Götz Adriani mit Gerhard Richter im Atelier Köln- Hahnwald 2008, © Franziska Adriani

Trotziges Vermächtnis

Schon immer haben Künstler Interviews dazu genutzt, sich als geheimnisvoll oder provokant zu inszenieren. Neue Gespräche mit Georg Baselitz, Gerhard Richter und Anselm Kiefer zeigen, was es heißt, über Kunst als Kunst zu sprechen. VON WOLFGANG ULLRICH

20. Dezember 2019

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Die neuen »Alten Meister«, als die Götz Adriani Georg Baselitz, Gerhard Richter, Sigmar Polke und Anselm Kiefer bezeichnet, waren und sind vor allem auch Meister des Interviews. Sie gehören zur ersten Generation von Künstlern, die sich darin bewähren konnten und mussten, über sich, ihre Werke und alles andere, was so gefragt wird, zu sprechen. Was das bedeutet, wird oft unterschätzt.

Von den alten »Alten Meistern« sind Anekdoten, manchmal auch Briefe oder Traktate überliefert, durch die ihr künstlerischer Impetus fassbarer wird; ihre Äußerungen fanden zudem in Lebensbeschreibungen und in andere Kunstliteratur Eingang. Das Interview hingegen ist eine der großen Erfindungen des 20. Jahrhunderts, und obwohl es in fast allen Bereichen eine Rolle spielt, dürfte es in der bildenden Kunst besonderen Stellenwert haben.

Verdanken sich schon viele Künstleranekdoten dem performativen Geschick und der situativen Intelligenz der Beteiligten, so kommen dieselben Fähigkeiten ebenso – und erst recht – bei Interviews zur Geltung. Künstler, bei denen die Selbstdarstellung ohnehin zum Werk gehört oder zumindest demselben gestalterischen Willen entspringt, sind also besser als viele andere dazu disponiert, Interviews zu ihrer Sache zu machen. Diese werden daher ab den 1960er Jahren zum »integralen Bestandteil künstlerischer Praxis« – so Lars Blunck und Michael Diers im 2013 publizierten Standardwerk zum Thema.













Baselitz, Richter und Kiefer werden ihrem Ruf als Meister des Interviews gerecht. Denn auch sie antworten oft nicht das, was der Fragende erwartet hat.

Von Anfang an haben Künstler Interviews oft dazu genutzt, sich als geheimnisvoll oder im Gestus der Verweigerung und Provokation in Szene zu setzen. So antwortete Ad Reinhardt einmal auf jede Frage einfach nur mit »Yes«, Hans-Peter Feldmann damit, dass er Bilder zeigte. Berühmt wurde aber vor allem ein Interview, das Sigmar Polke 1964 verfasst hat. Er selbst tritt darin gar nicht auf, vielmehr lässt er es zwischen Gerhard Richter und einem Kunstkritiker, Anthony Twaites, stattfinden (dies eine Verballhornung des damals bekannten Kritikers John Anthony Thwaites). Dem Künstler werden diverse starke Sprüche in den Mund gelegt, ja das gesamte Interview liest sich wie eine einzige Machtphantasie (»Ich bin der Größte, ich bin der Allergrößte«), die davon handelt, wie grausam und sogar tödlich gemalte Bilder wirken können. Aus heutiger Sicht enthält das Interview auch ziemlich geschmacklose Aussagen, so wenn auf die Frage nach den Handzeichnungen des Künstlers geantwortet wird: »Ich habe nicht viel gemacht. Je zwei hatten Buchenwald, Dachau, eine in Bergen-Belsen. Mit ihnen wurde hauptsächlich gefoltert.«

Richter selbst hat dieses Interview in den 1990er Jahren in die Auswahl seiner Texte aufgenommen, es damit nachträglich gleichsam autorisiert – dies eine Geste, die sich als Hinweis darauf lesen lässt, dass er Interviews generell für eine mit Werkanspruch versehene Form der Äußerung, für eine eigene Kunstgattung hält. Dazu passt, dass er Interviews, wie Julia Gelshorn einmal gezeigt und analysiert hat, so gründlich zu redigieren pflegt, dass vom originalen – mündlichen, spontanen – Wortlaut nicht viel übrigbleibt.

