»Nur laut geht auch nicht«
28. Februar 2019
Foto: Henning Rogge/Deichtorhallen Hamburg
28. Februar 2019
Max Dax stellt die Fragen. Normalerweise. Hunderte Interviews hat er geführt. Heute ist er der Befragte. Einen Experten vor sich zu haben, erweist sich als Gewinn. Denn der Kurator der HYPER!-Ausstellung antwortet konzentriert und präzise, obwohl ihm die Nachwirkungen einer Grippe ein bisschen zu schaffen machen.
Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog, in dem auch sehr viele Interviews mit fast allen beteiligten Künstler nachzulesen sind, die Sie im Rahmen der Ausstellungs-Vorbereitungen geführt haben.
Diese Gespräche sind das Narrativ, das die Ausstellung in Form von Gedankensträngen zusammenhält. Wer auch nur ansatzweise den Versuch unternehmen würde, eine vollumfassende Ausstellung über die Wechselbeziehung zwischen Musik und Kunst zu machen, muss scheitern. Es muss also einen Filter geben, und der Filter ist meine persönliche Geschichte der Auseinandersetzung mit Künstlern und Musikern. Der Katalog ist eine Art Quellcode der Ausstellung. Man muss nicht zwangsläufig alles lesen, um zu begreifen, wie alles miteinander zusammenhängt. Aber so viel kann ich verraten: Nicht eine einzige Position in dieser Ausstellung ist zufällig oder willkürlich, und das spürt man auch. Es gibt zudem mehrere Erzählstränge, die sich dem aufmerksamen Besucher aber mühelos erschließen.
Was für Narrative sind das?
Im Schnelldurchlauf: In der Kunstwelt wird das Original verehrt, in der Musikwelt das Massenprodukt nicht in Frage gestellt. In der Musik gibt es ein hochprofessionell organisiertes Starsystem mit Heldenvergötterungen und Justin-Bieber-Bettwäsche, im Gegensatz dazu kann sich selbst der berühmteste Künstler unerkannt in ein Café setzen. Viele Künstler befassen sich mit diesen Gegensätzen und ziehen daraus die Inspiration für großartige Arbeiten.
Das waren aber erst zwei Erzählstränge.
Wechselwirkungen und Transfers, Übersetzungs- und Übertragungsleistungen sind weitere Geschichten, die die Ausstellung erzählt. Viele experimentelle Musiker malen Partituren, die sie mühelos als Musik aufführen können, während die Betrachter in der Partitur zunächst nur ein Bild sehen. Umgekehrt sind in der Ausstellung auch viele Arbeiten zu sehen, in denen Maler davon fasziniert sind, wie beispielsweise auf Benutzeroberflächen von Computerprogrammen Musik und Klang visualisiert werden. Eine weitere Erzählung ist die Synästhesie: Es gibt Künstler, die sehen Farben, wenn sie Musik hören, oder sie verspüren ganz konkrete Stimmungen. Die Frage lautet für sie dann: Wie kann ich ein so konkretes Gefühl in ein ebenso konkretes Bild übersetzen.
Gibt es einen Parcours, den Sie empfehlen?
Die
Ausstellung ist so angelegt, dass man in ihr viele Wege zurücklegen kann – und man kann sich auch in einigen wenigen Räumen für Stunden
verlieren, zum Beispiel im Kabinett von Christoph Schlingensief und
Alexander Kluge. Dieser Raum ist übrigens so stark mit Energie
aufgeladen, dass ich mir gut vorstellen kann, dass das Kabinett einzelne Besucher verändert, sie es vielleicht sogar markiert wieder verlassen. Man kann in dieser Ausstellung also viel entdecken, weil sie
aus der Perspektive eines Quereinsteigers konzipiert wurde. Das war
natürlich in dieser Radikalität nur möglich, weil der Intendant der
Deichtorhallen, Dirk Luckow, das Vertrauen hatte, auf einen solchen
Außenseiterblick zu setzen.
»Es geht immer darum, wie wir im Leben, im Staat, in der Gesellschaft, im System unsere Möglichkeiten nutzen, unsere Form von Kunst zu machen«
Sie sagen, Sie sind Quereinsteiger – aus der Musik?
