© Lauren Greenfield

»Wir sind süchtig nach mehr«

Seit mehr als 25 Jahren dokumentiert die Fotografin und Filmemacherin Lauren Greenfield die Obsession für Reichtum, Schönheit und Status in aller Welt. Ihre Ausstellung GENERATION WEALTH ist nun erstmals in Deutschland zu sehen. Ein Gespräch über Storytelling, Verletzbarkeiten und den Preis der Gier INTERVIEW: CARLA ERDMANN

29. März 2019

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Lauren Greenfield ist guter Dinge. In Kürze wird ihr multimediales Projekt GENERATION WEALTH im Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg zu sehen sein – es ist die einzige Station der Ausstellungstour in Deutschland. Mit der Kuratorin Trudy Wilner Stack geht Lauren Greenfield die Aufbaupläne noch einmal durch. Es wird deutlich: Mit GENERATION WEALTH hat Greenfield einen Erlebnisraum geschaffen, der die Besucher zum Nachdenken über die eigenen Werte und Ziele zwingt.

HALLE4: Wie begann Ihre Arbeit an GENERATION WEALTH?
Lauren Greenfield: Ich beschäftige mich seit über 25 Jahren mit dem Thema Wohlstand und dessen Einfluss auf das menschliche Verhalten. Ich habe gelernt, dass wir uns auf einem unaufhaltsamen Weg befinden: Wir sind süchtig danach, mehr zu wollen. Der menschliche Preis für diese Gier – das war meine erste Lektion. Es waren nicht nur die weltweiten Krisen, die unser Leben beeinträchtigen, die mich zu dem Projekt inspirierten. Später motivierte mich das große Ganze: Ich wollte verstehen, wie sich diese Sucht nach mehr auf unser Seelenleben, unsere Familien und unsere Umwelt auswirkt.

Sie haben Kulturanthropologie studiert und zahlreiche Interviews mit den Protagonisten aus GENERATION WEALTH geführt. Wie bereiten Sie sich auf diese Interviews und die Fotosessions vor?
Ich neige dazu, viel zu recherchieren, aber es ist immer eine Kombination aus Recherchen über die Person oder das Thema und meiner bisherigen Arbeit. Wenn ich gefragt werde, wie lange ich brauche um ein Foto zu machen, zitiere ich gerne einen Freund: »Eine Sechzigstel Sekunde plus 50 Jahre« (lacht). Das ist ganz besonders bei dieser aktuellen Arbeit so. Aber auch sonst habe ich immer auf meinen vorherigen Projekten aufgebaut. Mein zweites Buch Girl Culture ist eine Fortführung von Fast Forward. Oft besteht die Recherchearbeit aus Feldforschung. Ich bereite Fragen vor, halte mich aber normalerweise nicht daran. Ich bin einfach vor Ort, versuche die Person zu begleiten und zu erspüren, wohin es sie zieht.

Wie kommen Sie eigentlich an Ihre Protagonisten?
Ganz unterschiedlich. Als Dokumentarfilmerin nimmt man, was man kriegen kann. Als ich an meiner eigenen High School mit der Arbeit an Fast Forward begann, kannte ich die Jugendlichen nicht, aber ich ging dort selbst zur Schule und war mit ihrem Lifestyle vertraut. Meistens geht es darum, überall dabei zu sein und Leute zu treffen, die einen von einer Person zur nächsten vermittlen. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich so lange brauche. Die meisten Leute kannte ich nicht, aber habe sie durch diese Herangehensweise näher kennengelernt.

War es kompliziert, ihre Erlaubnis dafür zu bekommen, von Ihnen gefilmt oder fotografiert zu werden?
Eher nicht, entweder sagen sie Ja oder Nein. Es gibt einige Personen in dem Film, die ich seit Jahrzehnten begleite und fotografiere. Es ist eine Ehre für mich, wenn ich nochmals auf sie zukommen darf. Es zeigt mir, dass sie großes Vertrauen haben, nachdem ihr Leben durch meine vorherige Arbeit an die Öffentlichkeit gelangt ist.

Haben Sie die Tonalität der Dokumentation oder Ihrer Fotos von Anfang an geplant? Bei manchen Dingen sieht man, dass Sie auf manches ironisch reagieren.
(lacht) Ja, so nehme ich die Dinge wohl wahr. Da ich mich lange mit der Populärkultur und dem Einfluss der Medien befasst habe, zieht es mich immer zu gesättigten Farben, lebendigen Oberflächen, sexy Körpern und dynamischen Perspektiven. Ich benutze eine Bildsprache, wie man sie aus Magazinen kennt. In gewisser Weise ist es ironisch, dass ich dieselbe Sprache benutze, die ich gleichzeitig kommentiere. Ich bin Teil der populären Kultur, Teil der Medien und gleichzeitig kritisiere ich deren Einfluss.

Lauren Greenfield: China Rich, 2005. Xue Qiwen, 43, in her Shanghai apartment, decorated with furniture from her favorite brand, Versace. Lauren Greenfield/INSTITUTE © Lauren Greenfield

Wie haben Sie im Lauf der Jahre Ihre Bildsprache entwickelt, hat sich Ihr fotografisches Konzept im Laufe der Zeit stark verändert?
Ich bin nicht so technikorientiert, darüber denke ich nicht soviel nach. Ich fotografiere einfach das, was mich interessiert. Eine bewusste Entscheidung hingegen war, 2004 mit dem Filmemachen zu beginnen. Ich wollte diese kreative Herausforderung annehmen, um meine Erzählstrukturen zu erweitern. Als Storytellerin reizt es mich, nicht auf ein bestimmtes Medium beschränkt zu sein. Heute kann ich meine Geschichten multimedial erzählen – ob mit Fotos, Filmen, Museumsausstellungen oder online.

