© Maciej Dakowicz

Schnappschüsse im Graubereich

Die gute Nachricht vorweg: Die Straßenfotografie wird nicht abgeschafft. Fotografen dürften angesichts der neuen Datenschutzverordnung zum Recht am eigenen Bild aber trotzdem nicht ruhiger schlafen. VON JUSTUS DUHNKRACK

16. Oktober 2018

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Hat der junge Mann, der am 26. Mai 2016 in Cardiff nach Einbruch der Dunkelheit in violettem Nachthemd und rosa Cowboyhut über einen Zaun steigt und dabei Maciej Dakowicz vor die Linse lief, einen Anspruch, dass sein Bild aus dieser Ausstellung abgehängt wird? Der begeisterte Ausstellungsbesucher wird sagen: »Auf keinen Fall, es lebe die Kunst!«. Der Rechtsanwalt wird sich bedeckt halten und sagen, es sei »nicht auszuschließen«, es käme »darauf an« und meint damit die Einzelheiten der Entstehung des Bildes. Viele Rechtsfragen zur Straßenfotografie sind ungeklärt. Das schafft Rechtsunsicherheit. Fotografen könnten in vorauseilendem Gehorsam aufhören den Auslöser zu drücken. Soweit, so schlecht.

Es wäre aber naiv dem Aufschrei, der Gesetzgeber wolle die Straßenfotografie abschaffen oder die Gerichte hätten sich gegen die Fotografie als Kunstform verschworen, Glauben zu schenken. Das grundlegende Problem ist ein anderes: Die Freiheit der Kunst verbietet es diesen Bereich von A bis Z zu regeln. Wer würde einen »Katalog des Zulässigen« wollen, der die Spielweisen der Kunst diktiert? Der lange Weg von einem traditionalistischen Bild des handwerklichen Künstlers zur Kunstfreiheit war steinig genug.

Stattdessen finden allerhand Regelungen wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf die Kunst Anwendung. Diese Vorschriften sind nicht für die Kunst maßgeschneidert. Als abstrakte Regelungen dienen sie einer Vielzahl verschiedener Schutzzwecke, aber eben auch dem Recht der eigenen Darstellung und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Stichwort Datenschutz).

© Dougie Wallace
Kennt diese Frau ihre Rechte? Foto: Dougie Wallace, Untitled
aus der Serie The Age of Wealth, 2001–2017 © Dougie Wallace/INSTITUTE

In unserem Fall kommt darin das Interesse der Nachtschwärmer aus Cardiff zum Ausdruck, die unter Umständen wohlweislich den Schutz der Dunkelheit für eine »unvergessliche Nacht« suchten. Vielleicht missbilligt ihre konservative Familie das Tragen von Frauenkleidung. Vielleicht sitzt die Ehefrau/der Ehemann zu Hause und glaubt an einen unschuldigen Kinobesuch. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Darstellung der eigenen Person, die soziale Anerkennung sowie die persönliche Ehre. Das Interesse der Abgelichteten die Informationen, die die Dakowicz-Fotografien und ihre Titel bieten (Gesichter, Entgleisung, Konsum und Rausch mit Ort und Jahr), für sich zu behalten, ist insoweit durchaus nachvollziehbar. Sie sollen nicht aus der Anonymität gerissen werden.

Die DSGVO (europäische Datenschutzgrundverordnung) ist seit der umfassender Neuregelungen in aller Munde. Soweit wir über Datenschutz sprechen, handelt es sich um ein vergleichsweise junges Konzept. Ein im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregeltes Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hat das Verfassungsgericht erst vor knapp 35 Jahren mit seinem wegweisenden »Volkszählungs-Urteil« aus der Taufe gehoben.

Die Einführung der nicht unumstrittenen DSGVO kommt aus Sicht vieler Verbraucher und Netzpolitiker reichlich spät. Sie soll Transparenz und Kontrolle über die Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten herstellen. Warum? Ein Beispiel: Sie könnte das Partyvölkchen aus Cardiff vor ihrem Arbeitgeber schützen, wenn sie sich aufgrund nächtlicher Eskapaden am nächsten Arbeitstag krankgemeldet haben. Da der Gesetzgeber in dem Versuch eine abstrakte Regelung zu formulieren ganz andere Anwendungsfälle als künstlerische Arbeit vor Augen hatte, gibt es keine ausdrücklichen Regelungen für den »Anwendungsfall Kunst«. Teil der persönlichen Daten sind aber auch Bilder der eigenen Person, auf denen der Abgebildete erkennbar zu sehen ist.

Wenden wir uns der Perspektive des Künstlers zu: Straßenfotografie ist Kunst, die Arbeiten von Maciej Dakowicz sind Werke im Sinne des ihn schützenden Urhebergesetzes. Selbstverständlich ist das aber nicht. Der viel besprochene Fall einer Arbeit des Straßenfotografen Espen Eichhöfer,
dessen Werk bei C/O Berlin abgehängt werden musste, hat zumindest eine gute Sache an sich: Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss Anfang dieses Jahres festgestellt, dass Straßenfotografie Kunst sein kann.


