JERRY BERNDT, NEW YORK, 1983. FOTO: EUGENE RICHARDS. COURTESY THE JERRY BERNDT ESTATE 2020

Radikal aktiv

Weil sich der Fotograf Jerry Berndt für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung und gegen den Vietnamkrieg engagierte, wurde er vom FBI beobachtet. In seinem Werk ist das Gefühl der Bedrohung bis heute spürbar. VON KATA KRASZNAHORKAI

17. November 2020

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Es war eine filmreife Szene, die sich 1970 auf dem Campus der Harvard University abspielte. Das FBI war auf einen Besuch vorbeigekommen. Zwei Männer in schwarzen Anzügen und mit Pistolen im Schulterhalfter zückten ihre Dienstausweise und verlangten nach Jerry Berndt. Im Auftrag der Medical School der Universität hatte Berndt die sozialen und ökonomischen Strukturen des Bostoner Rotlichtbezirks fotografiert. Die daraus entstandene Serie Combat Zone sollte seine erste über Jahre erarbeitete kohärente fotografische Arbeit werden. Die Beamten interessierten sich jedoch vor allem für den Kuba-Aufenthalt des Fotografen im Jahr 1969.

»Ich schlug die Tür zu und dachte, oh Scheiße, das war's mit meinem Job«, erinnerte sich der 2013 verstorbene Fotograf später. »Ich hatte das seltsame Gefühl, dass ich noch viele dieser Jungs sehen würde.«

Berndts erster Kontakt mit dem amerikanischen Geheimdienst fand bezeichnenderweise in einer Dunkelkammer statt. Das FBI hatte ihn bei dem Versuch, Fotos aus Kuba in die USA zu schmuggeln beobachtet und die Filme konfisziert. »Ein Agent kam mit etwa 100 Filmrollen in einem Aktenkoffer an, der mit Handschellen an sein Handgelenk gefesselt war«, so Berndt. Als die ersten Rollen entwickelt waren, musste der Agent jedoch feststellen, dass sich der angebliche Verdacht, die Filme könnten pornographisches Material enthalten, nicht erhärten ließ. Berndt erhielt seine Filme zurück. Doch er war vorgewarnt.

Berndt, der bereits als Jugendlicher aufgrund der Teilnahme Demonstration für gleiche Bürgerrechte im Gefängnis saß, engagierte sich früh für die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung und organisierte Proteste gegen den Vietnam-Krieg. Ohne Vorkenntnisse gelingt es Berndt zu Beginn der 1960er-Jahre, an der Universität von Wisconsin in Madison eine Anstellung als Fotolaborant zu erhalten. Mit Unterstützung seiner Kommiliton*innen und den Lehrbüchern von Ansel Adams erwirbt er alle notwendigen Fähigkeiten in der Dunkelkammer sowie zum Fotografieren.

Jerry Berndt, ohne Titel. Aus der Serie Combat Zone. Courtesy The Jerry Berndt Estate 2020.

Seine Tätigkeit verknüpft er direkt mit seinem politischen Engagement. Er fotografierte für Untergrund-Zeitungen, schrieb Texte für Flugblätter, beriet Kriegsdienstverweigernde, hielt Reden und drehte aufrührerische Filme. Bei Demonstrationen wurde Berndt von der Polizei körperlich attackiert und verletzt. Doch das reichte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, um die Aufmerksamkeit des FBI zu wecken.

Im Jahr 1969 reiste Berndt schließlich mit den Venceremos-Brigaden, einer studentischen Organisation zur Unterstützung der revolutionären Bewegung, nach Kuba. Die linksliberalen Brigaden, die junge Amerikaner*innen rekrutierten, um in Kuba bei landwirtschaftlichen und infrastrukturellen Projekten zu helfen, waren der US-Regierung schon lange ein Dorn im Auge. Kurz zuvor hatte ein US-Senator die Mitglieder der Organisation als »menschliche Raketen« bezeichnet, die auf das Herz der amerikanischen Demokratie abzielen. In einem eigens dafür eingerichteten Überwachungsprogramm sollte die Gefährdung der nationalen Sicherheit durch Kuba-Reisen linksliberaler US-Amerikaner*innen bewiesen werden.

