Anna Nero, Rescue (Detail), 2016 © Anna Nero

Überlebenskünstler

Die Folgen der Ausbreitung des Coronavirus trifft freie Künstler*innen und Kreative besonders hart. Doch in der Krise rückt die Szene zusammen und schaut nach vorne. Die Gesellschaft kann nur davon lernen. VON JUSTUS DUHNKRACK

27. März 2020

Teilen

Für den ein oder anderen ändert sich nichts. Der Gang vom Schlafzimmer in den Arbeitsraum, die Fahrt mit dem Fahrrad oder ausnahmsweise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ins Atelier – es ist der gleiche Ablauf wie jeden Morgen. Ein paar Telefonate am Vormittag, die Arbeit im Atelier. Anna Nero ist freischaffende Malerin, aktuell sind ihre Arbeiten in der Ausstellung JETZT! JUNGE MALEREI IN DEUTSCHLAND in den Deichtorhallen Hamburg vertreten. Die Ausstellung ist eine von vielen Veranstaltungen, die aktuell nicht stattfinden können. Immerhin wird sie verlängert.

Weniger gut läuft es für ihre Galerie-Ausstellung in Berlin. Schon bei der Eröffnung kurz vor Beginn der Pandemie kamen nur noch enge Freunde. Der sonst so anregende Austausch, die Nachfragen und Kommentare während einer Vernissage – all das fehlt plötzlich im Leben der Künstlerin. An Messen wird die Galerie voraussichtlich nicht teilnehmen, denn die werden abgesagt. Das wird auch die Verkaufszahlen drücken.

Anna Nero zählt zu den glücklichen Ausnahmen, die Künstlerin wird durch ein Stipendium gefördert. Wäre sie noch auf ihre frühere Lehrstelle als Honorarlehrkraft in Mainz angewiesen, käme kein Geld mehr rein. Sorgen macht sie sich vor allem um die vielen Freund*innen, Angehörigen und Bekannten, die ebenfalls freien und kreativen Beschäftigungen nachgehen. Entfällt deren Tätigkeiten wegen Absagen oder Schließungen werden sie nicht mehr bezahlt. In aller Regel liegt höhere Gewalt vor.

Pandemien sind wie ein Vulkanausbruch. Wer nicht fliegen kann, bleibt sitzen – auch auf den Kosten. Unzählige Künstler*innen stehen im Regen und wissen nicht, wie sie die nächste Miete bezahlen sollen. Sie hoffen auf die staatlichen Rettungsschirme.










»Die Krise zeigt, was vorher niemand hören wollte: Das Leben von freien Kreativen ist ein Drahtseilakt«

Die Krise zeigt, was vorher niemand hören wollte: Das Leben von freien Kreativen ist ein Drahtseilakt. Während die verheerenden Folgen der Corona-Pandemie weltweit kaum absehbar sind, ist bereits jetzt klar: Die Branche befindet sich im freien Fall. Viele Selbstständige, Unternehmerinnen und Unternehmer sind aufgrund der Pandemie existenzbedroht. Das betrifft auch Kunstschaffende, dabei balancierten sie schon vor der Krise zwischen »Projektlogik« und »Aufmerksamkeitsökonomie«.

Die Künstlersozialkasse beziffert das durchschnittliche Jahreseinkommen versicherter Bildender Künstler*innen mit 17.858 Euro. Rücklagen kann man damit nicht bilden. Doch während die Infektions- und Opferzahlen steigen und die Weltwirtschaft zusammenbricht, sind Kunstschaffende an die Existenzbedrohung gewöhnt.

Die Gewöhnung macht die soziale Lage nicht weniger dramatisch, unterstreicht aber, auf wessen Erfahrung die Gesellschaft in Katastrophenzeiten bauen kann. »Es zeigt sich, dass man in Zeiten der Not im gesamten Kulturbetrieb näher zusammenrückt und auf das Bemühen der Behörden und Institutionen unterstützend einzugreifen bauen kann«, sagt Bianca Müllner, Vorsitzende des Berufsverband Bildender Künstler*innen Hamburg und selbst freischaffende Künstlerin.

Die Solidarität unter den Kunstschaffenden funktioniert. Davon können sich diejenigen etwas abschauen, die sich um ihr Klopapier-Depot sorgen. An Lösungen für die Zukunft wird mit Hochdruck gearbeitet. Viele inspirierende Ideen und neue Verwertungsmöglichkeiten sprießen bereits aus dem Boden. Damit verdient vorerst niemand Geld, doch Kunstschaffende kennen die Situation in Vorleistung zu gehen nur zu gut.

