Foto: Henning Rogge

Tiere um uns

Die amerikanische Medienkünstlerin Diana Thater beschäftigt sich immer wieder mit dem Verhältnis des Menschen zur Natur. In der Sammlung Falckenberg lässt sie die Besucher*innen in die Welt der Delfine eintauchen. VON MAGDALENA GRÜNER

28. Mai 2020

Teilen

Alle liebten Flipper. Der TV-Delfin, war nicht nur einer der ersten tierischen Protagonisten des Fernsehens, sondern löste in den 1960er-Jahren auch eine Welle der Begeisterung für die Meeressäuger aus. Die Aufmerksamkeit und Zuneigung für die Tiere bedeuteten jedoch nicht, dass diese besonders sorgfältig und rücksichtsvoll behandelt wurden. So berichtete Richard O’Barry, langjähriger Delfintrainer der Flipper-Serie, von gestressten Tieren am Film-Set, die für die Dreharbeiten auf den Bahamas in Kisten verfrachtet und mit dem Flugzeug eingeflogen wurden. Heute bereut O’Barry seine Mitwirkung an der TV-Serie und ist als Tierschutzaktivist tätig.

Für ihre Arbeit Delphine, die 1999 entstand und derzeit in der Sammlung Falckenberg zu sehen ist, kooperierte die amerikanische Künstlerin Diana Thater mit O'Barry. Die Aueinandersetzung mit »Natur« und spezifisch mit Tieren ist das zentrale Thema ihrer künstlerischen Arbeit und der rote Faden, der sich durch ihr imposantes Werk zieht. Als Pionierin der Videokunst wird Thater international gefeiert, jüngst mit Einzelausstellungen in Boston, Istanbul und der groß angelegten Retrospektive The Sympathetic Imagination im Los Angeles County Museum of Art.

Thaters künstlerische Auseinandersetzung mit Film und Video begann in den späten 1980er Jahren, als sie in Los Angeles bei Patti Podesta und Bruce Yonemoto Kunst studierte. Ein wichtiges Anliegen ihrer raumgreifenden Installationen war von Beginn an die Befragung des filmischen Mediums und der damit einhergehenden Lichtphänomene.

Dabei erprobt Thater unterschiedliche Strategien. In ihrer Arbeit Oo Fifi, Five Days in Claude Monet’s Garden (Part 1 und Part 2) von 1992 stellt die Künstlerin zwei Projektionen einander gegenüber. Beide zeigen Filmmaterial aus – der Titel verrät es – Claude Monets Garten in Giverny. In Part 1 wird ein in seine drei Farb-Bestandteile Rot, Grün und Blau zerlegtes Bewegtbild von einem einzigen Beamer an die Wand geworfen, wodurch der Effekt einer dekonstruierten Wahrnehmung erzielt wird. In Part 2 erzeugen hingegen drei unterschiedliche Projektoren ein einziges Bild, das den Sehkonventionen des Publikums entspricht.

Diana Thater, Oo Fifi, Five Days in Claude Monet's Garden, 1992 Parts 1 and 2, Installationsansicht 1301PE, Los Angeles, 2012. Photo: Fredrik Nilsen

Damit wird einerseits die für den Film notwendige Technologie ins Zentrum gerückt und in ihrer Funktionsweise ausgestellt. Gleichzeitig wird mittels der Dekonstruktion des filmischen Mediums aber auch an die Betrachter*innen appelliert, ihre Wahrnehmung kritisch zu hinterfragen. Nichts ist, wie es scheint.

Diana Thater beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit den technischen, sozialen und sinnlichen Bedingungen von Film und Video. Ihre Werke funktionieren als Installationen im Raum: Die Beamer, Bildschirme, Röhrenfernseher sind selbst Teil derselben, genauso wie die Architektur, auf der die Videos ihre Projektionsfläche finden und die Besucher*innen, die sich in ihr bewegen. Das Ziel, eine immersive Erfahrung ihrer Installationen zu ermöglichen, tritt besonders in der Arbeit Delphine in den Vordergrund.

Die Arbeit besteht aus vier Projektoren, einem Block aus neun Röhrenfernsehern sowie Flutlichtern, die den gesamten Raum in magentafarbenes Licht tauchen. Die vielfältigen Lichteffekte erzeugen eine betörende Stimmung, eine Art Sog-Effekt. Vom Boden bis zur Decke wird der Raum mit Unterwasseraufnahmen bespielt, zu sehen sind Delfine, die durch türkisblaue, kristallklare Wassermassen gleiten.

