FOTO: JULIA STEINIGEWEG

»Wir sind flexibler
als Elon Musk«

Die Kunst des Amerikaners Tom Sachs oszilliert zwischen Verspieltheit, Esoterik, Handwerk und kritischer Konzeptkunst. Ein Gespräch über seine neueste Mission zum Asteroiden Vesta, geschredderte Mobiltelefone und darüber, welche Kunst er ins Weltall schicken würde. VON MELANIE VON BISMARCK

17. September 2021

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Tom Sachs, Ihr Raumfahrtprogramm begann 2007. Sie haben Exkursionen zum Mond, zum Mars und zum Jupiter-Mond Europa unternommen. Damit lassen Sie Elon Musk, Jeff Bezos und Richard Branson weit hinter sich. Sie müssen stolz sein.
Das bin ich. Ich habe großen Respekt vor meinen Konkurrenten, aber ich bin nicht daran interessiert, auf alles Mögliche zu warten. Das Leben ist kurz, wir müssen jetzt loslegen, auch wenn das Resultat unvollkommen ist. Ich habe Freunde, die eine halbe Million Dollar für den perfekten Campingtrip ausgeben. Ich nehme meinen Van, der nicht perfekt ist, helfe mir mit einem Regenschirm aus, und fahre einfach los.

Die Raumfahrt gilt als Gipfel der wissenschaftlich-technologischen Errungenschaften der Menschheit. Dabei machen sich Menschen auf den Weg zu Planeten, denen sie die Namen von Gottheiten geben. Religion trifft Wissenschaft, wie in Ihrem Werk. Ist das mit ein Grund, warum Sie so für die Raumfahrt brennen?
Ich denke, dass sich in der Raumfahrt Wissenschaft und Religion überschneiden. Es gibt drei Gründe, warum Menschen in andere Welten reisen. Sie tun es aus Gründen der Spiritualität, die wie die Wissenschaft und die Religion um die großen Fragen kreist: Sind wir allein, woher kommen wir? Sie tun es wegen der Sinnlichkeit, wegen des Geruchs von Raketentreibstoff, des Geruchs von Matcha und Tatamis in der Teezeremonie und des Weihrauchs der Kirche. Und der dritte Grund sind die Dinge. Die Menschen reisen in andere Welten, weil sie Raumschiffe und Kathedralen lieben. Das sind die am besten gemachten Dinge ihrer jeweiligen Epoche. Und hier habe ich als Bildhauer vielleicht die meiste Bedeutung. Denn das hier ist alles Bildhauerei. Das Landemodul ist vielleicht meine größte Skulptur: ein LEM (Landing Excursion Module, Anm. d. R.) in voller Größe, das auf seinen eigenen vier Beinen steht, ohne eine zentrale Säule, die es stützt, wie das bei anderen selbstgebaute LEMs der Fall ist.

Das Ziel Ihrer interstellaren Mission ist der Asteroid Vesta. Welchen Zweck verfolgt die Mission?
Jedes Jahr stellen wir eineinhalb Milliarden Handys her. Wenn ich meinen Computer, mein iPad und mein Telefon, die alle als Mobiltelefone genutzt werden können, zusammenzähle, sind das allein schon drei in diesem Raum. Wir berauben die Erde also ihrer natürlichen Ressourcen. Unser Goldvorrat geht zur Neige. Da uns die Seltenen Erden hier ausgehen, müssen wir sie von einer anderen Welt holen. Vesta ist der viertgrößte Asteroid im Asteroidengürtel. Der Gürtel befindet sich zwischen Jupiter und Mars und wurde 1807 von Heinrich Wilhelm Olbers in Bremen entdeckt, einem bedeutenden philosophischen Wissenschaftler und Astrophysiker. Es ist also gewissermaßen eine Heimkehr in diesen Teil der Welt, Bremen ist ja nicht weit weg.