Warum man daran zweifeln könnte? Letztlich ist der (formale) künstlerische Schaffensprozess auf das Drücken des Auslösers beschränkt, der versehentliche Schnappschuss mit der Handykamera würde also auch als Straßenfotografie den Schutz der Kunst beanspruchen können. Das Verfassungsgericht hat aber erkannt, dass ein Foto, das ein unverfälschtes Abbild der Realität darstellt, Kunst sein kann, wenn der Anspruch des Fotografen deutlich wird, diese Wirklichkeit künstlerisch zu gestalten. Es bezieht also den Kontext mit ein. Das trifft auch auf Maciej Dakowicz zu, der die Abgründe der Zivilgesellschaft in seiner nüchternen Betrachtung zum Ausdruck bringt. Auf versehentliche Handyschnappschüsse trifft das demgegenüber nicht zu.

Das mag wohl auch auf alle weiteren Arbeiten in der Ausstellung [SPACE] STREET. LIFE. PHOTOGRAPHY zutreffen. Man muss sich aber davon freimachen, dass Kunst zur Kunst wird, indem das Werk etwa von einer Kuratorin ausgewählt oder in einem Museum gezeigt wird. Dieser Umstand hat keine legitimierende Kraft ein Foto zur Kunst zu erheben. In der Anwendung auf eine Vielzahl von Straßenfotografien ist die Beantwortung dementsprechend nicht so deutlich.

Kommen wir zurück zu unseren Protagonisten in Cardiff. Es handelt sich um Kunst, das hätten wir geklärt. Die Frage, die sich anschließt ist, ob die abgebildeten Personen ihre Interessen geltend machen könnten, mit der Folge, dass das Museum das Foto entfernen müsste. Wir unterstellen, dass es keine irgendwie geartete vorherige Einwilligung für das Foto und seine konkrete Art der Veröffentlichung gibt. Denn mit Einwilligung des Betroffenen geht natürlich (fast) alles. Schon gar nicht wollen wir unterstellen, dass es eine schriftliche Einwilligung gibt, denn auch das dürfte der Straßenfotografie eher fremd sein.

»Man muss sich davon freimachen, dass Kunst zur Kunst wird, indem das Werk etwa von einer Kuratorin ausgewählt oder in einem Museum gezeigt wird. Dieser Umstand hat keine legitimierende Kraft ein Foto zur Kunst zu erheben.«
Handelt es sich um schutzbedürfte Personen? Harri Pälviranta, New Lodge boys #12, 2007–2009 © Harri Pälviranta



Erneut trennen wir DSGVO und das »Recht am eigenen Bild«. Letzteres zu erst: Eine Einwilligung für die Verbreitung von Bildnissen, die dem »höheren Interesse der Kunst« dienen ist gesetzlich nicht erforderlich. Jetzt kommt das Kleingedruckte: Es sei denn, es besteht ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten. Oha. Hier ist also das Einfallstor für Streitigkeiten: Wie intim oder privat wird der Dargestellte abgebildet? Handelt es sich um öffentlichen oder privaten Raum? Wurde das Foto heimlich gemacht? Sind die Personen besonders schutzbedürftig? Würden Sie gezeigt werden wollen im Zustand des völligen Kontrollverlustes? Diese Fragen müssen Sie nun für sich selbst beantworten.

Nun nochmals zur DSGVO, die ist auf jede Datenverarbeitung anwendbar. Dazu gehört neuerdings auch bereits die Herstellung des Fotos, nicht erst die Verbreitung. Ausnahmen bestehen, aber nicht ausdrücklich für die Kunst. Die DSGVO fände also auf den Sündenpfuhl in Cardiff Anwendung. Sie birgt noch ein weiteres besonderes Schmankerl: Die
Einwilligung ist jederzeit widerrufbar. Ein Bild müsste ab Zeitpunkt des Widerrufs der Einwilligung abgehängt werden. Aber die Rettung naht, denn auch hier gibt es eine Ausnahmeregelung, die des »berechtigten Interesses«. Was das ist lässt die DSGVO offen. Woran würden Sie sich als (deutsches) Gericht orientieren, wenn sie den Fall entscheiden
müssten? Genau, an den gleichen Maßstäben wie im Rahmen des Rechts am eigenen Bild. Das ist »bekannt und bewährt«.

Wird die Straßenfotografie abgeschafft? Nein – zum Glück! Besteht ein Graubereich? Ja. Den gab es aber auch vorher schon. Wird es rechtssicherer als Straßenfotograf zu arbeiten? Nein, das nun wirklich nicht. Aber vielleicht tröstet ein anderer Gedanke, der keine Lanze für die bestehende Rechtslage brechen soll: Häufig profitiert der Fotograf von der Unwissenheit des Abgebildeten (»Wo kein Kläger, da kein Richter«), vielleicht ist das der bilanzielle de-facto-Ausgleich für die Rechtsunsicherheit. Um die Rechtsentwicklung kümmern sich in der Zeit Rechtsprechung und Wissenschaft.

Justus Duhnkrack ist Rechtsanwalt in Hamburg. Am 8. November 2018 moderiert er im Rahmen des Klub der Künste ein Künstlergespräch mit Studio C.A.R.E. zu »kuratierten Katastrophen«.



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