Es ist nicht erst seit gestern bekannt, dass Kunstschaffende mit dem Versprechen der Sichtbarkeit gelockt, aber letztlich für den geschaffenen Mehrwert kaum entlohnt werden. Es fehlt die Lobby. Strukturen, die privatwirtschaftlichen Interessenverbänden oder Handelskammern ähneln, sind in der Kunstbranche nicht gleichermaßen vorhanden. Kunst wird für gegeben hingenommen. Dabei schafft sie Lebensqualität und verbindet, sie hält die Gesellschaft im Innersten zusammen.

Erste Hilfsmaßnahmen wurden von der Bundeskulturministerin versprochen und in manchen Bundesländern wie Hamburg und Bayern schon umgesetzt. Bianca Müllner attestiert der Hamburger Kulturbehörde ein gutes Krisenmanagement. Ziel sei es in der Kürze der Zeit vor allem auch die Basis ihrer beruflichen Existenz zu sichern. Solidarität ist das Gebot der Stunde, allerdings nicht nur unter den Kunstschaffenden, sondern auch mit den Kunstschaffenden.

Moritz Frei, freischaffender Künstler aus Berlin, hat jetzt das Kind zu Hause. Seine Ausstellungen und Veranstaltungen sind abgesagt, der Eigenverlag ist bis auf den Online-Handel zum Stillstand gekommen. Doch er kann neben all den Sorgen auch Positives finden. Das ungewollte Home-Office nutzt er für einen humoristischen Kommentar vor der Karibik-Fototapete im heimischen Wohnzimmer. Die »Corona-Chronik« veröffentlicht er gemeinsam mit der Schauspielerin Anne Hoffmann täglich auf YouTube. Als Urlauber sind die beiden in der Karibik unter Palmen gestrandet. Aus der Distanz nehmen sie Anteil an der Katastrophe und kommentieren damit das tägliche Geschehen: Social-Distancing im Soli-Quarantäne-Zelt am Strand - auch wegen der brennenden Sonne.

Er sieht den Staat und die Gesellschaft in der Verantwortung, die Kulturbranche aufzufangen. Andernfalls wird vieles dauerhaft wegbrechen. Kleine Theater und Galerien sind wichtige Plattformen für Künstler*innen, um Kontakte zu knüpfen und sichtbar zu bleiben. Ein ungutes Gefühl macht ihm die Ungewissheit, aber die war im Leben eines Künstlers schon immer da, nun kommt sie in anderem Gewand.











»Kunst schaut in der Krise bereits nach vorne, während andere noch nicht einmal darin angekommen sind«

Angesichts der angekündigten öffentlichen Rettungsmaßnahmen hofft Moritz Frei, dass eine existenzielle Krise für Kunstschaffende abgewendet wird. Er ist optimistisch. Künstler*innen sind ausgebildete Strategen im Überlebenskampf. Etwas Entschleunigung kann für jeden zur Selbstbesinnung führen und den Boden für neue und experimentelle Formate bereiten. Denn Kunst nimmt nicht nur, sie gibt auch.

Eine Rezession zum Schutz der Schwachen in Kauf zu nehmen – für Moritz Frei ein wertvolles Zeichen der Solidarität. Die wird in Zukunft noch wichtiger werden. Schließlich steht mit dem Klimawandel die nächste Katastrophe schon ins Haus. Dennoch gibt es immer noch viele, die den Ernst der Lage nicht erkannt haben, eine Parallele beider Katastrophen. Hamsterkäufe, Nationalstaatlichkeit, vergessene Flüchtlinge an der Grenze; Solidarität grassiert noch nicht in gleichem Maße wie das Virus. Deshalb braucht es jetzt die Kunst, die mit pluralistischen Werten ansteckt, die uns zusammenhalten.

Aktuell ist populär, wer durchgreift. Der Wettbewerb um die entschlossenste Ordnungspolitik hat begonnen. Einschränkungen der Versammlungs-, Religions- und Bewegungsfreiheit sind im Angesicht der Pandemie selbstverständlich geworden. Die Maßnahmen mögen richtig sein, doch die Pandemie ist nicht nur eine Gesundheitskatastrophe, sondern auch eine Krise des sozialen Lebens und des Freiheitsstaats.

Wie kommen wir da raus? Moritz Frei sieht die Gesellschaft in der Pflicht, Eigenverantwortung zu übernehmen und sich zu fragen, was der Einzelne für den anderen tun und wie man die Zukunft gemeinsam gestalten kann. Kunst schaut in der Krise bereits nach vorne, während andere noch nicht einmal darin angekommen sind. Kunst kann Katastrophe. Im Beuys’schen Sinne sollte jetzt jeder Künstler sein.

Justus Duhnkrack ist Rechtsanwalt in Hamburg und publiziert zu künstlerischen und juristischen Themen.


weiterlesen