Ich würde sagen, ich komme von der Sprache. An Fußball, Kunst, Musik und Film haben mich immer die Beweggründe und Methoden dahinter interessiert. Wie wurde dieser Film, dieses Foto gemacht? Wie ist dieses Tor entstanden? Wieso klingt diese Schallplatte anders als andere, warum spricht eine Stimme zu mir? Um das herauszufinden, habe ich mich nie auf mich selbst verlassen. Ich habe mir selber als Autor immer misstraut. Ich habe immer gesagt: Eigentlich habe ich nur Fragen. Ich habe immer das Gespräch gesucht. Das Interesse ist immer das Gleiche. Es geht immer um Erkenntnisgewinn. Es geht immer darum, wie wir im Leben, im Staat, in der Gesellschaft, im System unsere Möglichkeiten nutzen, unsere Form von Kunst zu machen.
Mich interessieren die Gefühle bildender Künstler, die sich zum Medium Musik hingezogen
fühlen. Ein prominentes Beispiel ist Wassily Kandinsky. In seinem Briefen an Arnold Schönberg bekennt er, als Maler neidisch auf die Unmittelbarkeit der Musik zu sein.
Über dieses Thema habe ich mit Thomas Scheibitz ein langes Interview geführt. Er spricht darüber, dass er lange fasziniert davon war, dass man bei der Musik den Lautsprecherknopf einfach nach rechts drehen kann, bei der Malerei kann er das nicht. Dann habe ich Thomas Scheibitz eingeladen, seinen Helden zu treffen, jenen Musiker, den er von allen am meisten schätzt, das ist Buzz Osborne von der Band Melvins. Und er stellt ihm genau diese Frage mit dem Lautstärkeregler. Da sagt Osborne völlig richtig: Ja, aber nur laut geht auch nicht.
Weil sich in der Lautstärke alles egalisiert.
Eigentlich entsteht Lautstärke erst, weil vorher Stille war. Also durch
Dynamik. Mit dem Begriff Dynamik konnte Thomas Scheibitz dann wieder
etwas anfangen. Damit war für ihn die Problematik, dass die anderen über
ein Instrumentarium verfügen, über das der Maler angeblich nicht
verfügt, plötzlich erledigt. Es war für ihn so eine Art Epiphanie, mit
Osborne gesprochen zu haben. Thomas Scheibitz und ich haben in diesem
Interview, das eines der Schlüsselinterviews in dem Katalog ist, genau
über diese Unmittelbarkeit gesprochen. Meine erste Frage lautet da: Die
Musik ist unmittelbar, die Malerei ist es vielleicht nicht. Dann zitiert
er einen Briefwechsel zwischen Vincent van Gogh und seinem Bruder Theo,
wo sie sich darüber unterhalten, wie lange es braucht, damit sich einem
ein Bild einprägt. Scheibitz sagt: Wenn man nicht Besitzer von Bildern
ist, dann verbringt man in der Regel sehr wenig Zeit vor einem Bild.
Doch auch, wenn es nur eine Minute ist, die man davor verweilt — wenn
das Bild die Stärke, die gleiche Energie, die gleiche Wellenlänge hat,
wenn es zu einem spricht, dann speichern wir es im Kopf für immer ab.
Bei der Musik ist es vielleicht noch extremer ...
Genau. Man hört im Taxi eine Melodie, und sie geht einem nicht mehr aus
dem Kopf. Genau das ist einer der Erzählstränge der Ausstellung.
Unmittelbarkeit versus Nicht-Unmittelbarkeit.
Der Maler Albert Oehlen sagt: »Ich möchte Kunst machen,
die von jedem Betrachter ohne Vorwissen verstanden wird. Es ist aber
eine Illusion, dass man ein Kunstwerk lesen kann, ohne an die Bilder zu
denken, die man zuvor in seinem Leben gesehen hat.«
Das Gleiche könnte
man aber auch über die Pop-Musik sagen, die in Deutschland vor allem als
Unterhaltung wahrgenommen wird. Ein Wagnerianer würde daher sofort
widersprechen. Der würde sagen: Ich höre bereits das Leitmotiv von
Wotan, obwohl er noch gar nicht auf der Bühne zu sehen ist, aber ich
höre ihn schon herannahen. Obwohl das vielleicht nur im Bass angedeutet
wird. Ich würde also sagen, da gibt es keinen genuinen Unterschied. Es
ist eher so, dass die Auseinandersetzung in der bildenden Kunst viel
intensiver, regelmäßiger und selbstverständlicher geführt wird. Während
sie in der Musik Fachzeitschriften wie The Wire oder Spex
vorbehalten bleibt, Zeitungen, denen dann vorgeworfen wurde: Wo bleibt
denn da der Spaß beim Lesen, das ist ja jetzt alles nur Theorie.