Warum gerade der Asteroid Vesta?
Vesta wurde nach der Göttin von Heim und Herd benannt. Und es ist kein Zufall, dass wir uns an diese Göttin wenden, während wir unseren eigenen Herd und unser Heim zerstören. Der Vesta-Mythos besagt, dass sie die heilige Flamme beschützt und sie am Leben hält. Sie hat 16 jungfräuliche Gehilfinnen, die Vestalinnen. Wer mit einer von ihnen Sex hat, wird mit der Jungfrau auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Also: kein Herumhantieren mit einer Flamme, denn damit triffst du den Kern der Versuchung von Sex. Und der ultimativen Strafe, die der Tod ist.

Spielt die antike Mythologie darüber hinaus für sie eine Rolle?
Je mehr ich lerne und mich weiterbilde, desto mehr glaube ich, dass die Klassiker meine Religion sind. Ich glaube, dass ich insofern heidnisch bin, als dass die Werte, die wir aus der griechischen Mythologie lernen, am nützlichsten sind. Denn wir sind nicht schlecht. Wir sind nicht Gott und auch nicht der Teufel. Es gibt keine Erbsünde. Wir sind Apollo und Dionysos. Wir sind Saturn, wir sind Zeus, Achilles und Ikarus. All diese Geschichten, diese Gleichnisse, passieren jedem von uns irgendwann in unserem Leben. Wir müssen von den Göttern und ihren Geschichten lernen, damit wir nicht ewig vor dem Minotaurus im Labyrinth weglaufen - vor unseren Problemen, denen wir gegenüberstehen. Wir müssen lernen, dass wir sie bekämpfen, damit wir ihnen entkommen können. Das ist es, was der Held tut.

Foto: Julia Steinigeweg

Die römischen Vesta-Priesterinnen, die Vestalinnen, sollten den Kontakt zu den Göttern halten. Sie selbst schicken stets Frauen hinauf ins All. Die Astronautinnen kommen mir vor wie Priesterinnen in einem quasireligiösen Kult. Zu weit hergeholt?
Mir gefällt das. Es gibt verschiedene Gründe, warum wir Frauen schicken. Erstens sind sie interessanter und anspruchsvoller. Sie sind auch die reproduzierenden Elemente. Die Männer tragen nur den Code, die Frauen tragen den Mechanismus zur Fortpflanzung. Wir sind mit der Genomkodierung nah dran. Wir werden in der Lage sein, den Code, die genetische Sequenz per Funksignal zu senden und dann Menschen weit weg wachsen zu lassen. Ich denke, dass wir von solchen interstellaren Reisen noch Generationen entfernt sind. Aber konzeptionell können wir verstehen, wie das möglich ist. Das wird die Art und Weise sein, wie wir reisen. Bis dahin können wir einfach ein paar Frauen und Embryonen auf die Reise schicken.

In der Ausstellung gibt es die Ausgrabungsstätte, dann die Mission Control Unit mit all den Monitoren und das LEM, das
Landing Excursion Module, das die Nachbildung des echten NASA-LEM ist.

Zunächst einmal würde ich sagen, dass es sich beim LEM nicht um eine Nachbildung handelt, sondern um etwas Reales. Wir sind in einer Kunsthalle, nicht in Cape Canaveral in Florida. Ich würde es so ausdrücken: Wir haben unser Raumschiff. Das ist wie Dub-Music. Sie ist eine Kopie, die das Wesentliche, den Text, nicht enthält, dafür aber einige bedeutungsvollere Dinge wie schwerere Schlagzeugbeats. Es ist die Version, die es dem Künstler, dem DJ, erlaubt, mehr hinzuzufügen und sie zu seiner oder ihrer eigenen zu machen. Auf die gleiche Weise ist dieses Raumfahrtprogramm, unser Lander, real.

