Schreckliche Komik
25. Januar 2024
CINDY SHERMAN, OFFICE KILLER (STILL), 1997
25. Januar 2024
Schrille Kostümierungen, wirre Frisuren und absurde Maskierungen: Groteske Übertreibungen mit Grusel-Faktor bestimmen die Rollenspiele, mit denen Fotokünstlerin Cindy Sherman international bekannt wurde. Bis heute setzt sie sich als Protagonistin ihrer Selbstinszenierungen ein. Die Komik, die darin mitschwingt, ist immer hart an der Grenze zum Unheimlichen: eine Ambivalenz, die ihr gesamtes Werk bestimmt.
Mode, oder vielmehr deren Aushebelung, zieht sich als ein Hauptthema durch Shermans fotografische Serien hindurch. Das macht ihre gegenwärtige, von Allesandra Nappo kuratierte Ausstellung ANTI-FASHION in der Sammlung Falckenberg vielfältig greifbar. Gleichermaßen zentral, auch das führt die Schau vor Augen, ist Shermans Bezug zu Bildern aus Film und Fernsehen: Sie sind eine dauerhafte Inspirationsquelle im schillernden Schaffen der 1954 in Glen Ridge, New Jersey, geborenen Künstlerin, die in New York City lebt und arbeitet.
Dies zeigt sich schon in ihrer berühmten frühen Gruppe der Untitled Film Stills,
die Sherman den Durchbruch brachte. Entstanden zwischen 1977 und 1980,
wirft die Schwarzweiß-Serie ein kritisches Licht auf Frauenfiguren, wie
sie durch die Film- und Medienindustrie in der westlichen Pop-Kultur
massenwirksam propagiert wurden. In den Film Stills, die lose
an Film-Noir-Thriller von Alfred Hitchcock, Michelangelo Antonioni,
Samuel Fuller und anderen Vertretern des Genres sowie B-Movies der
1950er- bis 1970er-Jahre angelehnt sind, spielt die Künstlerin weibliche
Stereotypien durch: vom schüchternen Mädchen aus der Provinz und
putzender Hausfrau über bibliophiler Studentin, Society Lady und
selbstbewusster Unternehmerin bis hin zum Vamp und Glamour-Girl. Mal
gibt sie die Nachdenkliche, mal die Deprimierte, mal die Verführerische,
mal die Überschäumende, ein Wechselbad der Gefühlslagen, allesamt
Readymades.
Aus den vorgefertigten Frauenmustern der Film- und Werbewelten recycelt
werden sie von Sherman als Standbilder einer alltäglich stattfindenden
Reality Show zur genaueren Betrachtung fixiert. Neben Künstler*innen der
Appropriation Art wie Sherrie Levine, Louise Lawler, Richard Prince und Robert Longo wird sie auch der New Yorker Pictures Generation
der 1970er- und 1980er-Jahren zugeordnet, die auf unterschiedliche
Weise aus den in Umlauf befindlichen Images der Medien schöpfte.
Zurückblickend auf die Film Stills und ihre
Auseinandersetzung mit Klischees stilisierter Weiblichkeit stellte
Sherman 1995 anlässlich ihrer ersten Übersichtsschau in den Hamburger
Deichtorhallen fest: „Damals ging es um das Hinterfragen von
Verhaltensregeln und darum, weshalb wir ein bestimmtes äußeres
Erscheinungsbild wählen. Wir werden ja nicht damit geboren, sondern es
ist Teil nachträglich angeeigneter Handlungsstrukturen. Es war für mich
eine Art Kampf gegen den Einsatz künstlicher Mittel zur Steigerung der
Attraktivität.“
In der Folge werden Makeup und Mode für Sherman zu künstlerischen Waffen
einer Subversion normierter femininer Schönheitsstandards, wie sie
nicht zuletzt über das Produkt-Placement der Werbung verbreitet werden.
Die gängigen Beauty-Vorgaben persifliert sie in anschließenden Serien
auf immer wieder andere Weise. In den 1980er-Jahren parodieren ihre Centerfolds
die in einschlägigen Magazinen präsentierten Aktaufnahmen von Frauen
als Sex-Objekte im Pin-up-Stil. Ihre Gegenaufnahmen rücken vollständig
bekleidete, auf dem Sofa oder Boden liegende, meist ablehnend oder
lustlos blickende Frauenfiguren in den Fokus.
Parallel treibt sie in ihrer ersten Fashion Series ebenso wie
in späteren, im Auftrag von bekannten Modemarken wie Comme des Garçons
entstandenen Serien das Ideal der werbewirksam „verpackten“ Frau durch
mehrspurige Überzeichnung auf die Spitze. In den History Portraits
greift sie dann auf den Fundus kunsthistorischer Vorbilder aus
Renaissance und Barockzeit zurück, um die Protagonistinnen berühmter
Gemälde in ihren fotografischen Reprisen neu zu deuten.
