Folge 7: Alles ist gut

Das Verhältnis zwischen Kunst und anderen Bereichen wie Mode, Design, Politik oder Wissenschaft ist kompliziert geworden. Oft ist nicht mehr klar, ob es sich bei den gegenseitigen Annäherungen um eine raffinierte Strategie oder um ein Versehen handelt. Es droht Beliebigkeit – doch jenseits alter Grenzen und Kategorien entsteht etwas Neues VON WOLFGANG ULLRICH

5. März 2020

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In Krisenzeiten wie diesen sollten wir uns sorgfältig die Hände waschen und mit möglichst viel Kunst umgeben. Diese beiden Empfehlungen stehen auf der Website von Third Drawer Down, einem Unternehmen, das 2003 in Australien gegründet wurde, mittlerweile aber weltweit erfolgreich ist und in Zusammenarbeit mit Künstlern Multiples entwickelt, produziert und vertreibt. Dort hat man nun schnell reagiert – und in Kooperation mit der Marke ZEEP bereits die ersten »Home Art Objects« mit Corona-Bezug auf den Markt gebracht.

Dabei handelt es sich, passend zur Empfehlung, um Desinfektionsmittel für die Hände, und die Behälter – in zwei verschiedenen Größen – wurden mit Motiven von David Shrigley und Magda Archer gestaltet. Für neue Entwürfe hat die Zeit aber offenbar nicht gereicht, vielmehr wurden ursprünglich für andere Zwecke konzipierte Bilder und Slogans wiederverwertet.

Eines der Motive Shrigleys zeigt drei jeweils zur Faust geballte Hände mit einem überlangen nach oben gestreckten Daumen und dem Slogan »Everything is good«: ein Mutmacher, der suggeriert, dass nichts mehr passieren kann, wenn man erst mal ordentlich die Hände desinfiziert hat. Dasselbe Motiv – auch in der Variante mit nur einer Hand – gab es bisher auch schon auf Untersetzern, Tassen oder Notizblöcken, wo es jedoch eher als augenzwinkernd-verspielte Übertreibung denn als beschwörende Geste wirkte.

Everything is Good Hand Sanitiser 500ml x David Shrigley. Quelle: www.thirddrawerdown.com

Zuerst aber präsentierte Shrigley seine Idee nicht als Zeichnung, vielmehr setzte er sie in Form einer sieben Meter hohen Bronze-Skulptur um, die von 2016 bis 2018 auf dem Trafalgar Square im Herzen Londons, genauer auf dem berühmten Sockel »Fourth Plinth« stand. Dabei handelt es sich um einen bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts errichteten Sockel, auf dem ein Reiterstandbild von William IV. platziert werden sollte, das jedoch nie fertig wurde.

Seit 1998 wird der leere Sockel temporär mit einem Werk eines zeitgenössischen Künstlers besetzt – und nach Künstlern wie Rachel Whiteread, Thomas Schütte oder Katharina Fritsch wählte man Shrigley aus, der schon früher mit Arbeiten im öffentlichen Raum und gerade mit Paraphrasen auf Denkmals-Ikonografien viel Aufmerksamkeit bekommen hatte. In Deutschland sorgte er etwa 2013 für Aufsehen, als er in München neben dem inoffiziellen Denkmal für Michael Jackson beim Bayerischen Hof ein eigenes Denkmal für Jacksons Affen Bubbles errichtete.

Die Londoner Bronze trug den Titel Really Good, was die Daumen-nach-oben-Geste nochmals eigens benannte. Auf diese Weise schuf Shrigley also ein Denkmal, dessen Funktion letztlich nur darin bestand, sich selbst zu loben – das damit aber gerade auch auf die Leerstelle aufmerksam machte, die es zu füllen hatte. Das war nicht nur gewitzt, sondern zugleich so kritisch-dekonstruierend und selbstreflexiv, wie man es von guter Kunst erwartet.

Doch was bleibt davon, wenn das Motiv als flotte Zeichnung und begleitet vom Spruch »Everything is good« verbreitet wird? Nicht sehr viel. Ja, das ist immer noch lustig, aber es veranlasst nicht mehr zum Nachdenken; ein doppelter Boden fehlt. Dabei ist Shrigley mit seinen Motiven höchst erfolgreich, er dürfte die Cash-Cow von Third Drawer Down sein, und das Unternehmen lässt sich immer wieder Neues einfallen, um die Ideen des Künstlers zwei- und dreidimensional umzusetzen.

Quelle: Instagram / @davidshrigley

Dem selbst war das anfangs wohl noch etwas unheimlich – und als hätte er Angst vor einer Verwechslungsgefahr, versuchte er zu trennen zwischen dem seriösen Künstler »David Shrigley« und dem populär-kommerziellen Merch-Artist, als der er lieber unter dem Namen »D. Shrig« auftaucht (so als stünde der gekürzte Name für einfachere Qualität).

Mittlerweile jedoch, mit weit über 400.000 Instagram-Followern, die sich für die Unterscheidung zwischen high und low nicht sehr interessieren, erhält er diese Trennung höchstens noch halbherzig aufrecht: Fast überall – nicht allerdings auf dem Desinfektionsmittel – firmiert er wieder unter seinem vollen Namen.

Interessant ist aber auch das Selbstverständnis von Third Drawer Down. Die beiden aktuellen Empfehlungen auf der Website sind dabei durchaus repräsentativ: Einerseits will das Unternehmen nützliche Dinge produzieren, die im Alltag der Menschen eine Rolle spielen und daher halbwegs zuverlässig verkauft werden können, andererseits aber will es auch auf die spezifischen Verheißungen nicht verzichten, die nach wie vor mit Kunst assoziiert werden. Dass sie heilen, trösten, inspirieren kann, glauben viele nur allzu gerne. Auch das ist also ein Verkaufsargument.

Allerdings erscheint es im Fall des Desinfektionsmittels doch als ein Etikettenschwindel, dass Third Drawer Down es als Kunst deklariert. Oder ist es etwa nicht etwas zu wenig, dass ein beliebiger Behälter nur schnell noch mit einem amüsanten Motiv versehen wird? Gerade in Krisenzeiten, in denen das Bedürfnis nach einer Kunst, die wirklich heilt, tröstet oder inspiriert, größer ist als sonst, fällt es aber auch umso unangenehmer auf, wenn ein solches Versprechen nicht gehalten wird. Gerade jetzt sollte man gut aufpassen, möglichst nichts zu verwechseln.

Wolfgang Ullrich, geb. 1967, lebt als freier Autor und Kulturwissenschaftler in Leipzig. Er publiziert zur Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, zu bildsoziologischen Themen und zur Konsumtheorie. Zuletzt erschien von ihm Selfies. Die Rückkehr des öffentlichen Lebens im Verlag Klaus Wagenbach. Mehr unter www.ideenfreiheit.de