Ihr Lander hat fast alles, was das Original auf dem Mond auch hatte.
Es hat sogar noch mehr! Wir haben ein Soundsystem, eine Bar, eine Toilette mit Wasserspülung. Unser Lander ist aus Sperrholz, so dass man sehen kann, wie alles gemacht wird. Es gibt eine Transparenz, die uns verbindet, Sie und mich und alle, die daran beteiligt sind. Sie zeichnen dieses Gespräch auf, sind also ein Teil des Raumfahrtprogramms. Diese Dinge verbinden uns. So ist dieses Raumfahrtprogramm keine Performance, sondern eine Live-Demonstration unserer Systeme. Und unsere Systeme sind vielleicht ein wenig undurchschaubar, aber sie sind authentisch für die Kultur unseres Studios. Wir müssen nicht die anderen NASA-Vorschriften einhalten, wir haben unsere NASA-Vorschriften. Wir sind flexibler als Elon Musk. Wir erschaffen die Welt nicht so, wie sie ist, sondern so, wie wir sie haben wollen.

Foto: Henning Rogge

Das Besondere an der Weltraumlandschaft, die ja in der 12-stündigen Live-Demonstration bei der Eröffnung zum Leben erweckt wird, ist: Sie ist komplett handgemacht. Alle Objekte tragen die Spuren ihrer Entstehung, was für die Ästhetik all Ihrer Skulpturen zentral ist. Ich denke an den Laubbläser aus Sperrholz. Die Skulpturen sind aus Alltagsmaterial mithilfe von Heißkleber zusammengefügt. Wie hat das angefangen? Mit der Kamera, die Sie für Ihren Vater gebaut haben?
Mein Vater wollte diese Kamera, er hat viel darüber gesprochen. Also habe ich mein Bestes gegeben, um sie für ihn aus Ton zu bauen. Natürlich funktionierte sie nicht wirklich, aber ich habe den Film so gemacht, dass er in die Rückseite passt. Und ich habe das Objektiv gebaut, den Auslöser, den Winder und das Markenzeichen. Ich habe alles getan, um die Kamera so realistisch wie möglich zu machen. Ich habe alle meine Ressourcen auf die gleiche Weise genutzt, so wie ich als 55-jähriger Mann alle meine Ressourcen genutzt habe, damit dieses Raumfahrtprogramm so funktioniert, wie ich es möchte und so dass es einen Rahmen für alle unsere rituellen Aktivitäten bildet. Ich glaube, ich habe damals emotional verstanden, dass es meinem Vater nicht nur um das Aufnehmen von Fotos ging, sondern auch um den Besitz eines Stücks schöner Ingenieurskunst. Später, als ich ein Teenager war, schenkte er mir seine richtige Kamera, die Olympus Om-1. Ich wurde der Jahrbuchfotograf. Es war also eine Art sympathetische Magie, dass diese Kamera zu mir zurückkam.

Hatten Sie nie den Traum, selbst einmal zum Mond zu fliegen?

Ich befinde mich derzeit in der Astronautenausbildung für eine Mission zum Mond mit SpaceX und einem Projekt namens dearMoon, bei dem acht Künstler zum Mond und zurückgeschickt werden. Ich weiß nicht, ob es wirklich passieren wird, denn es sind noch ein paar Jahre hin, und ob ich ausgewählt werde. Aber es ist klar, dass ich aufgrund meines Engagements für die Erforschung dieses Themas als möglicher Kandidat in Betracht gezogen werde. So ist auch das gesamte Raumfahrtprogramm eine Art sympathetische Magie.

Wir finden in Ihrer Arbeit Symbole, die Freimaurer-Symbole sein könnten, oder gehören sie zu einem satanistischen Kult?
Viele der Werte der Kirche Satans finden sich in diesem Werk wieder. Die 11 satanischen Regeln der Erde, die von Anton LaVeys Church of Satan aus den 1960er-Jahren übernommen wurden, sind für uns die Heilige Schrift. Es sind alles gute Dinge, die auf den 10 Geboten basieren, aber sie sind realistischer. Und wir leben nach ihnen.

Wenn Sie 'wir' sagen, meinen Sie Ihr Team im Studio?
Jeder im Studio glaubt daran. Wir sind alle Satanisten.

