Foto: © Andy Kassier

Wa(h)re Kunst

Auf Instagram verarbeiten Künstler*innen die Sucht nach Erfolg und Reichtum. Oft verschwimmen dabei Realität und Inszenierung – die alten Rollenbilder bleiben bestehen VON ANIKA MEIER

19. Juni 2019

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Gestern bestritt ich einmal mehr mit Andy Kassier einen Artist Talk. Er ist Konzeptkünstler und, wie man heute so sagt, ein Instagram-Star. Er hat früh erkannt, dass es in Zeiten sozialer Medien nicht so weit her ist mit der Wahrheit. Fake it till you make it, so die Redensart. Schon während seines Kunststudiums in Köln hat er eine Kunstfigur erschaffen, einen erfolgreichen Selfmademan, der immer einen freshen Motivationsspruch parat hat. Ein Beispiel: 

»My competitors buried me under tons of stones. I just stand up, shake off the dust and go on. They call me the Grinder, cause even stones ain’t hard enough for me«.

Andy Kassier gibt viel vor, das gehört zu seinem Konzept, genau so wie die maßlose Übertreibung. Wer auf Instagram nicht zu genau hinschaut, glaubt wahrscheinlich, dass er auch nur einer von denen ist, die mit Erfolg und Reichtum protzen. Er protzt und prahlt tatsächlich, nur gehört ihm nichts von dem, was er da zeigt. Teure Klamotten findet er günstig in Second Hand-Shops oder auf Flohmärkten. Vier Euro hat er einst für ein Hemd von Hérmes gezahlt. Und weil er während seines Studiums immer wieder Fotografen bei großen Kampagnen- oder Magazinshootings assistierte, weiß er, wie man Bilder schafft, die im Kopf hängen bleiben: Andy Kassier hat eine teure Champagner-Flasche in der Hand, Andy Kassier lehnt an einem teuren Auto, Andy Kassier steht vor einer teuren Villa.

Man lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster mit der Behauptung, dass in den sozialen Medien wie Instagram und YouTube klassische Rollenklischees reproduziert werden, sowohl von Influencer*innen als auch von Künstler*innen. Eine Studie zur Geschlechterdarstellung in den sozialen Medien, die von der Schauspielerin Maria Furtwängler und ihrer Tochter in Auftrag gegeben wurde, bestätigte kürzlich, was bis dahin eine gefühlte Wahrheit war. Frauen zeigen sich im häuslichen Umfeld, sie schminken sich, sie kochen, sie stricken. Es geht um ihr Äußeres, um ihren Körper, um Schönheit. Männer hingegen haben mehr Handlungsspielraum, sie sind abenteuerlustig und unterhaltsam, sie interessieren sich für Politik, Sport und für die Natur.

Und natürlich greift die Kritik von Maria Furtwängler zu kurz, wenn sie den Fehler bei den jungen Frauen sucht, die sich in Geschlechterrollen wie in den 1950er Jahren gefallen, wie sie sagt. Junge Frauen bedienen die Themen, die ihre Follower oder Auftraggeber ansprechen und anklicken. KünstlerInnen wiederum reflektieren schon seit vielen Jahren diese Entwicklungen in den sozialen Medien. Sie verstärken Stereotype, überzeichnen sie fast bis zur Parodie oder zeigen auf ihren Accounts Performances, bei denen die Grenzen zwischen Kunst und Leben verschwimmen. Eigentlich immer geht es um Erfolg oder um den Wunsch, ein besseres, ein erfolgreicheres Leben führen zu können. Während die Männer vorgeben, bereits erfolgreich zu sein, begeben sich Frauen in die Hände von Männern, um endlich auch nach ganz oben zu kommen.

Amalia Ulmans Performance Excellences & Perfections gilt als erstes Instagram-Meisterwerk. Schon im Jahr 2014 führte sie im Rahmen einer fünfmonatigen Performance auf ihrem Instagram-Account vor, wie sich eine junge Frau vom unschuldige Mädchen vom Lande mit der Hilfe eines Sugar Daddys in eine sexy junge Frau verwandelt. Ulman hatte Klischees auf Instagram ausgemacht und in ein Narrativ eingewoben, weshalb die Performance für ihre Follower so glaubhaft war. Man kannte bereits, was man da sah. Lackierte Fingernägel, süßes Lächeln, Shoppingtrips, Brust-Op, Absturz und Wiederauferstehung über Avocado-Toast und Yoga. Als Ulman schließlich die Aktion auflöste, waren ihre Follower empört. Ulman wiederum war geglückt, was sie unter anderem zeigen wollte: Online sind alle Lügner.

