KATHARINA SIEVERDING, OTIII/2020, VIDEOSTILL AUS »METROBOARDS«, 2020. © KATHARINA SIEVERDING / VG BILD-KUNST BONN, 2021

Unmittelbar konfrontativ

Seit Beginn ihrer Karriere hat Katharina Sieverding sich und ihre Arbeiten am Ort des Geschehens platziert. Die monumentale Wucht ihrer Werke zeigt, was die Kunst im öffentlichen Raum zu leisten vermag. VON CAROLIN HEIDORN

18. März 2021

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Im öffentlichen Raum fing alles an: Was die junge Kunststudentin Katharina Sieverding zu Beginn ihrer Karriere begeisterte und ihren Weg in die Fotografie begründete, fand draußen, jenseits geschlossener Räume, Ateliers und institutioneller Mauern statt. Im Jahr 1969 studierte sie an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Joseph Beuys. Parallel zu den Student*innenunruhen in Berlin protestierten auch hier Kunststudent*innen mittels Aktionen vor dem Gebäude der Akademie. Mit Bannern und Parolen protestierten sie gemeinsam für die Freiheit der Kunst, für die Aufnahme aller Student*innen zum Kunststudium und für unkonventionelle Lehrmethoden.

Ihr Umfeld und die bewegenden Ereignisse dieser Zeit hielt Katharina Sieverding tagtäglich mit einer Edixa-Schachtkamera fest, durch die sie von oben durch den in den Bildraum blicken, partizipieren und zugleich unbemerkt fotografieren konnte.

Nachts entwickelte und vergrößerte sie die Aufnahmen und plakatierte sie am folgenden Tag an die Außenwände der Akademie, um den nicht Anwesenden die Ereignisse des Vortages in Form einer Wandzeitung zu veranschaulichen. Dies war nicht nur ihr Debüt als Künstlerin und Fotografin im öffentlichen Raum, sondern schaffte zugleich ihre erste dokumentarisch-künstlerische 243-teilige Diaprojektion und Fotoarbeit EIGENBEWEGUNG von 1969.

Katharina Sieverding, Global Desire – Bahnhofsviertel Düsseldorf, 2018. Videostill aus »Metroboards«, 2020.

Rein dokumentarisch blieben Sieverdings Werke nicht, der Weg in den Außenraum hingegen wurde fortan Teil ihres Schaffens. Von Anfang an platzierte sie sich und ihre Kunst genau am Ort des Geschehens. Zu Beginn der 1970er-Jahre nutze sie ihre eigene Person als Mittel, die Öffentlichkeit für sich zu erschließen. In einer Düsseldorfer Bar, in der sie neben dem Kunststudium hinter der Theke arbeitete, inszenierte sie sich immer wieder neu. Manchmal stellte sie sich den Gästen der Bar als »Karl« vor, dann wieder als jemand vollkommen anderes.

Das Spiel mit Androgynität und Geschlechterrollen entsprach dem Zeitgeist. Ihre jeweilige abendliche Kunstfigur portraitierte sie schließlich in einem Fotoautomaten, wo ihre ersten Selbstporträts entstanden.

Heute fügen sich auch Werke der Künstlerin in den Außenraum ein, die nicht einmal dafür geplant waren. OTIII/2020 Nürnberg, das die Überblendung eines aktuellen Bildes von Kuppel und Eckturm des Berliner Reichtages mit einer Archivaufnahme von Albert Speers Lichtdom zeigt, ist ein Werk, das jüngst, wenn auch unfreiwillig, seinen Weg in den Stadtraum Nürnbergs fand. Die Ausstellung im Kunstbunker Anfang 2020 hatte aufgrund der Corona-Pandemie nicht wie geplant öffnen können. Sechs Werke der Künstlerin fanden so kurzerhand ihren Weg an 72 Orte der Stadt: Grau verputzte Außenwände, U-Bahn-Schächte und Plakatwände ersetzten auf diese Weise den geschützten institutionellen Rahmen und konfrontierten die Betrachter*innen unmittelbar mit ihrer eigenen Geschichte.

Es ist auch das Großformat, das diesen Schritt begünstigt. Ihr Plakatcharakter verweist auf die Bildsprache der Werbung, des schnellen Konsums oder des Films, doch sind sie nicht für den flüchtigen Blick gedacht. Sieverding hält die Betrachter*innen fest und schafft monumentale Werke in der Überzeugung, dass weltpolitische Inhalte in Lebensgröße daherkommen müssen.

»Wenn es um weltpolitische Inhalte geht, muss sich das Format vervielfachen«, erklärt die Künstlerin in einem Interview. Die Betrachter*innen sollen in den Bildraum hineintreten können, wie die Künstlerin einst über den Schacht ihrer Edixa-Kamera.