Das Video 10 bullets ist ein Handbuch mit Richtlinien für Mitarbeiter und Besucher Ihres Studios in Manhattan – ein ironischer, aber strenger Verhaltenskodex. Sie verlangen zum Beispiel von allen bedingungsloses Commitment. Der Anspruch wirkt totalitär und lässt an religiöse Sekten denken. Dann finden wir in der Ausstellung die Bereiche Indoktrination und Re-Education Center – das erinnert an totalitäre Staaten. Wenn es bei Ihnen nicht so viel zu lachen gäbe, wäre das wirklich erschreckend...
Nun, wir sind nicht wie eine Sekte, wir sind eine Sekte. Und Sie sind jetzt Teil unserer Sekte, und Sie auch, liebster Leser, Sie sind Teil der Sekte. Es bedeutet nicht, dass Sie sich an unsere Werte halten müssen. Wir wollen Sie nicht. Wir sind zu sehr damit beschäftigt, unseren Kult aufzubauen. Wenn Sie mit uns übereinstimmen, sind Sie einer von uns. Wenn nicht, dann nicht. Aber es ist wichtig, dass die Werte unseres Studios genau definiert sind, damit Sie Ihren Platz in unserer Welt verstehen können. Dies ist ein offener Kult. Und ich glaube nicht, dass er etwas so Besonderes ist. Sie haben zum Beispiel Ihre Social-Media-Follower auf Instagram oder Facebook. Viele Leute folgen Ihnen, und Sie folgen ihnen. Sie sind Teil ihrer Kulte und die anderen sind Teil Ihrer Kulte. Die Menschen sind mehr oder weniger stark engagiert. Wichtig ist, dass unsere Werte klar definiert sind und wir Filme wie 10 Bullets machen.

Der Verhaltenskodex 10 Bullets und die Arbeitsteilung in Ihrem Studio erinnern an die mittelalterlichen Dombauhütten, in denen Zimmerleute, Maurer, Schmiede, Steinbildhauer und andere Handwerker organisiert waren. Dort herrschten strenge Regeln und klare ethische Normen. Sind Ihnen die Dombauhütten ein Vorbild?
Danke, das nehme ich als Kompliment. Ja, ein Raumschiff ist eine Kathedrale. Der höchste Raum auf der Erde ist das Vertical Assembly Building (VAB) in Cape Canaveral. Das ist der Raum, in dem die Saturn V Mondrakete zusammengebaut wurde. Er ist über 90 Meter hoch. Wir haben hier einen kleinen Raum gebaut, der etwa fünf Meter hoch ist. Eine Kathedrale ist das größte Gebäude seiner Zeit und das VAB ist der größte einzelne Raum unserer Zeit. Beide sind Portale zu anderen Welten. Man betritt die Räume, und wenn man sie verlässt, befindet man sich in einer anderen Dimension. Es dauert Generationen, um eine Kathedrale zu bauen, vielleicht 120 Jahre. Und es dauert Generationen, um ein Raumfahrtprogramm aufzubauen.

Wie viele Personen arbeiten für Sie?
Das Kernteam unseres Studios in New York besteht aus 22 Leuten, von denen etwa die Hälfte hier ist. Auch unser lokaler Zirkel von 12 Leuten arbeitet daran, diese Träume zu verwirklichen und sie nach Hamburg und zu Vesta zu bringen. Aber in gewisser Weise ist das Projekt größer als jeder einzelne von uns. Das ist nicht anders als bei einer Kathedrale. Oder bei einem großen Kinofilm. Ich bin vielleicht der Regisseur, der Hauptschamane oder was auch immer, aber es funktioniert nicht ohne die anderen. Ich bin nur ein Teil davon. Es ist ein Organismus, und wenn meine Ideen zu aggressiv, zu progressiv oder zu abrupt sind, werde ich von weißen Blutkörperchen umzingelt und ausgestoßen.

