Swoosh ins All
25. Januar 2022
FOTO: HENNING ROGGE
25. Januar 2022
NIKE-Sportschuhe, benannt nach der geflügelten Siegesgöttin der Antike, sind schon lange heiß begehrte Kultobjekte. Für limitierte Editionen reihen sich Fans schon nachts in endlose Verkaufsschlangen ein. Oder durchforsten das Netz, um die ersehnten Stücke für astronomische Summen zu ergattern. Der Sneaker mit dem berühmten Swoosh-Logo hat für viele den Wert eines Kunstwerks. Insofern ist es kaum verwunderlich, wenn er seinerseits auch ins Feld der Kunst importiert wird.
So ein Importeur von Markenikonen ins Gebiet ästhetischer Produktion ist Tom Sachs. Der 1966 geborene New Yorker Künstler erlangte mit seinen charakteristischen Low-Tech-Remakes großer Namen aus Luxus- und Alltagskonsum, Spage-Age- und Design-Kultur im Do-It-Yourself-Look internationale Bekanntheit.
Eine besondere Verbindung hat Sachs zu NIKE: 2012 arbeitete er parallel zu seiner New Yorker Ausstellung Space Program: Mars erstmals mit dem Sportartikelhersteller an der Kollektion NIKECraft zusammen. Dazu gehörten der Mars Yard Shoe, eine Marsfly-Jacke im Trenchcoat-Stil mit Periodensystem als Innenaufdruck und ein Lightweight Tote-Beutel. Als Materialien kamen dabei Air Bags, Bootsegel und Raumanzüge zum Einsatz. Sachs kooperierte dazu auch mit wissenschaftlichen Fachleuten des NASA-Zentrums in Pasadena, Kalifornien.
Fünf Jahre später lancierte der Künstler dann eine verbesserte, robustere Version des NIKE-Schuhs unter dem Namen Mars Yard 2.0
im Rahmen seiner »Space Camp«-Events in New York und London: eine
Kombination aus Produkt-Testcenter samt Hürden, die vom Publikum zu
überwinden waren, und markenflankiertes Kunstereignis. Seitdem
expandiert Sachs' NIKE-Kollektion als ebenso kunst- wie markenaffines
Work-in-Progress.
Space Program: Mars war der zweite Part des Raumfahrtprogramms, das
der Künstler 2007 mit einer Expedition zum Mond startete. Durchgängiges
Format der Reihe: akribisch aus recycelten Fundstücken von Nippes bis
Spielzeug sowie Sperrholz, Heißkleber und anderen Werkstoffen aus dem
Baumarkt konstruierte Weltall-Erkundungen nach NASA-Vorbild. Auf den
Flug zum Mars folgte eine Tour zum Jupiter-Mond Europa. Die 4. Mission
von Sachs, SPACE PROGRAM: RARE EARTHS (SELTENE ERDEN), nimmt das
Publikum nun in den Hamburger Deichtorhallen mit auf eine Reise zum
hellsten und erdnächsten Asteroiden Vesta. Dort sollen die für unsere
Unmengen technischer Geräte benötigten, auf unserem Planeten knapp
gewordenen mineralischen Rohstoffe, die »Seltenen Erden«, abgebaut
werden.
Sachs' retrofuturistischer Erlebnispark breitet sich in der 3.000
Quadratmeter umfassenden Ausstellungshalle wie der analoge
Mehrstationen-Parcours eines Computerspiels aus. Zur »Aktivierung« der
aktuellen SPACE PROGRAM-Manifestation reisten Sachs und sein Team mit
NIKE-Spezialedition an den Füßen an: Teil einer Uniform, die
mittlerweile zum Branding des Künstlers und seines Studios, Allied
Cultural Prosthetics gehört: ein Name, der auf die Hilfsmittel weist,
die unsere Erlebniskultur tragen. Ob es dabei um eine Hinterfragung oder
Bestätigung dieser Abstützungen geht, bleibt allerdings offen.
Sachs führt sein Atelier, zu dem auch Stränge für Möbeldesign und
Materialforschung gehören, bekanntlich straff wie eine Firma. Das so
genannte 10 Bullet-Programm, ein strenger Regelkatalog für Mitwirkende
seines Studios, umfasst klassische Maximen ökonomischer Wertschöpfung
wie Pünktlichkeit, Gründlichkeit, Disziplin und Ordnung und stellt den
Willen des Individuums unter das zu schaffende Produkt. Diesem Modell folgt auch das »Indoktrinationszentrum« am Eingang der
Hamburger Mega-Installation, wo ein (freiwilliges) Initiationsritual
exklusiven Zutritt zu ausgewählten Arealen der Ausstellung verspricht.