Aktuell läuft wieder eine Performance auf Instagram, dieses Mal von der amerikanischen Künstlerin Leah Schrager. Ein unbekannter Mann machte Schrager im Herbst 2018 per Mail ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte. Über Instagram war er auf sie und ihre Kunst aufmerksam geworden. Schrager teilt unter dem Pseudonym Ona Fotos im sozialen Fotonetzwerk von sich, die sie leicht bekleidet in lasziven Posen zeigen. Schrager spreizt die Beine, streckt ihren Hintern im Tanga in die Kamera, presst ihre Brüste zusammen. Ona hat mittlerweile 3 Millionen Follower, man kann es sich denken, fast ausschließlich Männer. Playboy, Artforum und Vice haben über sie berichtet, die Kunstwelt aber tut sich schwer mit ihr.

Im Monopol Magazin schrieb Dorothée Brill 2016 genervt, dass bei Schrager nicht einmal das Deckmäntelchen der Kunst zum Einsatz käme, das pornografischen Posen sonst als Feigenblatt diene. Der Trick sei simpel, sex sells und erotische Fotografie sowieso. Drei Jahre später ist auch Schrager genervt, nicht von ihrer Kunst, sondern von der Kunstwelt, die sie nicht so recht akzeptieren will. Also nimmt sie das Angebot des unbekannten Mannes nach einem Treffen in Los Angeles an.

Er investiert eine Million Dollar in sie und ihre Kunst, ein Jahr lang will er versuchen, sie aufzubauen. Er trifft die Entscheidungen, wählt Locations, Fotografen und Bilder aus. Schrager dokumentiert ihr neues Leben auf Instagram, sie nennt ihn Man Hands, Männerhände, und gesteht sich damit das eigene Scheitern ein. Noch vor zwei Jahren war sie sich sicher, dass sie Erfolg haben kann, ohne sich in die Hände eines Mannes begeben zu müssen. Jetzt lässt sie einen reichen Mann für sich entscheiden, was für den weiblichen Blick angemessen ist. Vielleicht sind diese Ereignisse Teil des Werkes der sexpositiven Performancekünstlerlin Leah Schrager. In jedem Fall erinnert sie eindrücklich daran, dass die Geschichte der Kunst die Geschichte des mächtigen weißen Mannes ist.

Andy Kassier derweil ist nicht der einzige männliche Künstler, der sich in seinem Erfolg sonnt und gar nicht genug darüber reden kann, wie reich und mächtig und erfolgreich er ist. Rafael Horzon, Schriftsteller, Unternehmer und berühmtester Möbeldesigner in Berlin-Mitte, kann gar nicht oft genug in seinen Instagram-Stories zeigen, wie viele Regale er wieder verkauft hat, wie viele Bilder Sammler ihm abgekauft haben, wie schön eine Reise ist. Und dann ist da noch Andy Picci in Paris, der der kleine Bruder von Andy Kassier sein könnte. Während sein großer Bruder erfolgreich Geschäftsmann ist, streift er durch die Modewelt, macht Werbung für dieses Modelabel, geht eine Kooperation mit jenem Modelabel ein und ist immer mal wieder auf Magazintiteln zu sehen. Natürlich ist auch hier alles erfunden, aber das muss der Follower erst einmal durchschauen.

Stellt sich nur noch die Frage, wie sich der materielle Erfolg auch für die Künstler*innen einstellt. In Zeiten sozialer Medien steht nicht mehr unbedingt das Kunstobjekt an erster Stelle, sondern der Künstler als Marke. Der Künstler und Kritiker Brad Troemel schrieb vor einigen Jahren unter dem Titel Athletic Aesthetics darüber, dass Künstler*innen eben anderes zu Geld machen müssen. Nur bringen Vorträge, Podiumsdiskussionen und die Lehre dann doch nicht so viel ein wie ein teuer verkauftes Kunstwerk.

Anika Meier ist freie Autorin. Für das Magazin Monopol schreibt sie eine Kolumne über Kunst und Soziale Medien. Zuletzt hat sie die Einzelausstellung Reflexxxions von Signe Pierce im Lab von Eigen + Art und die Gruppenausstellung Virtual Normality. Netzkünstlerinnen 2.0 im Museum der bildenden Künste Leipzig kuratiert.

Die Ausstellung LAUREN GREENFIELD – GENERATION WEALTH ist noch bis zum 23. Juni im Haus der Photographie zu sehen.


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