Plattencover für die Glaubensgemeinschaft
5. April 2019
Foto: Thies Rätzke
5. April 2019
Das Album Unknown Pleasures der britischen Postpunk-Band Joy Division aus dem Jahr 1979 ist ein Werk, das man nicht gehört haben muss, um es zu kennen. Zumindest das ikonische Cover kennt fast jeder (Pop)Musikinteressierte. Und die Platte selbst muss man natürlich doch gehört haben. Gestaltet hat die Albumhülle der 1955 geborene britische Designer Peter Saville. Das neben Unknown Pleasures bekannteste Cover von Saville ist jenes der New Order-EP Blue Monday, von jener Band also, die sich nach dem Suizid von Sänger Ian Curtis im Jahr 1980 aus Joy Divison neu formiert hatte.
Saville, der hier nicht nur die düsteren Schwingungen von Joy Division visualisierte, sondern die Radiowellen des ersten entdeckten Pulsars im Weltraum, schuf eine Ikone grafischer Gestaltung. Es ist nicht das einzige weltbekannte Cover, das er entwickelt hat, aber jenes, dass mehr noch als alle anderen für eine bestimmte musikalische Epoche steht.
Savilles Werk ist eng verbunden mit dem von ihm mit gegründeten Label Factory Records aus Manchester. Die 1978 von Tony Wilson, Alan Erasmus und Peter Saville gegründete Plattenfirma, die bis 1992 existierte, prägte mit Bands wie Joy Division, Cabaret Voltaire, New Order, A Certain Ratio, James, Northside, The Durutti Column, Electronic, OMD oder The Human League die Jahre nach dem Ende der Punk-Ära. In einer Stadt, die wie kaum eine andere mit der Entwicklung der Industrialisierung verbunden ist – und unter dem Niedergang der Industrie bis heute zu leiden hat.
»Factory did not see itself in a contemporary art context though it was of course a significant moment in the legacy of Pop Art. The actual provenance of the name apparently lies in the irony of omnipresent 'Factory Closing’ signs across Manchester by the late 1970s – Tony Wilson’s friend and associate Alan Erasmus apparently thought it would be poignant to propose a ‘Factory Opening’!« –Peter Saville
»A state of anxiety over the socially destabilising spirit of punk resulted in the city’s new music venues being shut down by the civic authorities. As a champion of the new music scene Tony Wilson then took it upon himself to create a new club night in the spring of 1978 called ‘The Factory’ – which was to be the genesis of Factory Records. In retrospect I feel it was about a certain group of individuals in Manchester who chose to change their own ‘here’ and ‘now’ rather than leave for London.«
–Peter Saville
In einer Stadt, liebevoll »Madchester« genannt, die in popkultureller Hinsicht – noch
weit vor London – einen phantastischen Gegenentwurf wagte. Hier
formierte sich die Gegenkultur noch einmal neu. Vor allem eine
musikalische Gegenkultur, wie Simon Reynolds in seinem Buch Rip It Up
and Start Again: Postpunk 1978-1984 schreibt, welche der festen
Überzeugung war, dass Musik die Welt verändern konnte und auch sollte.
Die erste von Factory Records veröffentlichte LP war Unknown Pleasures von Joy Division.
Peter Savilles Einfluss auf das Label war in den Anfangsjahren groß.
Auch wenn er es als Mitinhaber bald wieder verließ – bevor sich die
Aktivitäten von Factory 1982 mit der Eröffnung der Fac 51 Haçienda,
einer ehemaligen viktorianischen Textilfabrik, als stilprägenden Club
der Achtziger noch erweiterten. Der Club trägt im Namen die Label-Nummer Fac 51 – war also die 51. »Veröffentlichung« von Factory.
Saville war es, der mit seinen Entwürfen das Erscheinungsbild von Factory entscheidend prägte. Factory war von Anfang an (das begann
mit der Namensgebung in Anlehnung an Warhols berühmte Factory) als
konzeptuelles Projekt angelegt. Saville bekannte später, Factory wäre »die letzte wahre Geschichte des Pop« gewesen – 2002 postum in Bilder
gegossen in Michael Winterbottoms nach einem Happy Mondays-Song
betitelten Film 24 Hour Party People. Eines der letzten großen,
überaus erfolgreichen Alben von Factory war Getting Away With It von
Electronic – der Supergroup von Bernard Sumner (New Order), Johnny Marr
(The Smiths) und den Pet Shop Boys. Wer Factory-Platten kaufte, so hat
es Saville einmal formuliert, der kaufte »Anteile einer
Glaubensgemeinschaft«.
Savilles Weg zu Factory begann mit einem Studium. 1974 bis 1978
studierte er Grafikdesign an der Polytechnischen Universität von
Manchester. Saville erinnert sich an die Vorbilder und Einflüsse dieser
Zeit. Mode, Musik und Kunst: Kraftwerk, Roxy Music, die Fotografien von
Helmut Newton oder Guy Bourdin, die Pop Art von Richard Hamilton,
Giorgio de Chirico, der russische Konstruktivismus, das Buch Pioneers
of Modern Typography von Herbert Spencer oder das Manifest Die neue
Typographie von Jan Tschichold: In dieser Gedankenwelt, auch im
Austausch mit dem Studienfreund Malcom Garrett, der bereits Cover für
die Band Buzzcocks gestaltete, entstanden die ersten Entwürfe. »Design,
Fotografie und Fashion bildeten für mich immer ein kohärentes Ganzes,
über die ganzen Jahrzehnte hinweg«, so Saville.