Von Anfang an fallen in der präzise zusammengezimmerten
Low-Tech-Space-Landschaft diverse Markennamen auf: vom nachgebildeten
NASA-Schild bis hin zu Remakes populärer Konsumartikel wie dem
Limonadengetränk Fanta in typisch gerillter Glasflasche. Letztere tritt
am Schauplatz der Transsubstantiation als Gefäß für »die schwärzeste
aller dem Menschen bekannten Substanzen« in Gestalt von geheimnisvollem Fanta Black in Erscheinung. Jene Substanz wird durch wundersame
Wesensverwandlung aus Prozessen der Sublimation, Extraktion und
Rekonstitution von zuvor geopferten Mobiltelefonen generiert:
Betrachter:innen werden eingeladen, sich von diesem Inbegriff
geräte-induzierter emotionaler Abhängigkeit zu lösen. Aus daraus
gewonnenem Gold wiederum entsteht ein neuzeitliches Götzenbild. Die
technologisch besetzte Sphäre kippt vorübergehend ins Quasi-Spirituelle.
Doch, wie immer bei Sachs, trügt der Schein, oszilliert das Geschehen
zwischen Ernst und Ironie, einer Hommage an die Errungenschaften von
Fortschritt, Wirtschaft und Industrie – und deren Subversion ins Absurde
oder Abgründige.
Unweit der Ausgrabungsstätte der extraterrestrischen »seltenen Erden« erheben sich die einst emblematischen Twin Towers des zerstörten World Trade Centers in New York, das zum bestürzenden Sinnbild für 9/11 wurde. Blick zurück auf eine Welt an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, die mittlerweile in immer tiefere globale Krisen stürzt. Ein Landevehikel thront still wie ein Relikt erloschener Zukunftseuphorie inmitten der Szenerie, wobei der Weg durchweg das eigentliche Ziel ist. Ein etwas altertümlich wirkendes Kontrollzentrum vermittelt über eine Batterie von Vintage-Monitoren, was auf dem Trip zu den Sternen geschieht: Übertragungen von Ereignissen, die über diverse Apparate mit Kugeln, Seilwinden, Gasbrennern und anderen handgemachten Effekten erzeugt werden.
Die spielerisch-unterhaltsamen Komponenten und utopischen Dimensionen in Sachs' Welt-Raum-Visionen verfangen sich, der rauen Eigenbau-Optik des spacigen Gesamtensembles gemäß, in einer Aura des Scheiterns. Zuversicht und Melancholie kippen dabei ineinander. Sachs' SPACE PROGRAM, halb spektakulärer Budenzauber, halb prekärer Tanz unter dem Vulkan beziehungsweise dem Asteroiden Vesta, lässt sich nicht eindeutig in die eine oder andere Richtung lesen.
Angefangen mit seiner vielbeachteten Schaufenster-Gestaltung für das ehemalige New Yorker Traditionskaufhaus Barneys 1994, wo er eine Weihnachtskrippe mit Hello Kitty-Figuren und McDonald's-Logo bestückte, und Präsentationen einer Handgranate in stylischer Hermès-Box und einer Glock-Pistole im Tiffany-Etui anlässlich seiner ersten größeren Einzelschau in New York 1995, balanciert der Künstler auf einem schmalen Grat. Einerseits enthalten seine Arbeiten eine kulturkritische Botschaft, indem sie Mode, Design, Luxus- und High-End-Marken mit Macht und Gewalt sowie, im aktuellen Fall der Space-Expedition, mit Ressourcenverschwendung und grenzenlos agierenden Wirtschaftsinteressen in Bezug setzt. Andererseits übernimmt Sachs ganz buchstäblich die Verpackungen und Attribute der Konsumökonomie und ihrer Waren, inklusive der damit einhergehenden Gesten der Verehrung und Optimierung.
Die Wettläufe ins All, mit denen sich die Ost- und Westmächte vor einigen Jahrzehnten zu profilieren suchten, ist angesichts der drohenden ökologischen Katastrophe einem weltumspannenden Wettlauf mit der Zeit gewichen. Auch dies klingt in der im jüngsten SPACE PROGRAM-Projekt des Künstlers ins All ausgelagerten Suche nach »Seltenen Erden« an.
Aber die Kritik hat bei Sachs immer auch Brüche: Die künstlerische Nutzbarmachung ökonomischer Ausbeutungsmechanismen macht auch eine rege Faszination mit den Gegenständen seiner ästhetischen Erforschung und Übernahme sichtbar. Die ironisch-subversive Haltung verbindet sich darin mit ernsthafter Lust an den Kultobjekten unserer Zeit.
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Belinda Grace Gardner, Kunst- und Literaturwissenschaftlerin,
lebt in Hamburg als freie Kunstkritikerin, Autorin, Hochschuldozentin
und Kuratorin.
Die Ausstellung TOM SACHS – SPACE PROGRAM: RARE EARTHS (SELTENE ERDEN) ist noch bis zum 24. April 2022 in den Deichtorhallen Hamburg zu sehen.