Foto: Julia Steinigeweg

Sie haben die beiden Türme der gotischen Kathedrale von Chartres, selbst gebaut natürlich, auf einen Werkzeugschrank gesetzt, der im Innern wie ein heiliger Schrein gestaltet ist.
Ja, das ist im Bereich der Transsubstantiation. Die Transsubstantiation findet statt, wenn Sie Ihr Telefon, das alle Ihre Informationen enthält, also die Erweiterung Ihres Körpers und Ihrer Seele darstellt, nehmen und es übergeben. Dann wird es zerdrückt. Wir haben eine Zerkleinerungsmaschine, sie heißt aktive Übergabe. Dann kommt das Handy in ein kleines Schiff, das durch ein Loch in der Wand in die nächste Dimension segelt, in die Transsubstantiationskammer mit all den Werkzeugen. Dort wird das Telefon zerlegt. Die Batterie wird herausgenommen und der kleine vibrierende Motor wird entfernt. Es wird ein Foto von Ihnen gemacht, so, wie Sie sich selbst darstellen möchten, vielleicht aus Ihren sozialen Medien. Batterie, Motor und Bild werden zusammengebaut, um ein Vibrationsinstrument zu schaffen, das das untere Chakra, das Sexualchakra, vibrieren lässt, um Sie daran zu erinnern, dass Sie ein menschliches Wesen sind, das sich sexuell fortpflanzt. Dieses Objekt, sozusagen ein Porträt von Ihnen als sexuell vibrierendes Wesen, kommt in den Schrein mit dem Kabinett all der Menschen, die sich dem unterworfen haben. Dabei ist immer noch viel von Ihnen übrig, denn es gibt noch immer Erinnerungen in Ihrer Apple-ID und den Teil, der nach Ihnen weiterlebt, wenn Sie nicht mehr sind, Ihre SIM-Karte, Ihre Seele, ich weiß nicht, wie Sie sie nennen wollen.

Aber die SIM-Karte ist zerstört...

Sie ist zerstört, aber sie ist immer noch da drin. Es gibt Möglichkeiten, die Karte herauszubekommen, mit viel Aufwand kann man die Daten auslesen. Doch jetzt kommt das Mobiltelefon in einen Mixer und da wird es wirklich zerkleinert. Die Daten sind da immer noch drin, aber sehr schwer zu entziffern. Alle Atome werden getrennt, zermahlen und zu Staub. So ähnlich wie das, was mit Ihnen passiert, wenn Ihr Körper stirbt. Da ist immer noch etwas Elektrizität, etwas Erinnerung, aber sie verblasst. Wir wissen nicht, wie wir sie einfangen können, ob sie noch da ist oder nicht. Wir haben einfach nicht die Technologie, die Wissenschaft oder den Glauben, um es wirklich zu verstehen. Aber sicherlich leben Ihre Erinnerungen weiter. Sicherlich haben Sie E-Mails von Menschen in Ihrem Leben, die jetzt tot sind. Sie haben vielleicht ein Video von ihnen, und die Stimme ist immer noch da. Und wenn Sie sich vorstellen, dass Sie, wenn wir genügend Energie in diese Dinge investieren, eine Art Unsterblichkeit erlangen könnten. Vorausgesetzt, Sie sind bereit, mit der Reduzierung der Reproduktionskunst zu leben.

Ich gebe mein Handy weg, meine Seele...
Nun, vielleicht nicht Ihre Seele. Aber den Teil der Seele, der mit dem Handy verbunden ist.

Foto: Henning Rogge

Und ich gewinne etwas, vielleicht eine andere Art von Existenz.
Das ist Ihr Urteil. Ich persönlich stimme mit Ihnen überein, aber es liegt nicht an mir zu sagen, was Sie gewinnen. Das liegt bei Ihnen. Das Geschenk, das Sie bekommen, ist das Nichts. Was Sie zurückbekommen, ist Ihre Freiheit, und das ist das Wertvollste, was Sie haben. Und es geht noch weiter: Sie haben also den Akku verloren, den Motor des Handys. Die SIM-Karte mit allen Informationen steckt man in einen Mixer, das ganze Glas und der Kunststoff werden gemischt und zu Staub. Und jetzt waschen wir den Staub und extrahieren das ganze Gold. Wenn man 5000 Handys nimmt, gibt es genug Gold, um ein Goldenes Idol zu formen. Wir haben das dieses Jahr gemacht und Gold gesammelt. Wir gießen das Gold in eine Form und machen ein goldenes Götzenbild, das wir anbeten. Dann bringen wir das Goldene Idol in das Vertical Assembly Building. Wir stellen es auf einen Sockel in einen Schrein und können zu ihm beten.

