Folge 8: Enorm viel Stress
2. April 2020
2. April 2020
In der wörtlichen Bedeutung meint »Krise«, dass etwas zur Entscheidung kommt. Aus bisher Indifferentem lösen sich einzelne Elemente, noch Ungeklärtes gelangt an einen point of no return und wird eindeutig. Insofern sieht man in und nach Krisen besser. Damit sinkt auch die Gefahr, etwas zu verwechseln, und vielleicht werden auf einmal sogar Entwicklungen und neue Verhältnisse so evident, dass man kaum noch über sie hinwegsehen kann.
Auch im Kunstbetrieb bietet die Corona-Krise jetzt die Chance auf die ein oder andere Klärung. Aufschlussreich sind etwa Äußerungen von Künstler*innen gleich in den ersten Tagen und Wochen der Krise.
So berichtet Alicia Kwade in einem Interview in der ZEIT von »enorm viel Stress«. Habe sie sonst zehn Angestellte, sei sie nun »mit meiner Buchhalterin und einer Assistentin allein in meinem Atelier, wir schlagen uns mit Kurzarbeit-Anträgen [...] herum«. Den Selbständigen, mit denen sie zusammenarbeite, vermittle sie »Tipps für Anträge auf Soforthilfen«, im Übrigen rechne sie aus, »wie lange wir über die Runden kommen«, zumal sie sich nun auch auf »Lieferanten aus Norditalien« nicht mehr verlassen könne, deren Material sie für ihre Arbeiten braucht. Und zu den ökonomischen und logistischen Problemen komme noch die »psychologische Einzelbetreuung« von Mitarbeitern. Kurzum: Kwade »musste noch nie so sehr Chefin sein« wie jetzt in der Krise.
Natürlich wusste man auch bisher schon, dass international erfolgreiche Künstler*innen über hervorragende Managementqualitäten verfügen müssen und all ihre Aufträge und Ausstellungen nur stemmen können, wenn ihnen (viele) andere dabei helfen. Doch wurde wohl nur selten zuvor so anschaulich, dass ein größeres Künstleratelier wirklich wie ein mittelständisches Unternehmen funktioniert und vor allem viel Bürokratie, viel Orga-Kram, viel Verantwortung bedeutet. Als Künstler*in ist man nicht nur kein Außenseiter der Gesellschaft, sondern sogar stärker in diverse Infrastrukturen integriert als die meisten anderen Menschen.
Deshalb denken Künstler*innen aber oft auch in Kategorien, die man sonst eher von Leuten aus der Wirtschaft kennt. So schrieb Tobias Rehberger für das Corona-Tagebuch vom Berliner Haus am Waldsee, »leider« sei nun »alles etwas langsamer geworden als sonst«. Da »der ein oder andere Mitarbeiter [...] es vorgezogen“ habe, »von zu Hause zu arbeiten«, heißt es weiter etwas genervt, laufe der Betrieb »ein wenig schwerfälliger«. Erfreut zeigt Rehberger sich hingegen darüber, dass »in China Leute [...] gerade wieder an ihre Arbeit zurückkehren und alles wieder anläuft«. Sorge hat er allerdings, »dass die Nebenwirkungen der Krise um einiges gefährlicher und schlimmer sein« könnten »als das Virus selbst«.
Gemeint sind wohl vor allem wirtschaftliche Nebenwirkungen: Offenbar treibt Rehberger die Sorge um, die gut eingespielten, effizienten Abläufe der Kunstproduktion könnten dauerhaft Schaden nehmen. Das klingt ähnlich wie von einem Sprecher eines Industrieverbands und kaum anders als von einem ungeduldigen FDP-Politiker. Die Unsicherheit sei »das Aufreibendste«, sagt Rehberger, während Kwade immerhin noch anführt, die Krise sei »auch eine Chance zur Selbstüberprüfung«. Und sie übt etwas Institutionskritik, fallen ihr doch in der aktuellen Lage die »Machtstrukturen« stärker auf, denen sie im Kunstbetrieb ausgesetzt ist.
Letztlich erinnert aber auch das eher an die bekannte »Krise als Chance«-Philosophie von Unternehmensberatungen als an existenzielle Bekenntnisse, wie sie lange in der Kunst zuhause waren – und nach wie vor von vielen erwartet werden dürften. Solche Bekenntnisse, die im weitesten Sinne Trost und Erbauung stiften, sind daher vielleicht gerade auch das, was in einem nächsten Schritt, gleichsam im Zuge einer weiteren Professionalisierung und gar als Geschäftsmodell von erfolgreichen Künstler-Unternehmer*innen in Krisenzeiten angeboten werden sollte.
Aus der Krise zu lernen, hieße dann, auf die nächste Krise vorbereitet zu sein.
Damien Hirst macht es bereits vor. Er hatte sich bei der letzten Krise – der Finanzkrise von 2008 – noch ähnlich chefmäßig wie heute Kwade und Rehberger geäußert und mit der Mitteilung für Aufsehen gesorgt, dass er Mitarbeiter habe entlassen müssen. Heute hingegen gibt er sich auf Instagram gar nicht mehr als Unternehmer, sondern nutzt die Krisenzeit für eine umfangreiche Imagekampagne – dafür, ein geradezu romantisches Bild vom Künstler zu inszenieren.
Er zeigt sich einsam im Atelier, während er expressiv-fröhliche Bilder von Kirschblüten malt, er erfreut seine Follower damit, dass er, sogar per Video, ihre Fragen beantwortet, er erinnert voll Pathos an Egon Schiele, der 1918 an der Spanischen Grippe starb, und er bietet eigens entworfene Herzen und Regenbogen zum Download, damit Eltern und Kinder Varianten davon basteln, in ihre Fenster hängen und sich so beim Pflegepersonal des National Health Service bedanken, das in der Corona-Krise Übermenschliches leistet.
Hingegen gibt Hirst mit keinem Wort zu erkennen, mit welchen Problemen sein globales Business in Zeiten wie diesen konfrontiert ist. Nein, er hat kapiert, dass er seine Produktion in Krisenzeiten umstellen muss. In der Krise mag also einerseits sichtbarer werden, in welchem Ausmaß viele Künstler *innen längst Unternehmer sind, aber der professionellste Künstler-Unternehmer präsentiert sich gerade jetzt wieder als Künstler, der mit schönen Bildern und rührseligem Stoff unterhält und tröstet.
Wolfgang Ullrich, geb. 1967, lebt als freier Autor und Kulturwissenschaftler in Leipzig. Er publiziert zur Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, zu bildsoziologischen Themen und zur Konsumtheorie. Zuletzt erschien von ihm Selfies. Die Rückkehr des öffentlichen Lebens im Verlag Klaus Wagenbach. Mehr unter www.ideenfreiheit.de