Es war die Grundidee Savilles, dass Grafikdesign ein Spiegel der Zeit
sein sollte. Was wenige Jahre später üblich wurde, den »Zeitgeist« in
das Design zu bringen, war in den späten 1970er-Jahren in England noch
nicht durchgesetzt. »Ich folgte immer meinem Zeitgeist«, so Saville.
Dennoch spielt er immer auch mit historischen Zitaten – kreiert ein
postmodernes Design mit einem hohen gestalterischen Eigenwert. Nach dem
Umzug nach London 1979 arbeitete Saville als Art Direktor bei Din Disc
und kreierte Cover für Roxy Music oder OMD. Später gründete er seine
eigenes Atelier Peter Saville Associates (PSA) und arbeitet unter
anderem für den japanischen Modedesigner Yohji Yamamoto oder auch
Alexander McQueen, Givenchy, Dior, Stella McCartney und Raf Simons.
Gerade in seinen frühen Arbeiten für Factory begegnen wir
Entwürfen, welche ihren Zeitbezug deutlich ausstellen. Schon das erste
Plakat für Factory zitiert das Autobahn-Plattencover von Kraftwerk –
eine persönliche Referenz an eine der Lieblingsbands von Saville.
»That quote about being the last true story in pop referred to Factory in general and Joy Division in particular. I was referring to the fact that authenticity was the equity of Factory. The ‘project’ was based on the energy of personal expression, it was an autonomous opportunity for the artists involved and born out of idealism rather than any commercial objective. Factory allowed us all the creative autonomy required to transport ideas, aesthetics and ultimately values that would advance our everyday experience.« –Peter Saville
»My work for Factory was informed by a desire for how I wanted the times to be. In the vacuum of post-punk uncertainty our independent collective was inexperienced but idealistic and in pursuit of progress. Progress meant doing things differently and we believed ‘better’, because we could. In the absence of any remit of profitability each individual was at liberty to pursue their own ideal of what could be, using their own medium to shape the times. Challenging the service nature of graphic design my work has always been personal – simultaneously for myself as well as others. I was designing for myself as both client and target audience.« –Peter Saville
Das Albumcover von Power, Corruption and Lies von New Order dagegen
nutzt ein Blumen-Gemälde von Henri Fantin-Latour aus dem Jahr 1890: »Ich verwandelte das
Alphabet in einen Code aus Farbstreifen. Als ich das erste Wort auf
diese Weise codierte, machte es wirklich Spaß, dieses durch Farben
codierte Wort zu betrachten.« Dieses subversive Spiel mit den Zeichen der Massenkultur wird auch in der von Max Dax kuratierten Ausstellung HYPER! A JOURNEY INTO ART AND MUSIC deutlich: Dort ist Saville mit einer riesigen Werbeplakatwand für das 1989 erschienene New Order-Album Technique vertreten.
Savilles bekanntes Blue Monday-EP-Cover in Form einer ausgestanzten
Papp-Floppy-Disc ist heute eine Design-Ikone. Saville verzichtet sowohl
auf den Namen der Band als auch auf den Album-Titel und zeigt
stattdessen einen Code aus Farbblöcken. Schon beim ersten Joy
Divison-Album verzichtete Saville darauf, den Namen der Band aufs Cover
zu bringen, wie er in einem Interview ausführte: »Die Platte wurde nicht
veröffentlicht, um mit den Rolling Stones zu konkurrieren. Jeder der
das Joy Division-Album wollte, würde es sowieso finden.«
»Ich war genug Grafikdesigner, um zu wissen, dass all das nichts mit
herkömmlichem Kommunikationsdesign zu tun hatte«, so kommentierte
Saville seine Arbeiten für Factory. »Das war schon sehr verschieden zu
anderen Plattencovern, die ich für andere Bands machte. Normalerweise
ist ein Plattencover ein Designproblem.« Vielleicht war genau das der
Unterschied: Saville gestaltete bei Factory für sich selbst –
zumindest war er selbst Teil derer, für die er gestaltete. Heute
arbeitet Peter Saville als Kreativdirektor seiner Geburtsstadt
Manchester.
Alle Zitate von Peter Saville sind einem Interview des Autors mit dem Künstler für HALLE4 entnommen.
Marc Peschke, 1970
geboren, Kunsthistoriker, Autor und Künstler, lebt in Wertheim am Main
und Hamburg. Seit 2008 zahlreiche eigene Ausstellungen im In- und
Ausland.
Die Ausstellung HYPER! A JOURNEY INTO ART AND MUSIC ist bis zum 4. August in der Halle für aktuelle Kunst zu sehen.