Und ich darf es mir ansehen, sobald ich den Indoktrinationsprozess durchlaufen habe?

Ja, es gibt aber noch den anderen Weg. Nachdem das Gold entfernt worden ist, haben wir noch einige Grundstoffe von Ihrem Handy: Stahl, Siliziumdioxid, Plastik, eine Menge Kohlenstoff, wirklich wie Staub. Das wird mit unserer speziellen schwarzen Farbe vermischt. In die Dose schreibe ich diese Zahl 10 hoch 80, das ist die Anzahl der Atome, die es im gesamten Universum gibt. Das bedeutet, dass du mit jedem Atemzug einen Teil des Körpers von Julius Cäsar einatmest. Wir sind alle aus Sternenstaub gemacht. Das Telefon ist also mit schwarzer Farbe vermischt, mit der wir unseren Abgrund, den Abyss, unsere Leere des Raums schaffen. So haben wir aus deinem Telefon ein Goldenes Idol und den Abgrund geschaffen - das Feinste, das Spirituellste und das Nichts schlechthin. Der Abgrund ist an mehreren Stellen in der Ausstellung zu sehen. Jedes Mal sieht man schwarz. Wie beim Eingang, auch der ist ein Abgrund.

Transsubstantiation ist im römisch-katholischen Glauben nicht bloß ein symbolischer Vorgang. Der Begriff meint vielmehr, dass sich Wein und Brot bei der Messe tatsächlich in Fleisch und Blut Jesu Christi verwandeln. Ich frage mich, ob die Besucher, die sich der Prozedur unterziehen, andere sein werden, wenn sie die Ausstellung verlassen.

Das werden sie, wenn sie glauben. Wir glauben. Wir glauben, dass dies ein besserer Weg ist. Im Gegensatz zum Christentum ist es für uns nicht wichtig, dass Sie glauben. Das bleibt ganz Ihnen überlassen. Und wir hoffen, dass Sie entweder an unseren Weg glauben oder für sich einen Weg finden, der für Sie authentisch ist. Denn wir glauben vor allem an die Authentizität. Wir sind keine Evangelisten. Wenn Sie Teil von uns sein wollen, gibt es viele Möglichkeiten...

Tom Sachs, Space Program: Mars - Park Avenue Armory, New York, 2012, Commander Ennarino and Lieutenant Ratanarat perform a Tea Ceremony in the Tea House. Photo: Genevieve Hanson

Ich könnte zum Beispiel in Ihrem Online-Shop ein T-Shirt oder einen Aufkleber kaufen. Wenn ich viel Geld ausgeben will, könnte ich auch die Tom Sachs-Sneaker kaufen. Die Sneaker sind perfekte und teure Produkte, wie passt das zu Ihrer Do-it-yourself-Ästhetik?
Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist, dass wir Turnschuhe gemacht haben, damit jeder mitmachen kann und seinen Körper durch unseren Schuh mit der Erde verbinden kann, zu einem günstigen Preis. Die schlechte Nachricht ist, dass wir nicht genug von ihnen gemacht haben. Deshalb waren sie zu schnell ausverkauft und sind jetzt sehr teuer. Die andere gute Nachricht ist, dass wir mehr davon herstellen und sie hoffentlich erhältlich sein werden. Die Idee ist also, dass du die Werte mit uns teilst, indem du die Turnschuhe trägst. Schauen Sie sich das Video Heroes Journey an! Jeder Mensch befindet sich in einem anderen Stadium. Hat man die Reise beendet, fängt man wieder von vorne an, bis man nicht mehr ist. Der Turnschuh ist ein Ausdruck davon, ist Ausdruck unserer Werte.

