männlich besetzte Domäne mehr. Das spiegelt sich übrigens auch in der Künstler*innenauswahl der JETZT!-Ausstellung, die sich zur Hälfte aus Künstlerinnen zusammensetzt, wider.

Worin unterscheiden sich diese Arbeiten von den künstlerischen Positionen der JETZT!-Ausstellung? Was verbindet sie neben der Aktualität mit den Arbeiten der JETZT!-Künstler*innen?
»Wider das Dekorative«, so könnte der radikale Bildanspruch für beide Ausstellungen lauten. Die Positionen bei JETZT! sind häufig figurativ, seriell und konzeptuell. Hier wird auch das Digitale einbezogen. Bei QUADRO liegt der Fokus eindeutig auf einer figurativen, neo-surrealistischen und experimentellen Formsprache. Meiner Meinung nach verbindet beide Ausstellungen die hohe Bildqualität. Es sind faszinierend anzusehende Ausstellungen, deren Eindruck nicht schnell verpufft. Sie laden – auch in der Kombination – dazu ein, über Malerei nochmal ganz neu nachzudenken.

Der Co-Kurator der JETZT!-Ausstellung Christoph Schreier hält die Malerei als analoges Medium für »sehr lebendig und aktuell«. Wie ist Ihre persönliche Sicht auf die heutige Malerei?
Junge Künstler*innen scheint es nach wie vor zu faszinieren, eine simple Fläche vor sich an der Wand zu haben, die dann beim Betrachter etwas auslöst, sie oder ihn berührt. Da existiert offensichtlich eine Sehnsucht, die sich auch darin ausdrückt, Digitales in etwas Haptisches zu überführen. Kurzum: Das gemalte Bild – inklusive seiner ganzen Zufälligkeiten, ironischen Untertönen, Anspielungen auf die Kunstgeschichte – bleibt offensichtlich ein reizvoller geistig-sinnlicher Kristallisationspunkt für Künstler*innen, egal ob sie abstrakt oder figurativ, gestisch oder konkret arbeiten. Das Urwüchsige, Unbezähmbare, auch emotional Intensive und Fragile, aber auch das Majestätische der Malerei fesselt mich persönlich stets aufs Neue.

Da nun der Versuch eines gültigen Querschnitts durch die aktuelle, in Deutschland entstandene Malerei mit der JETZT!-Ausstellung unternommen wurde: Gibt es im Vergleich zu anderen Ländern einen »neuen deutschen Stil«?
Heute bewegt sich die Kunst in viele Richtungen, es gibt keine Entwicklung im Singular mehr. Alles ist denkbar. Vor einigen Jahrhunderten konnte man etwa am Licht in den Bildern verfolgen, welcher Maler in welchem Land malte: Constable in England, Goya in Spanien oder Tintoretto in Venedig. Klassische Entwicklungen in der Kunst bestanden aus Bewegung und Gegenbewegung: Rokoko gegen Barock, Kubismus versus Naturalismus. Schon hier ging es um mehr als um den Wettstreit nationaler Stile. Durch die digitalen Medien ist alle Kunst globalisiert.

Wenn ich die Kurator*innen richtig verstehe, geht es in der JETZT!-Ausstellung weniger um einen neuen »deutschen Stil«, sondern um die lebendige und reiche Produktivität in deutschen Ateliers.
Dazu gehören Künstler*innen die wie Toulu Hassani aus dem Iran stammen, wie Jagoda Bednarsky oder Aneta Kajzer aus Polen, Sumi Kim aus Südkorea, Monika Michalko aus der Tschechischen Republik, Anna Nero und Kristina Schuldt aus Russland oder Israel Aten aus den USA. Vor diesem Hintergrund ist es schon wieder interessant, wenn Künstler*innen wie Mona Ardeleanu, Ina Gerken oder Peppi Bottrop aus Lörrach, Speyer oder Bottrop kommen.

Nicht unbedingt Kunstzentren...

Vielleicht, aber was die Künstler*innen verbindet ist die Tatsache, dass sie in Deutschland arbeiten und sich mit einer Generation auseinandersetzen, die wie etwa Katharina Grosse, Peter Doig, Daniel Richter, Jutta Koether, Thomas Scheibitz oder Neo Rauch in Deutschland wirken. Die JETZT!-Künstler*innen sehen viel Malerei in deutschen Museen, das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass sie zusammen einen deutschen Stil entwickelt hätten.

Dominik Nürenberg ist Volontär im Bereich Kommunikation der Deichtorhallen Hamburg.

Die Ausstellung QUADRO. KERSTIN BRÄTSCH – KATI HECK – STEFANIE HEINZE – LAURA LINK ist noch bis zum 6. September 2020 in den Deichtorhallen Hamburg zu sehen.


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