In Serien wie den Disasters oder Sex Pictures
ersetzt Sherman zwischenzeitlich die menschliche Gestalt im
Selbstportrait durch Requisiten und Reliquien des Desaströsen: Müll,
Erbrochenes, Kleidungsstücke und andere Restbestände, die potenziell an
Schauplätzen der Gewalt, des Verbrechens oder des Unglücks
zurückbleiben. Die Sex Pictures sind von monströsen
Prothesenwesen aus Plastikteilen in verdrehter pornografischer
Verkeilung bevölkert. In Shermans Werk taucht die Puppe in verschiedenen
Inkarnationen auf. Den Anfang macht ihr 16-mm-Film Doll Clothes (1975) aus der Studienzeit, in dem die Künstlerin in Gestalt einer
kleinen Papierpuppe auftritt und mit wechselnden Kleidungsstücken
ausgestattet wird.
Die gänzliche Auflösung der Figur in verflüssigten Bildern ineinander
verlaufender Augen, Nasen und Münder von Mitte der 1990er-Jahre mündet
in ihrem ersten und bisher letzten eigenen Kinofilm, Office Killer (1997),
um eine zur Mordmaschine mutierenden, ursprünglich scheuen
Magazin-Redakteurin, die mit wachsendem Elan nach und nach ihre
Büro-Kolleg*innen massakriert. In ihrer krassen Splatter-Komödie wirkt
die Künstlerin zwar selbst nicht mit, doch fügt sich diese nahtlos in
ihr werkumspannendes Faible für das Groteske an der Marge zwischen Komik
und Grauen.
Letzteres durchwirkt auch ihre furchterregende Serie der sinisteren Clowns, die von 2003 bis 2004 ihr Unwesen in ihren Selbstinszenierungen treiben und bei deren Kreation sie erstmals intensiv auf digitale Gestaltungsmittel zurückgreift. Der böse Clown gehört ebenso zum Inventar der Horror-Movie-Gattung wie andere Personifikationen des Bizarren, die durch Shermans Schaffen geistern. Die Bildserien der Künstlerin spannen über die Dekaden einen Bogen über die jeweils medial vermittelten Stereotypen des Weiblichen, die mittlerweile auch Repräsentationen normierter Männlichkeit umfassen. Aktuell rangieren sie von Rollenwechsel-Spielen in zunehmend abstrusen Verkleidungen bis hin zu manipulierten Selfies, die an die verlaufenden Schreckensvisagen ihrer vordigitalen Manipulated Images erinnern und schaurig-kuriose (Alb-)Traumvisionen evozieren.
Die mehrdeutige Ästhetik des Grauens, die ihrer Faszination mit den Bewegtbildern des Films entspringt und bis heute in ihren Verwandlungen aufblitzt, birgt stets die befreiende Kraft des Absurden. „Ich sehe auch eine Menge Humor in meinen Arbeiten“, so Sherman. „Wenn ich in einen Horror-Film gehe, lache ich darüber – je abstoßender und schrecklicher er ist, desto deutlicher wird einem, glaube ich, wie künstlich er ist. Aber es ist ein nervöses Lachen, da das Schreckliche, das man sieht, auch etwas Beängstigendes hat. Man versucht es, durch ein Lachen abzuschütteln.“
Genau diese Komik der grotesken Überspitzung und Brechung, die
suggestiv und letztlich auch kurativ im Bewusstsein der Betrachter*innen
getriggert wird, ist charakteristisch für Shermans Werk. Im raschen
Wechsel ihrer Selbstbildnisse, in denen sie in immer wieder anderen
Personifikationen und Reflexionen medial vermittelter Realität auftritt,
hält sie der Gesellschaft einen vielfach gebrochenen Spiegel vor.
Verzerrungen sind darin gezielt eingebaut: Diese machen die Abwegigkeit
engspuriger Typisierungen ebenso sichtbar wie das bizarre Ausmaß von
Schrecken und Gewalt, das in unserer Wirklichkeit längst die fiktiven
Horror-Szenarien von Film und Fernsehen übersteigt.
So lässt die
Künstlerin als Avatar und Doppelgängerin ihrer selbst und unserer
kollektiven, medial gestützten und überblendeten
Identitätskonstruktionen tief in unsere von Bildern durchdrungene und
verdeckte Zeit blicken. Dass uns dabei das Lachen im Hals steckenbleibt,
liegt in der Natur der Sache, die Sherman mit allen Möglichkeiten
radikaler Komik und kritischer Ernsthaftigkeit im offenbarenden
Schauspiel ihrer Kunst von der Ihrigen zu der Unsrigen macht.
__________
Belinda Grace Gardner, Kunst- und Literaturwissenschaftlerin,
lebt in Hamburg als freie Kunstkritikerin, Autorin, Hochschuldozentin
und Kuratorin.
Die Ausstellung CINDY SHERMAN – ANTI-FASHION ist noch bis zum 3. März 2024 in den Deichtorhallen Hamburg zu sehen. Ein von Cindy Sherman kuratiertes Filmprogramm zeigt das Metropolis Kino im Februar.