Noch ein paar Worte bitte zur Teezeremonie, denen Sie einen ganzen Ausstellungsbereich widmen.
Die Teezeremonie ist für mich Kunst. Ich versuche allerdings, das Wort »Kunst« nicht zu benutzen, weil es für zu viele Dinge steht. Für mich ist die Teezeremonie so etwas wie das Raumfahrtprogramm. Sie hat Spiritualität, Sinnlichkeit, Zen. Es geht darum, woher wir kommen und wohin wir gehen, wie in einem Raumfahrtprogramm mit dem Raumschiff dorthin zu gehen, wo noch kein Mensch zuvor gewesen ist. Das ist der Geruch von Tee, vom Tatami, der nach Heu riecht. Die Berührung des Kimonos. Aber als Bildhauer geht es mir vor allem um Dinge. Ich liebe es, zu bauen und das Raumfahrtprogramm zu erforschen. Meine Aufgabe als Künstler ist es, mich zu bilden und zu unterhalten. Ich lerne also alles über Wissenschaft und Technik und baue ein solches Objekt, auf das ich sehr stolz bin. Bei der Teezeremonie ist es dasselbe. Ob es nun um den Bau des Teehauses oder die Herstellung der Chawan, der Schalen geht. Ich habe 1000 Teeschalen gemacht, bin Keramikkünstler auf mittlerem Niveau. Ich bin noch kein Meister, aber ich bin auf dem Weg. Ich lerne noch. Ich mache das erst seit 10 Jahren.

Auf ihrer persönlichen Werteskala – wo steht da die Teezeremonie?
Wenn man sich die drei Dinge herauspickt: Spiritualität, Sinnlichkeit und Material, dann denke ich, dass die Teezeremonie das Beste von dem darstellt, was die Erde als Kunst repräsentieren kann. Wenn ich Kunst in eine andere Welt bringen sollte, welches Kunstobjekt würde ich schicken? Einen Jackson Pollock oder einen Vincent van Gogh? Nun, ich würde sagen: Nimm die Teezeremonie. Und ich würde sagen, nimm eine ganze Teezeremonie aus dem Jahr 1535, wie sie von Sen no Rikyu (bis heute einflussreichster Teemeister, Anm. d. R.) an Toyotomi Hedeyoshi (Feldherr u. Reichseiniger Japans, Anm. d. R.) im Mai im Kloster Daitoku-ji in Kyoto dargeboten wurde.

Die Installation zur Teezeremonie wirkt zurück auf die anderen Ausstellungsstücke...
Es ist wichtig, dass wir uns fragen, was wir hier auf der Erde tun. Es ist eine sehr kaputte Welt, in der viele wunderbare und schreckliche Dinge passieren. Am besten kann ich helfen, indem ich mich nicht auf das Anthropozän und seine Schrecken konzentriere, sondern indem ich die Schönheit in allem zeige. Diese schrecklichen Felsen aus Plastik, die sich im Meer bilden – das sind Dinge, für die das Anthropozän bekannt sein wird. Schon bald werden wir alle Plastik in unseren Körpern haben. Wenn sich all das Erdöl mit unserem biologischen System vermischt, bedeutet das vielleicht unser Ende. Ich weiß nicht genug über die wissenschaftlichen Zusammenhänge, aber ich weiß genug, dass es nicht gut ist. Der Teil, auf den ich mich konzentriere, ist der Teil, der schön ist, wunderbar. Es gibt Dinge, die wir aus Plastik machen können, die wunderbar sind. Diese Milchkisten hier. Weil Erdöl verwendet wird, um ein Erbstück wie diese Kisten herzustellen, das länger hält als wir. Einwegartikel machen mir Sorgen. Sie bestehen aus demselben Material, aber es geht darum, wie wir mit den Ressourcen umgehen.

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Melanie von Bismarck arbeitet als freie Kulturjournalistin und Autorin, unter anderem für den NDR. Darüber hinaus produziert sie Audio-Guides für Ausstellungshäuser.

Die Ausstellung TOM SACHS – SPACE PROGRAM: RARE EARTHS (SELTENE ERDEN) ist ab dem 19. September 2021 in der Halle für aktuelle Kunst zu sehen.


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