Als Berndt damit beginnt Aktivist*innen für die Venceremos-Brigaden anzuwerben, ist für die Sicherheitsbehörden eine rote Linie überschritten. Am 12. Januar 1970 beginnt laut FBI-Akten die offizielle Beobachtung des Fotografen durch den Geheimdienst.

In Aktenstapeln gemessen scheint die Überwachung Berndts keine allzu groß angelegte Operation gewesen zu sein. Nur zehn Seiten sind heute einsehbar und befinden sich im Besitz des Jerry Berndt Estate. Die Akten zeichnen ein eher nüchternes Bild der Überwachung: Enthalten sind Vermerke über Berndts Verhaftung, seine Kuba-Reisen und berufliche Situation sowie Adressüberprüfungen. Berndt wird als »Anarchist« geführt, eine »radikale Aktivität« wird ihm 1972, im letzten Jahr seiner Überwachung, zugeschrieben. Umfassende Informantenberichte, Analysen, Fotos oder Abhörprotokolle sucht man allerdings vergebens. Auch in den öffentlich zugänglichen Archiven der Geheimdienste findet sich kein Eintrag unter seinem Namen. Es ist allerdings möglich, dass Akten verloren gingen oder bestimmte Überwachungsmaßnahmen undokumentiert blieben.

Letztlich zeugen Jerry Berndts Aussagen vom immensen politischen Druck, dem sich die Bürgerrechts- und Anti-Kriegsbewegung ausgesetzt sah: »Die Repressionen wurden immer heftiger. Man hatte keinen Zugang zur Presse. Zwanzigtausend Student*innen protestierten gegen Vietnam, aber die Presse sprach von zweitausend.«

Glaubt man Berndts eigenen Aussagen, wurde er vom FBI massiver verfolgt und drangsaliert, als aus den Geheimdienstakten hervorgeht. Immer schwieriger wurde es für ihn, als Fotograf Arbeit zu finden. Auch Freunde wie der Aktivist und ehemalige Redakteur der Untergrund-Zeitung Old Mole Dick Cluster berichten, wie der Geheimdienst Freund*innen und potentielle Arbeitgeber unter Druck setzte. Einzig der Verleger der Detroit Area Weekly Newspaper, der die durch Antikommunismus und Verschwörungstheorien geprägten Anhörungen der McCarthy-Ära in den 1950er-Jahren miterlebt hatte, beschäftigte Berndt hin und wieder als Fotograf.

Zermürbt und desillusioniert vom Zerfall der Bürgerrechtsbewegung begann sich Berndt schließlich mehr und mehr zurückziehen. 1973 bezog er ein besetztes Haus in Boston, das er jedoch nur nachts verließ. Er begann zu trinken, pflegte kaum noch Kontakte zu ehemaligen Freund*innen und Wegbegleiter*innen. »Die Überwachung durch das FBI ist sicher nur ein Teil dieser fundamentalen Entwurzelung«, sagt Sabine Schnakenberg, Kuratorin der Ausstellung BEAUTIFUL AMERICA.»Mit dem Ende der Protestbewegung in den USA wird Berndt auf sich selbst zurückgeworfen und ist gezwungen, sich stärker auf sich selbst zu konzentrieren.«

Dieser Zustand der Isolation bringt schließlich Nite Works hervor, eine seiner berühmtesten Serien, die Nachtaufnahmen in den menschenleeren Großstädten Amerikas zeigen. Berndt wird diese Serie bis zu seinem Lebensende weiterführen. Die kulissenhaften Straßen, Hinterhöfe und Treppenhäuser auf den Bildern sind wie leergefegt. Dennoch ist eine unsichtbare Bedrohung, die Angst des Beobachters, eine fremde Person könnte plötzlich aus dem Schatten treten, spürbar.

In der kunsthistorischen Betrachtung von Jerry Berndts Werk hat die Beobachtung des Fotografen durch das FBI einen wichtigen Stellenwert eingenommen. Die Kunstkritik hat Berndts Aussagen für sich genutzt und weitererzählt. Der Gegensatz zwischen Berndts eigener Wahrnehmung und der Aktenlage bleibt aufgrund der fehlenden Quellen weiterhin bestehen. Geheimdienstliche und künstlerische Realität scheinen sich am Ende gegenseitig zu manipulieren und zu ergänzen.

Die Ausstellung JERRY BERNDT – BEAUTIFUL AMERICA ist noch bis zum 7. Februar 2021 im Haus der Photographie zu sehen.


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