Adriani reflektiert die Bedeutung, die Interviews für die Karriere seiner Protagonisten spielen, im Katalog zur Ausstellung nicht, aber er verlässt sich ganz selbstverständlich darauf, dass sie ihm Wichtiges und Neues zu sagen haben. So besteht der Katalog zum größten Teil aus langen Interviews mit den drei noch lebenden Malern; jedes ist so lang, dass es ausgekoppelt ein eigenes Buch ergäbe. Und tatsächlich werden Baselitz, Richter und Kiefer ihrem Ruf als Meister des Interviews gerecht. Denn auch sie antworten oft nicht das, was der Fragende erwartet hat. So versucht Adriani immer wieder, die Werke der Künstler zeitgeschichtlich und politisch zu erklären – mit den großen Themen und gesellschaftlichen Veränderungen der 1960er Jahren zu verknüpfen, denen die Ausstellung gewidmet ist. Aber zur Antwort bekommt er meist rein kunsthistorische Selbsteinordnungen der Künstler oder aber Aussagen, die die Kunst ins Zeitlose erheben.

Baselitz etwa beharrt darauf, sich gleichermaßen gegen die damals in Deutschland dominante informelle Malerei wie gegen die aus den USA und England kommende Pop-Art gewehrt zu haben. Seine »Helden«-Bilder will er im Verhältnis zu Bacon und Beckmann und nicht als Reaktion auf das Dritte Reich und die »vaterlose Gesellschaft« verstanden wissen. Bei Richter heißt es selbst für die Gemälde nach Fotos: »Mir war wichtig, dass man in meinen Bildern nicht auf irgendwelche Inhalte gestoßen wird«. Das »Bildgeheimnis« drohe »durch die penetrante Suche nach dem Wissen um die Inhalte [...] verloren zu gehen«. Und Anselm Kiefer beruft sich auf den »falschen, aber auch richtigen« Topos, »dass man als Künstler geboren sei, dass man alles schon in sich trage und einer professionellen Weisung nicht bedürfe«. Damit aber geht es in der Kunst für ihn um das ganz Allgemeine und Universelle – und nicht um Gesellschaftskritik.

Den dreien sind die Debatten über den »weißen alten Mann« sicher nicht entgangen, die seit einigen Jahren engagiert, zum Teil auch aggressiv geführt werden – und sie wissen, dass sie, zumal in einer solchen Ausstellungskonstellation und zu »Alten Meistern« erklärt, selbst als Musterbeispiele dieses Typus angesehen werden können: durch und durch privilegiert, als Künstler und als Männer von der eigenen Überlegenheit überzeugt, mit eindeutig eurozentrischem Weltbild ausgestattet.

Die Interviews lesen sich wie trotzig-selbstbewusste Reaktionen darauf. Mit all ihrer Erfahrung und durchaus streitlustig beschwören vor allem Baselitz und Kiefer ihr künstlerisches Selbstverständnis und versuchen, sich gegen einen »Mainstream« zu behaupten. Sie demonstrieren nochmals, was es heißt, über Kunst als Kunst zu sprechen – und sie nicht als zeitgeschichtliches Phänomen zu behandeln. Vielleicht gelten diese Interviews daher auch einmal als Vermächtnis. Angesichts eines sich stark wandelnden Künstlerbilds könnten sie dann etwas wehmütig stimmen, vor allem aber von wirklich »Alten Meistern« stammen.

Wolfgang Ullrich, geb. 1967, lebt als freier Autor und Kulturwissenschaftler in Leipzig. Er publiziert zur Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, zu bildsoziologischen Themen und zur Konsumtheorie. Zuletzt erschien von ihm Selfies. Die Rückkehr des öffentlichen Lebens im Verlag Klaus Wagenbach. Für HALLE4 schreibt er die monatliche Kolumne VERWECHSLUNGSGEFAHR.

Die Ausstellung BASELITZ – RICHTER – POLKE – KIEFER. DIE JUNGEN JAHRE DER ALTEN MEISTER ist noch bis zum 5. Januar 2020 in der Halle für aktuelle Kunst zu sehen.


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