Das ist ja das
Dilemma, dass man beim Bilderbetrachten immer komplexe
Decodierungsprozesse in Gang setzt.
Aber
Albert meint nicht nur den Betrachter, er bezieht sich da auch auf den
Maler als denjenigen, der selber in der Tradition steht, mit Pinsel, Öl,
Leinwand und Keilrahmen, den gleichen Materialien wie sie El Greco,
Goya, Warhol und Picasso vor ihm nutzten. In der Musik kam die CD erst
in den Neunzigerjahren auf, vorher gab es Vinyl und davor kaum Tonträger. Die Musik hat eine andere Mediengeschichte. Das hat Albert
mir gegenüber mal als Dilemma, oder eigentlich als Herausforderung
bezeichnet, denn es ist Ansporn und Fluch zugleich, in so einer
Ahnenreihe zu stehen – drunter will man's ja auch nicht machen, ist ja
klar. Wie schafft man es, aus Ölfarbe, Keilrahmen und Leinwand etwas
Neues, Gegenwärtiges, Relevantes rauszuholen?
In Oehlens Gemälden tauchen ja nicht zufällig Textzeilen der Band Scooter auf.
Es hat mich überrascht, dass er von allen Bands dieser Welt eine gewählt
hat, über die sich damals noch viele lustig gemacht haben. Dass hat
Albert nicht gemacht, sondern in ihnen eine Qualität erkannt. Das fand
ich bemerkenswert. Und deswegen haben wir diesen Dialog später
weitergeführt. Es gab noch ein Interview in der Welt am Sonntag, ein weiteres in der Electronic Beats.
Jetzt gibt es ein Reprint dieses Interviews im Katalog zur Ausstellung.
(Mehr zum Gespräch zwischen Albert Oehlen und H.P. Baxxter in den Hyper Diaries #5, Anm. d. Redaktion)
»Jeder Künstler, der in Unikaten oder kleinen Auflagen denkt, ist auf eine Art davon fasziniert ist, dass das Unikat in der Musikwelt eigentlich völlig irrelevant ist«
Zurück zur Frage, was bildende Künstler*innen antreibt, wenn sie
sich der Musik zuwenden: Ist es nur kühles, konzeptuelles Interesse an
Strukturen, oder vielleicht eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Medium,
ein unbefriedigtes Verlangen?
In meinen Gesprächen spürte
ich dieses Gefühl der Unbefriedigtheit nie. Das kann man also, glaube
ich, ausschließen. Es ist eher so, dass natürlich jeder Künstler, Maler,
Zeichner, Bildhauer, der in der bildenden Kunst in Unikaten oder
kleinen Auflagen denkt, auf eine Art davon fasziniert ist, dass das
Unikat in der Musikwelt eigentlich völlig irrelevant ist. Dort gibt es
das Unikat als Master Tape, das im Tresor der Plattenfirma verschwindet,
so wie es in der Kunstwelt das Massenprodukt nur als Ausnahme gibt. Künstler produzieren ein Einzelstück nach dem anderen, sind im Idealfall von jedem einzelnen begeistert wie von ihrem eigenen Kind. Diese Einzelstücke werden dann aber höchstbietend verkauft und landen in irgendwelchen Klimakisten in Singapur auf dem Flughafen in irgendwelchen Hangars, wo sie als Spekulationsobjekt gelagert werden. Dann sind sie weg.
Hat es Musik da leichter?
Die Musik hat natürlich – komischerweise durch den Wechsel auf ein Massenmedium – eine gefühlte Unmittelbarkeit. Wenn man aber vergleicht, wie ein Stück im Studio geklungen hat und wie es auf der Platte klingt oder beim Live-Auftritt, stellt man sehr schnell fest, dass das natürlich überhaupt nicht unmittelbar ist, sondern dass das, ähnlich wie ein Polaroid, eine doch recht flache Abbildung dessen ist, was an Originalinformation da ist.
Massenmedium/Unikat ist
einer der Erzählstränge in der Ausstellung, ein weiterer ist die
Faszination, die vom Pop-Star-System der Musikwelt ausgeht.
