Folge 4: Followerpower
27. Dezember 2019
27. Dezember 2019
In einem Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung äußerte der Galerist Johann König im Oktober 2019, die Kunstwelt könne sich die »Arroganz nicht leisten«, weiterhin zu ignorieren, was in der breiten Öffentlichkeit am besten ankomme. Er nannte Banksy und KAWS als Beispiele, ferner, sicher speziell für das Stuttgarter Publikum, den von dort aus zu einer Weltkarriere gestarteten Tim Bengel. Auch der, so König, werde »immer populärer, und das geht an den Elitemuseen nicht vorbei«. Und das sei gut so, er begrüße diese Entwicklung, »auch wenn ich damit bei vielen in der Kritik stehe«.
Kritik war nach diesem Statement nicht zu vernehmen. Vor einigen Jahren wäre das vermutlich noch anders gewesen. Damals war die Grenze zwischen high und low, allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz, noch ziemlich intakt. Jeder Versuch, sich für populärere Kunst zu öffnen, kostete sofort Reputation, ja führte oft irreversibel dazu, von der Community derer, die sich dem offiziellen Kunstbetrieb zugehörig fühlen, nicht mehr ernst genommen und folglich gemieden zu werden.
Man denke etwa an das avancierte Konzept, mit dem die Fotogalerie LUMAS im Jahr 2003 gestartet war. Sie wollte weg von elitärem Gebaren, eine breite Käuferschaft für Kunst gewinnen und neben hochklassig-anspruchsvollen Werken genauso populäre Motive vertreiben, ja den Spagat zwischen Kunstgalerie und Postershop hinbekommen. Das aber genügte, um vom kunstinteressierten Publikum weithin ignoriert zu werden, mit der Folge, dass sich bald auch das Angebot einseitig veränderte. Offenbar wollten Sammler und Kunstkenner also auf keinen Fall Gefahr laufen, mit Leuten verwechselt zu werden, die Bilder einfach nur kaufen, weil sie ihnen gefallen.
Würde LUMAS heute gegründet, so darf man mutmaßen, ginge es anders aus. Wie das Statement von Johann König belegt, ist es bei wichtigen Figuren der Kunstwelt nicht mehr angesagt, Türsteherqualitäten zu beweisen und möglichst viel auszuschließen, nur weil es populär ist. Vielmehr kommt es cool, gerade keine – inhaltlichen oder formalen – Kriterien für Kunst einzufordern. Wer hingegen die Frage stellt, ob Banksy oder Bengel denn auch wirklich Kunst sind, muss mittlerweile damit rechnen, als spießig und beckmesserisch dazustehen.
Plötzlich scheint man in der etablierten Kunstwelt also viel entspannter darauf zu reagieren, wenn etwas ohne den Stallgeruch der Hochkultur auftaucht. Vielleicht läuft es sogar darauf hinaus, dass der Kunstbetrieb künftig ähnlich strukturiert sein wird wie der Literaturbetrieb. Bekanntlich beschädigt es die Hochliteratur ja auch nicht, dass sie in denselben Buchhandlungen verkauft wird wie triviale, kitschige und reißerische Bücher.
Dafür hat es der gemeinsame Markt hier ermöglicht, dass unzählige Misch- und Zwischenformen entstanden sind, in der Literatur daher die Frage, ob ein Buch high oder low ist, nie eine so große Rolle gespielt hat wie in der bildenden Kunst. Daher könnte es vielleicht sogar auch für sie befreiend wirken, würden Miriam Cahn und Tim Bengel, Banksy und Richard Prince künftig in denselben Galerien angeboten.
Doch warum erscheint es gerade jetzt möglich, dass sich der Kunstbetrieb in einen Ort verwandelt, an dem für high und low gleichermaßen Platz ist? Das ist sicher vor allem der Macht der Sozialen Medien geschuldet. In ihnen hat das breite Publikum erstmals eine gut hörbare Stimme. Viel wichtiger aber ist, dass es auf den großen Plattformen, insbesondere bei Instagram eine einheitliche neue Währung gibt, nämlich Follower. Das sorgt für ganz neue Vergleichsmöglichkeiten, zumal sowohl Künstler aus dem etablierten Kunstbetrieb wie auch viele derer, die dort bisher keine Chance hatten, über Accounts verfügen.
Bezeichnenderweise nannte König mit Banksy und KAWS die beiden wohl followerstärksten Künstler auf Instagram, andere wie Daniel Arsham oder Mark Ryden darf man ebenfalls als Superstars der Foto-Plattform bezeichnen. Aber auch feste Größen des High-Segments wie Takashi Murakami, Cindy Sherman oder Jeff Koons brauchen sich für ihre Followerzahlen nicht zu schämen.
Hier mischt sich somit vieles, was bisher strikt getrennt war. In den Sozialen Medien werden neue Hierarchien etabliert, neue Sichtweisen und Kriterien eingeübt – und wandern schließlich über sie hinaus in die etablierten Institutionen des Kunstbetriebs. Der Post-Internet-Kunstmarkt, der dadurch vielleicht entsteht, hat Followerzahlen als zentrales Kriterium, und statt diejenigen auszuschließen, die zu populär sind, wird es in ihm für Künstler schwierig, die nicht genügend Follower aufweisen. In einer nicht-elitären Post-Internet-Museumswelt werden die Besucher ebenfalls das zu sehen bekommen, was am meisten Follower hat. Followerpower wird also zum Türöffner für die Galerien und Museen. Und die Angst, high und low könnten verwechselt werden, wird keine Rolle mehr spielen.
Wolfgang Ullrich, geb. 1967, lebt als freier Autor und Kulturwissenschaftler in Leipzig. Er publiziert zur Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, zu bildsoziologischen Themen und zur Konsumtheorie. Zuletzt erschien von ihm Selfies. Die Rückkehr des öffentlichen Lebens im Verlag Klaus Wagenbach. Mehr unter www.ideenfreiheit.de