Bei näherer Betrachtung der Aufnahmen fällt auf, dass das Filmmaterial aus mehreren Perspektiven aufgenommen wurde: Zum einen in einigen Metern Tiefe, zwischen den sich tummelnden Tieren und zum anderen nur knapp unter der Wasseroberfläche. Dabei wurden für die Aufnahmen in der Tiefe professionelle Taucher mit einer hochauflösenden Kamera ausgestattet, während Thater selbst an der Oberfläche mit einer Super 8-Kamera filmte. Die verschiedenen Perspektiven werden in der Installation miteinander verschränkt und verwoben.

Diana Thater, Delphine, 1999. Installationsansicht aus der Sammlung Falckenberg, 2020. Foto: Henning Rogge / Deichtorhallen Hamburg

Auch hier zeigt sich das Interesse der Künstlerin für die vielfältigen Eigenschaften unterschiedlicher medialer Erscheinungsformen von Film und Video. In der Gegenüberstellung von gestochen scharfem Filmmaterial und Super 8-Aufnahmen wird reflektiert, wie im Film Bedeutung erzeugt wird. So tragen abseits des Sujets auch technische Bedingungen wie die Bildqualität entscheidend zum Gesamteindruck der Installation bei. Die hochauflösenden Aufnahmen sind dem Publikum aus Natur-Dokumentationen vertraut, während der körnige Super 8-Film die nostalgische Wirkung eines Amateurvideos erzeugt.

Es geht Thater also nicht allein um die Filme und das, was darin zu sehen ist, sondern auch um die jeweils individuellen Erfahrungen der Besucher*innen, die sich in der Installation bewegen, in ihr präsent sind und sich als Teil der Arbeit empfinden. Die strenge Trennung von »Betrachter*in« und »Werk« wird aufgehoben und unterlaufen. Im Zentrum des Interesses steht das Zusammenspiel der Installation und ihrer Einzelteile mit dem Publikum, dessen Assoziationen, Erinnerungen und seiner physischen Präsenz. Die Schatten-Silhouetten, die beim Durchschreiten der Installation auf den Bildflächen entstehen, sind dabei ein erwünschter Effekt.

Neben der Technologie, der Lichtregie und der Raumerfahrung ist auch die motivische Ebene zentral für Thaters Arbeit. Es ist weder zufällig noch beliebig, dass ausgerechnet Delfine zu den Protagonisten dieser Arbeit werden. Die Tiere drehen sich, kommunizieren und interagieren miteinander, fast, möchte man meinen, »spielen« sie mit den Luftbläschen, die der Taucherausrüstung entweichen. Aber was »tun« die Delfine wirklich? Kommunizieren, interagieren, spielen – sind das nicht zu »menschliche« Konzepte, die auf diese Lebewesen übertragen werden? Spätestens seit Flipper werden Delfine wiederholt zum Ziel vermenschlichender Zuschreibungen. Das hat teils grausame Folgen: Themenparks wie SeaWorld profitieren von ihrer Spektakularisierung, während die Tiere unter der Gefangenschaft leiden.

Cable telegraphique au fond de la mer aus: Léon Sonrel, Le fond de la mer, Paris 1868, S. 331.

Die Erforschung von Lebensräumen unter Wasser sowie ihrer kuriosen und sagenumwobenen Bewohner ist seit ihren Anfängen von der Komplizenschaft mit der Unterhaltungsindustrie geprägt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es in ganz Europa zu einer regelrechten Besessenheit mit dem Meer, die durch die spektakuläre Bergung des defekten Tiefseekabels zwischen Algerien und Sardinien im Jahr 1860 ausgelöst wurde. Zahlreiche Lebewesen, die sich auf dem Kabel niedergelassen hatten – unter anderem eine neue Korallenspezies, die prompt Thalassiotrochus telegraphicus benannt wurde – lieferten erstmals einen eindeutigen Beweis dafür, dass auch die Tiefen der Weltmeere belebt waren.

Diese Entdeckung gab den Anstoß für eine Vielzahl literarischer, künstlerischer und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Von Jules Vernes 20.000 Meilen unter dem Meer und Victor Hugos Die Arbeiter des Meeres, über Odilon Redons Unterwasser-Visionen und Émile Gallés Vasen bis hin zu den ersten großen Aquarien auf Weltausstellungen war das Marine Bestseller-Garant und Publikumsmagnet. Wissenschaft und Unterhaltung gingen dabei Hand in Hand; so finanzierte sich etwa die Forschungsstation Stazione Zoologica Anton Dohrn in Neapel über das zugehörige öffentliche Aquarium.