Diese
Faszination spürt man in der Ausstellung deutlich. Künstler wie Henning
Strassburger, Scott King oder auch Peter Saville setzen sich mit dem
Massenmedium ganz explizit auseinander. Peter Saville hat ein Billboard
gestaltet, das eine Woche lang an einer Mauer in Manchester hing. Das
hat damals wahrscheinlich irrsinnig viel gekostet und vermutlich nicht
ein einziges Album verkauft. Man könnte von einem dysfunktionalen
Werbeplakat sprechen. Und weil es dysfunktional ist und nur existiert,
weil Peter Saville einmal in seinem Leben ein so riesiges Plakat machen
wollte, hat er im Nachhinein festgestellt: Eigentlich habe ich mir
Freiheiten genommen, wie sie sich sonst nur ein Künstler nimmt.
Eigentlich habe ich wie ein Künstler gearbeitet, aber ohne das
Selbstverständnis eines Künstlers. Diese Arbeit stellt er zum ersten Mal
aus. Da treffen zwei Erzählstränge aufeinander.
Welche Musiker hatten ganz besonderen Einfluss auf Künstler?
Immer
wieder genannt werden Joy Division, die nach dem Selbstmord von Sänger
Ian Curtis zu New Order wurden. Scott King, früher Art Director vom i-D Magazine
in England, fasziniert, welche extremen Blüten die Fankultur treiben
kann. Er hat die komplette Fassade von dem Haus abgepaust, in dem Ian
Curtis gelebt und wo er sich umgebracht hat. Um diese riesige Frottage
hängen zu können, mussten wir sogar in der Deichtorhalle eine Wand
vergrößern. Niemand würde auf die Idee kommen, die Häuserfassade von
Damien Hirst abzupausen.
Dann geht es bei Hyper!
auch immer wieder um die Einbettung von Kunst und Musik in gesellschaftliche Zusammenhänge ...
... und
um die Einbettung in Lebensläufe. Das der Ausstellung zugrundeliegende
rhizomatische Netz sind Gespräche. Darin erzählen die Künstler aus ihrem
Leben und Arbeitsleben, sie beschreiben ihr Verhältnis zur Musik und
ganz konkret, wie sie zu den Arbeiten gekommen sind, die ich angefragt
habe. Oder wir entwickeln im Gespräch Ideen, welche Arbeiten sie machen
könnten. Die Arbeit von Radenko Milac haben wir zum Beispiel im Dialog
entwickelt.
Wie viele der Arbeiten sind extra für die Ausstellung entstanden?
Ich
würde sagen ein Drittel. Alexander Kluge hat einen Film geschnitten für
die Ausstellung, Bettina Scholz hat drei große Bilder gemalt, Albert
Oehlen hat eine begehbare Kapelle gebaut ...
Viele Künstler hören bei der Arbeit Musik und lassen sich bewusst davon
beeinflussen. Man könnte viele solcher Künstler in die Schau
integrieren.
Das war gar nicht so ein Kriterium für mich,
ob die Leute Musik hören beim arbeiten. Trotzdem habe ich mir diese Frage immer
wieder gestellt. Zum Beispiel Thomas Ruff, weil mir in seinem Studio
aufgefallen war, dass da eine Funktion-One-Anlage steht. Im Berghain
steht auch so eine. Die haben den großen Vorteil, dass man sich immer
noch unterhalten kann, wenn man sie laut dreht. Das ist wirklich ein
anderes Hören. Und ich fragte ihn, ob er bei der Arbeit Musik hört. Er
sagte, das lenke ihn ab. Er höre nur noch Musik, wenn er nicht arbeite.
Das Gleiche hat mir Thomas Scheibitz erzählt. Eigentlich müsste man die
bewusste Stille noch hinzunehmen, zum Spektrum der Musik. Dann sind wir
aber vollends im Ozean ohne Ufer. Wir haben aber natürlich auch in der
Ausstellung Arbeiten, dies sich explizit mit der Stille
auseinandersetzen.
Der Autor und Journalist Max Dax vertritt genau wie der Soziologe Klaus Theweleit die Position, dass jedes Gespräch das Potential hat, weit mehr zu sein als die Summe seiner Bestandteile. In seiner bisherigen Laufbahn war Max Dax Herausgeber bzw. Chefredakteur von Magazinen wie Alert Interviews, Spex oder dem Electronic Beats Magazine by Telekom. Als Autor schrieb er Bücher über Nick Cave, Einstürzende Neubauten, CAN und Scooter. In Berlin kuratiert er das Programm der Santa Lucia Galerie der Gespräche.
Die Ausstellung HYPER! A JOURNEY INTO ART AND MUSIC ist bis zum 4. August 2019 in der Halle für aktuelle Kunst zu sehen.