Wo wir gerade über Storytelling sprechen: wo liegen da die Unterschiede zwischen der Arbeit an einem Film und dem Fotografieren?
Einige Dinge ähneln sich: der Zugang, die emotionale Komponente, die Komposition. Beim Film ist man gezwungen, noch intensiver über Narrative und Charaktere nachzudenken. Natürlich gibt es auch in der Fotografie Charaktere, aber da geht es eher um Momentaufnahmen, um einen gewissen Zeitpunkt. Beim Filmemachen muss man sich mit der Entwicklung der Figuren und der Handlung im Verlauf des Films beschäftigen. In der Fotografie bin ich immer auf der Suche nach einer gewissen Abwechslung. Ich suche nach Außenaufnahmen, Innenaufnahmen, ruhigen Momenten, Momenten voller Bewegung, Porträts und Gruppenbildern. Mein Film THIN beispielsweise zeigt eine Umgebung, in der man als Filmemacherin nicht unbedingt arbeiten möchte: fluoreszierend, klaustrophobisch, monochromatisch. Aber das macht das Werk umso interessanter. So habe ich gelernt, nach unterschiedlichen Aspekten Ausschau zu halten, geduldig zu sein und der Geschichte ihren Lauf zu lassen. Ich glaube, das hat mich zu einer besseren Storytellerin gemacht.

Welches sind ihre liebsten Stilelemente? Sie lassen immer viel Luft um die Protagonisten, zeigen viel Umgebung.
Das ist die Herausforderung beim Filmen, denn die Soundleute wollen auch immer ins Bild (lacht). Ich denke daran, wie der berühmte Fotograf Arnold Newman die Umgebung für seine Porträts eingesetzt hat, weil sie so viel über die Person wie die Person selbst erzählen kann. Ich nutze das in meinen Filmen. In The Queen Of Versailles sitzen Jackie und David Siegel auf einem goldenen Thron in diesem aufwändig dekorierten Schlafzimmer. Im Verlauf des Films verändert sich auch die Umgebung. Bei ihrem letzten Interview trägt Jackie kein Make-up und ist barfuß. David sitzt auf einem hölzernen Stuhl und ist umgeben von völlig natürlichem Licht. Ich nutze die Umgebung fotografisch, als erzählerisches Mittel.

Manche Motive scheinen so unwirklich. Haben Sie einige Situationen gezielt arrangiert?
Bei einem Porträt platziere ich manchmal jemanden in seiner eigenen Umgebung. Aber in einer Reportage wird nichts inszeniert. Ich denke nicht einmal über so etwas nach, weil es mir so offensichtlich vorkommt. Ich habe immer das Gefühl, ich erzähle bloß einfach eine Geschichte über unsere Gesellschaft und über die menschliche Natur. Oft geht es dabei um sehr verletzliche Momente im Leben der Menschen. Es wäre falsch, das zu inszenieren. In meiner Arbeit geht es um Kultur, ich mache keine Kunst.

Lauren Greenfield: Moscow, 2014. The fifth-anniversary party for KM20, a high-end clothing and accessories boutique, Moscow, 2014. Lauren Greenfield/INSTITUTE © Lauren Greenfield Lauren Greenfield: Moscow, 2014. The fifth-anniversary party for KM20, a high-end clothing and accessories boutique, Moscow, 2014. Lauren Greenfield/INSTITUTE © Lauren Greenfield

Auch wenn es keine Kunst sein soll, wird ihre Arbeit mittlerweile in Museen gezeigt.
Museen und Ausstellungshäuser sind ideale Orte, der Öffentlichkeit, Studenten und Jugendlichen meine Arbeit zugänglich zu machen. Für mich sind Museen und Bücher der reinste Ausdruck meiner Arbeit, dort kann ich genau meine Geschichte erzählen. Erstmals bin ich in Europa so präsent. Ich habe schon lange für europäische Magazine gearbeitet, aber diese Ausstellungstournee ist das erste Mal, dass meine Arbeit in großen europäischen Kulturinstitutionen gezeigt wird. Das ist natürlich ziemlich aufregend.

Was sollen die Besucher von ihrem Besuch der Ausstellung mitnehmen?
Ich hoffe, dass sie verstehen – auch wenn es wie ein Klischee klingt – dass Geld oder materielle Güter allein nicht glücklich machen. Es sind geliebte Menschen, die Gemeinschaft und die Familie, die unserem Leben Sinn geben. Eine erfüllende Arbeit und das Leben an sich machen uns wirklich glücklich. Es scheint so offensichtlich, aber trotz allem sind wir süchtig nach all diesen Dingen, die unseren Untergang und unsere Unzufriedenheit befördern. In gewisser Weise ist GENERATION WEALTH eine sehr apokalyptische Arbeit. Aber wenn Sie den Film und danach die Ausstellung gesehen haben, gibt es dennoch ein glückliches Ende: Viele der Protagonisten, die die dunkelsten Kapitel durchlebt haben, finden weise Worte, von denen wir am Ende alle lernen können.

»Sei vorsichtig, mit dem was du dir wünschst«, sagt eine VIP-Hostess am Ende Ihres Films, der die Folgen der Gier auf opulente Weise vorführt.
Die ja jedem bekannt sind. In der Fotografie und im Film führen Sie den Leuten manchmal etwas vor Augen, das sie bereits wissen. Aber das Ziel ist, es so anzugehen, dass es jeder selbst für sich erkennt.

Die Ausstellung LAUREN GREENFIELD – GENERATION WEALTH ist bis zum 23 Juni im Haus der Photographie zu sehen.


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