Ab Ende der 1930er Jahre eröffneten dann die ersten Delfinarien, oftmals mit wissenschaftlichem Anspruch. Den ehemaligen Marine Studios in Florida kommt dabei die zweifelhafte Ehre zu, erstmals Delfine trainiert und dressiert zu haben. Die Shows wurden innerhalb kürzester Zeit von tausenden Menschen besucht – nach diesem Erfolg ließ die weltweite Eröffnung von Delfin-Spektakeln und die damit einhergehende grausame Ausbeutung der Meeressäuger nicht lange auf sich warten.

Delphine
zeigt die aktivistische Ebene von Thaters Schaffen. So spricht sie sich etwa gegen die Ausbeutung von Tieren zu Unterhaltungszwecken aus und möchte in der Installation Delphine eine Begegnung zwischen Delfinen und »human animal« ermöglichen: »The animal is not someone to be looked at, it’s a subject with which to engage«. Es geht Thater darum, einem Lebewesen den Status eines Subjektes einzuräumen und es damit als den »menschlichen Tieren« ebenbürtig anzuerkennen.

Thater schließt sich Denker*innen der Human-Animal-Studies an, wenn sie die Ausbeutung von Lebewesen auf eine Auffassung von Tieren als Objekte beziehungsweise als Ressource zurückführt. In ihren Filmen versucht die Künstlerin eben dieser hierarchischen Vorstellung entgegenzuwirken, indem sie ein Setting herstellt, in dem die Tiere als gleichgestelltes Gegenüber erfahrbar werden. Dabei kann es zu keiner Begegnung im Sinne einer tatsächlichen Interaktion kommen, da sich die Besucher*innen und die Delfine nie wahrhaftig im selben Raum aufhalten. Was aber das Medium der Filminstallation ermöglicht, ist der temporäre Eindruck der Immersion, des Eintauchens in diesen »anderen« Lebensraum unter Wasser.

Thater ist in ihren Installationen sehr darauf bedacht, nicht mit den gleichen Strategien wie Delfin-Spektakel zu agieren. Die Besucher*innen sollen nicht eingelullt und bespaßt werden; die Begegnung mit den Tieren ist hier keine Wellness-Veranstaltung. Im Gegenteil, das Eintauchen in Thaters Arbeit Delphine wird von einem gewissen Unbehagen, einem Moment des Unheimlichen, begleitet.

Dieser Effekt wird verstärkt durch den massiven Block aus neun Röhrenfernsehern, auf welchen postapokalyptisch anmutende NASA-Aufnahmen der Sonne zu sehen sind. Diese Sonne ist jedoch nicht der vertraute, gelb leuchtende Himmelskörper, sondern ein sich drehender, lila und violett schimmernder Feuerball. Die Komplementärfarben irritieren, stellen Wahrnehmung und Sinne in Frage. Wie nehmen wohl Delfine die Sonne wahr?

Das unheimliche Moment der Installation wird auch dann spürbar, wenn sich der Blick der Kamera in Richtung Wasseroberfläche richtet. Diese merkwürdige fluide Raumdecke und Grenze zwischen den Elementen verweist auf den prekären Status der Menschen als Eindringlinge in den Unterwasserraum, als illegitime Teilhabende, die sich den Lebensraum der Delfine aneignen. Damit wird »der Mensch« als Maß aller Dinge aus dem Zentrum gerückt, die Möglichkeit einer nicht-menschlichen Perspektive auf die Dinge erfahrbar gemacht. Unter Wasser ist das »human animal« das Fremde, das Andere. Es befindet sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht in seinem Element.

Magdalena Grüner ist Stipeniatin der Gerda Henkel Stiftung und promoviert an der Universität Hamburg mit einer Arbeit zu ozeanographischen Bildwelten zwischen Kunst, Wissenschaft und Popkultur. Gemeinsam mit Nina Lucia Groß veröffentlicht sie die regelmäßige Kolumne unmodern talking und ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des feministischen Netzwerks femrep e.V.

Die Ausstellung INSTALLATIONEN AUS 25 JAHREN SAMMLUNG FALCKENBERG ist bis zum 30. August 2020 in der Sammlung Falckenberg in Harburg zu sehen.


weiterlesen