Katharina Sieverding: DEUTSCHLAND WIRD DEUTSCHER XLI-92, 1992. Plakatierung in Berlin vom 30. April bis 12. Mai 1993

Doch der Außenraum ist für die Künstlerin auch ein Ort der Konfrontation und Reibungsfläche. Eigens für die Kulturregion Stuttgart schuf Sieverding 1992 ihr wohl bekanntestes Werk: Deutschland wird deutscher zeigt eine Fotografie der Künstlerin, die 1974 entstand, als sie – bei einer weiteren frühen Interaktion ihrer Person mit der Öffentlichkeit – mit einer Schaustellerfamilie durch das Ruhrgebiet reiste und regelmäßig an einer Messerwurfnummer teilnahm. Ihr Lebensgefährte Klaus Mettig dokumentierte die Nummer mit seiner Fotokamera. Beklemmend wirken die Klingen, die knapp neben dem Kopf der Künstlerin zum Stehen kommen und diesen wie einen Heiligenschein umrahmen. Auch die weißen Lettern, – »Deutschland wird deutscher« – die ihr verschleiertes Gesicht verdecken wirken bedrohlich. Den Satz entnahm sie wiederum der Überschrift eines Artikels über die deutsche Wiedervereinigung in der Wochenzeitung DIE ZEIT und lässt so ihr persönliches Portrait mit politischen Inhalten zusammenfließen.

1992 war das Jahr der Gründung der Europäischen Union, aber auch der rechtsextrem motivierten Ausschreitungen und Anschläge in Rostock, die den Anstoß für das Werk gaben. Ursprünglich als Plakataktion zur Ankündigung der Ausstellung »Kulturregion Stuttgart« gedacht, wurde es kurzfristig wie auch unerwartet von zahlreichen Kommunen abgelehnt. Es wurde befürchtet, die politische Diskussion um Ausländerfeindlichkeit könne weiter angeheizt werden. Statt einer kritischen Warnung wurde die Aktion als Aufforderung verstanden, sagt Katharina Sieverding.

Ein Jahr später wurde die Arbeit als gemeinsame Aktion der Berliner Kultureinrichtungen doch noch umgesetzt und auf mehr als 500 Plakatflächen im Stadtraum Berlins gezeigt. Das Bild kehrte somit an den Ort seines ursprünglichen Bezuges zurück, wurden doch die rechtsradikalen Ausschreitungen in Ostdeutschland als eine der Spätfolgen der Wiedervereinigung interpretiert.

Sieverding leistete mit Deutschland wird deutscher einen wichtigen Impuls zur Auseinandersetzung mit Fragen der deutschen Identität. Ebenso ist es aus heutiger Perspektive ein eindrückliches Beispiel dafür, dass Katharina Sieverding ihr Werk zwar an aktuelle Diskurse anlehnt, dabei aber eben keine eindeutige Lesart vorgibt. Vielmehr sieht die Künstlerin ihr Werk als »referenzielles Medium der Zukunft«, die bloße Rückschau interessiert sie nicht.

Katharina Sieverding: XI/78, SCHLACHTFELD DEUTSCHLAND, 1978. Installationsansicht Sammlung Falckenberg. Foto: Henning Rogge / Deichtorhallen Hamburg

Auch in Schlachtfeld Deutschland aus dem Jahr 1978 widmet sich Sieverding einem seinerzeit höchst debattierten Thema – dem RAF-Terrorismus. Im Rahmen eines eindrücklichen 200 Meter langen Bildfrieses im Düsseldorfer Bahnhofsviertel war die Arbeit erst kürzlich im öffentlichen Raum zu sehen. Das Bild zeigt jene GSG 9-Einheit, die 1977 die Lufthansa-Maschine »Landshut« stürmte, um Geiseln aus den Händen von Terroristen zu befreien, die in engem Zusammenhang mit der RAF standen.

Das Motiv dafür stammte aus dem Magazin DER SPIEGEL. Sie färbte die Schwarz-Weiß Aufnahme des Sonderkommandos violett ein und schichtete sie mehrfach übereinander, um sie dann ins Monumentale zu vergrößern, wodurch auch hier ein Moment der Konfrontation und Bedrohlichkeit entsteht. Vierzig Jahre später ragt Schlachtfeld Deutschland noch immer in unsere Gegenwart hinein, stellt es doch eben jene Fragen, die Sieverding dauerhaft interessieren: Wie hängen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen?

Obgleich Sieverding ihr Werk nicht explizit für den Außenraum konzipiert, entwickeln ihre Arbeiten gerade dort ihr Potential, wo sie in die Öffentlichkeit hineinreichen. Das finale Konstrukt der Werke von Katharina Sieverding schöpft sich aus der Interpretation der Betrachter*innen, die zugleich ihre eigenen Rollen und ihr Zutun im Weltgeschehen reflektieren. Die Werke eröffnen dafür den Blick auf neue Zusammenhänge, schaffen neue Blickwinkel, Perspektiven und hinterfragen bestehende Machtverhältnisse.

So ist eines konstant geblieben, seitdem Katharina Sieverding Ende der 60er-Jahre erstmals ihre Wandzeitung an den Mauern der Düsseldorfer Akademie platzierte. In ihrer mehrdeutigen und zugleich konfrontativen Bildsprache hat sie von Beginn ihres Schaffens gezeigt, was Kunst im öffentlichen Raum leisten kann – einen zeitlosen und unabhängigen Kommentar zum Weltgeschehen.

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Carolin Heidorn ist Kulturwissenschaftlerin aus Hamburg, arbeitet im Kunsthandel und schreibt zu Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts.

Die Ausstellung KATHARINA SIEVERDING – FOTOGRAFIE, PROJEKTIONEN, INSTALLATIONEN 2020–1966 ist noch bis zum 25. Juli 2021 in der Sammlung Falckenberg zu sehen.


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